1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Osteuropas fremdbestimmtes Schicksal

21. Februar 2025

Die ersten Gespräche zwischen Russland und den USA zum Ukraine-Krieg sind beendet - ohne dass die Ukraine anwesend war. In der Geschichte Osteuropas stellt dieses Vorgehen keine Seltenheit dar, wie Beispiele zeigen.

https://p.dw.com/p/4qik5
Die Delegationen der USA und von Russland sitzen an einem Konferenztisch  im saudisch-arabischen Riad
Die Delegationen der USA und von Russland im saudisch-arabischen Riad - die Ukraine war nicht dabei Bild: Russian Foreign Ministry/Press S/picture alliance

Stundenlang haben die Delegationen rund um US-Außenminister Marco Rubio und seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow am Dienstag im saudi-arabischen Riad beraten. Neben der Wiederbesetzung der Botschaften in den jeweiligen Ländern ging es auch um ein mögliches Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie um einen Austausch zum Thema Ukraine-Krieg. "Wir haben nicht nur zugehört, sondern einander wirklich gehört", sagte der russische Außenminister Lawrow im Anschluss.

Es ist das erste Gespräch zwischen den USA und Russland seit der Vollinvasion der Ukraine vor rund drei Jahren. Das Treffen und die gesamte Vorgehensweise sind umstritten, da zunächst weder Vertreter der Ukraine noch der EU anwesend waren. Die Ukraine werde die Ergebnisse von Gesprächen nicht akzeptieren, wenn Kyjiw nicht daran teilnehme, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Vorfeld des Gesprächs. Bei einer Pressekonferenz in Ankara sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: "Die Ukraine, Europa im weitesten Sinne - und das schließt die Europäische Union, die Türkei und das Vereinigte Königreich ein - sollten in Gespräche und die Entwicklung der notwendigen Sicherheitsgarantien mit Amerika über das Schicksal unseres Teils der Welt einbezogen werden."

Fehlendes Traditions-Bewusstsein

In der Geschichte Osteuropas stellt das Vorgehen der USA und Russland keine Seltenheit dar. Immer wieder werden in Medienberichten deshalb Vergleiche zur Kriegsgeschichte und zu historischen Abkommen gezogen, auch wenn eine Eins-zu-eins-Analogie sicherlich nicht möglich ist.

Die EU-Außenbeauftragte Katja Kallas verglich vor wenigen Tagen die Zugeständnisse der USA vor Beginn der Verhandlungen mit der Politik des Appeasement. Das habe bislang noch nie funktioniert. Appeasement, auf Deutsch "Beschwichtigung", steht für eine politisch zurückhaltende bis entgegenkommende Haltung gegenüber aggressiven Akteuren. Oftmals wird damit die Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain gegenüber Nazi-Deutschland in den 1930er Jahren beschrieben.

 EU-Außenbeauftragte Katja Kallas 2024 vor Mikros
EU-Außenbeauftragte Katja Kallas: Erinnerung an Appeasement-Politik Bild: Gaetan Claessens/European Union

"Ich bin kein Freund von diesen großen historischen Analogien", sagt Guido Hausmann, Professor für die Geschichte Ost- und Südosteuropas mit Schwerpunkt Russland / Sowjetunion und Ukraine an der Universität Regensburg, der DW. "Aber was ich schon sehe, ist, dass es diese Tradition gibt, dass die ost- oder mitteleuropäischen Nationen Objekt von Großmacht-Handeln gewesen sind und dass sich die USA im Moment, soweit ich sehe, überhaupt nicht dieser unheilvollen Tradition bewusst sind."

Erinnerung an Münchner Abkommen 1938

So erklärte beispielsweise der renommierte britische Historiker Timothy Garton Ash in einem Beitrag vom 14. Februar 2025 beim Magazin Zeit online, dass die Art, wie "Trump die Ukraine übergeht und Putin Geschenke macht", an das fatale Münchner Abkommen von 1938 mit Hitler erinnere. "Ich bin keine Freundin der Vorstellung, wir könnten oder müssten aus der Geschichte lernen, weil diese sich wiederholt", erklärt die Historikerin Martina Winkler, Professorin für die Geschichte Osteuropas von der Universität Kiel, gegenüber der DW. "Zurzeit aber ist es schwer, die aktuelle Situation nicht mit dem Münchener Abkommen von 1938 in Verbindung zu bringen."

