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Gesellschaft

Frisuren im Ostkongo

Judith Raupp
30. September 2016

Eine tolle Frisur muss sein. Manche Kongolesinnen verzichten lieber aufs Essen als auf den Friseur. Ihr Traum: lange Haare wie bei weißen Frauen. Dafür opfern sie ihr letztes Geld und riskieren ihre Gesundheit.

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Sarah Mutesi aus Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo trägt ihr Haar natürlich
Erst seit Kurzem trägt Sarah Mutesi ihr Haar ganz natürlichBild: Judith Raupp

Alle haben gute Laune im Friseursalon La Fidélité in Goma. Es ist bald Wochenende, Zeit für neue Haare. Das ist wörtlich zu nehmen, denn viele Kongolesinnen verstecken ihr natürliches Kraushaar unter künstlichen Strähnen.

Die Friseurin Aline Murairi thront auf einem Lederhocker, vor ihr sitzt eine Kundin. Die stattliche Dame zerpflückt ein Bündel Kunsthaar und reicht der Friseurin Strähne für Strähne. Daraus flicht Murairi lange Zöpfe und knüpft das künstliche Haar an das natürliche.

50 Dollar für die neueste Mode

"Ich frisiere hier den Stil 'Unordnung'", erklärt Murairi. Diese Frisur ist der letzte Schrei in der Millionenstadt Goma. 50 Zöpfe müssen in einem wilden Durcheinander auf dem Haupt verteilt und stramm am natürlichen Haaransatz befestigt werden. Bis zu vier Stunden lang halten die Kundinnen ihren Kopf hin. Dafür bezahlen sie 50 Dollar. Das ist mehr, als so mancher in Goma im Monat verdient. Zwei Drittel der Menschen im Ostkongo leben in Armut.

Ein Friseursalon in Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo
Gute Stimmung im Friseursalon "La Fidélité" in Goma. Gerade vor dem Wochenende gibt es für die Friseurinnen viel zu tun Bild: Judith Raupp

Die Frisur ist nicht nur teuer, sondern auch schmerzhaft. "Ob es zieht, wenn man sich Zöpfe ans Haar flechten lässt, kommt sehr auf die Geschicklichkeit der Friseurin an", erzählt Kundin Gisèle Bagheni. "In jedem Fall schmerzen die eng geflochtenen Zöpfe in den ersten ein, zwei Nächten. Da kann man nicht schlafen. Danach geht es wieder."

Kratzen, bis es blutet

Zwei Monate lang behalten Frauen wie Bagheni die teuren Kunstzöpfe. Ihren Kopf können sie während dieser Zeit nicht waschen, sonst würden die Strähnen zerzausen. Doch die Haut fängt an zu jucken unter dem Kunsthaar. Manche Frauen kratzen sich blutig. Bahgeni erträgt die Qualen trotzdem immer wieder - weil sie schön sein will und weil ihr ihre natürlichen Haare nicht gefallen.

Künstliches Haar in einem Friseursalon im Ostkongo
Künstliches Haar gehört für viele afrikanische Frauen zu einer gelungenen Frisur dazuBild: Judith Raupp

Künstliche Strähnen sind aber nur eine Art, wie Afrikanerinnen ihr natürliches Kraushaar loswerden wollen. Millionen schwarzer Frauen überall auf der Welt versuchen, ihre Haare mit chemischen Substanzen aufzuweichen und mit Hilfe des Föhns oder eines heißen Eisens glatt zu ziehen. Ihr Traum ist es, lange, weiche Haare zu haben, so wie weiße Frauen. Das kennen sie aus westlichen Filmen und aus der Werbung.

Doch die chemischen Mittel sind umstritten. Die Haut brennt und die Haare brechen, wenn die Friseurin zu viel davon aufträgt oder sie zu lange einwirken lässt. Das passiert in Goma öfter. Denn viele Frauen lassen ihre Haare von Leuten behandeln, die ihr Handwerk nicht verstehen. Dort ist es billiger, und die Haushaltskassen der Kongolesinnen sind bescheiden.

Haare gut, alles gut?

Martine Jados hat in Goma lange Zeit einen Friseursalon betrieben. Sie kennt den brennenden Wunsch der Kundinnen, Haare im Stil der Weißen zu haben: "Die Frauen liefern sich einen regelrechten Konkurrenzkampf. Du kannst aufs Essen verzichten, aber Du gehst zum Friseur."

Um das Budget dafür zu sichern, nehmen Frauen Streit mit ihren Ehemännern in Kauf. Sogar Strafzettel oder Schädelbrüche riskieren sie, um ihre Frisur zu schützen: So besteht seit einiger Zeit Helmpflicht für Fahrer und Kunden der Motorrad-Taxen, dem wichtigsten Verkehrsmittel in Goma. Viele Frauen drapieren den Helm aber nur zuoberst auf ihren Haaren, wenn sie an der Polizei vorbei fahren. Danach kommt er gleich wieder runter.

Eine Frau aus Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo zeigt stolz ihre neue Frisur
"Unordnung" auf dem Kopf: Gisèle Bagheni nach ihrem FriseurbesuchBild: Judith Raupp

Mit einer tollen Frisur fühlen sich die Kongolesinnen schön und stark. Sie gibt ihnen Kraft und Mut in einer Gesellschaft, wo Armut, Willkür und sexuelle Gewalt zum Alltag gehören. Die Lehrerin Lune Amnazo zum Beispiel geht jeden Samstag zum Friseur. "Wenn die Haare stimmen, dann weiß ich, dass die Woche gut wird", sagt sie.

"Die schönsten Frauen der Welt"

Joseph Nzanbandora Ndi Mubanzi, Professor für Soziologie an der Universität Goma, sieht das kritisch: "Mich persönlich enttäuscht diese Haltung. Statt an die Zukunft zu denken, rennt man Kleidern und Frisuren hinterher." Der schöne Schein zähle in der kongolesischen Gesellschaft oft mehr als Taten, sagt der Wissenschaftler. "Ich hoffe, dass sich das ändert. Sonst sind wir blockiert in unserer Entwicklung."

Mag sein, dass der Wunsch des Professors in Erfüllung geht. Zwar kennt auch die Grundschullehrerin Sarah Mutesi (Artikelbild) den Reiz des Anderen: "Die Afrikanerinnen beneiden die Europäerinnen sehr um deren Haare. Hätten die Afrikanerinnen Haare wie Europäerinnen, würde die Welt ihnen gehören", glaubt die 24-Jährige. Doch für sie sind Afrikanerinnen jetzt schon die schönsten Frauen der Welt. Seit einiger Zeit bindet sie ihren natürlichen Schopf zu einem Pferdeschwanz, verzichtet auf Kunsthaar oder Chemie. Das ist billiger und spart Zeit. Wie sie zeigen mehr und mehr Frauen in Goma ihr Kraushaar - mit Stolz.