Ausstellung des Münchner Abkommens von 1938 in einer Vitrine im Nationalmuseum in Prag
Ausstellung des Münchner Abkommens von 1938 im Nationalmuseum in Prag Bild: Michal Krumphanzl/CTK/IMAGO

In der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 unterzeichneten Nazi-Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien das sogenannte Münchner Abkommen. Über den Kopf der tschechoslowakischen Regierung wurde die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich beschlossen. "Damals wurden der Tschechoslowakei nicht einfach nur die Grenzgebiete geraubt. Das Land - eine der letzten Demokratien Europas in der Zwischenkriegszeit - wurde dem mit Krieg drohenden Hitler im Grunde auf einem Silbertablett serviert, in der Hoffnung, eben diesen Krieg zu vermeiden", erklärt Winkler. "Das Ergebnis kennen wir alle."

Neues Jalta? 

Aber auch die Jalta-Konferenz 1945 wurde in den vergangenen Tagen in einigen internationalen Medien als Vergleich für die erst kürzlich stattgefundene Münchner Sicherheitskonferenz herangezogen. Die Jalta-Konferenz fand im Februar 1945 in der Nähe von Jalta auf der Krim statt und war ein Treffen von Franklin D. Roosevelt (USA), Winston Churchill (Großbritannien) und Joseph Stalin (Sowjetunion). Auf der Konferenz wurden die Nachkriegsordnung und die Grenzen Osteuropas festgelegt, ohne dass die betroffenen Länder selbst anwesend waren.

Konferenz von Jalta 1945 mit britischen Premierminister Winston Churchill, US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dem sowjetische Diktator Josef Stalin
Konferenz von Jalta 1945 mit dem britischen Premierminister Winston Churchill, US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dem sowjetischen Diktator Josef StalinBild: Consolidated US Signal Corps LOC/dpa/picture alliance

"Nicht umsonst wird die Münchner Sicherheitskonferenz der letzten Tage von vielen jetzt als 'München 2.0‘ oder 'neues Jalta‘ beschrieben", so Winkler. "Das mag in dieser Drastik übertrieben wirken. Aber bestimmte Konstanten sind doch zu beobachten."

Hinter solcher Politik stehe allerdings eine Tradition, die auch Westeuropa nicht fremd sei: Ostmitteleuropa spiele hier ihrer Meinung nach keine Rolle. "Westeuropa verstand sich oft als Bastion der Demokratie und ließ die Länder Ostmitteleuropas allzu oft nur am Katzentisch sitzen - wenn überhaupt", so die Historikerin. "Jetzt allerdings werden die Alliierten in Ostmitteleuropa, zu denen die baltischen Staaten, Polen, Tschechien und Rumänien gehören, aber dringend gebraucht. Das sollte man ihnen auch klar signalisieren." Das derzeitige Vorgehen der USA reißt bei den Nationen Ost- und Ostmitteleuropas in dieser Hinsicht viele alte Wunden wieder auf.  

Brest-Litowsk-Vertrag: Ukraine als Akteur 

Auch Historiker Hausmann glaubt, dass das Gefühl, bei politischen Entscheidungen über das eigene Schicksal wiederholt übergangen worden zu sein, tief im Gedächtnis der Menschen Ost- und Ostmitteleuropas stecke. "Das ist selbstverständlich heute eine Erniedrigung für die Ukraine, dass sie übergangen wird, im Moment zumindest" sagt er. Er erinnert aber auch an historische Ereignisse rund um den Vertrag von Brest-Litowsk von 1918, bei der die Ukraine einen Wandel erfahren konnte.

Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk wurde zwischen den damaligen Mittelmächten - also dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich - und Sowjetrussland unterzeichnet und beendete den Ersten Weltkrieg an der Ostfront. Große Teile Osteuropas wurden dabei neu verteilt. "Die ukrainischen Politiker sind nach Brest-Litowsk gefahren und haben gesagt, hier wird nicht über unsere Gebiete und über uns geredet, ohne dass wir mitreden." Die Ukraine sollte nur ein Objekt sein, über das gesprochen und verhandelt wird und sei dann im Verlaufe dieses Prozesses zum Subjekt, zum politischen Akteur geworden, erklärt er. Mit Blick auf die heutige Situation erinnert er daran, dass "politische Dynamiken und damit auch Chancen für die Ukraine noch bestehen."

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft