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Kirchen suchen Neuanfang

5. April 2010

Vertreter beider Konfessionen setzten sich dafür ein, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Von Missbrauchsvorwürfen sind aber nicht nur die Kirchen betroffen.

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Ostergottesdienst im Berliner Dom (Foto: AP)
Ostergottesdienst im Berliner DomBild: AP

Angesichts der Missbrauchsvorwürfe gegen kirchliche Amtsträger und Einrichtungen haben Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche an den Ostertagen zu einem neuen Aufbruch aufgerufen. In zahlreichen Predigten und Gottesdiensten wurden die sexuellen Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche verurteilt und Fürbitten für die Missbrauchsopfer gesprochen.

Der amtierende Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Präses Nikolaus Schneider, sieht in diesen Fürbitten ein ermutigendes Signal. Auch im Bereich der evangelischen Kirche rechne er mit weiteren Missbrauchsfällen. Allerdings sei Missbrauch kein Problem allein der Kirchen, sondern ein Problem unserer Gesellschaft überhaupt. Schneider forderte eine konsequente Strafverfolgung. Die Kirchen müssten alles dafür tun, die Missbrauchsfälle nicht zu verharmlosen. Es gelte, den Opfern zu helfen und sie anzuerkennen, sagte rheinische Präses im Deutschlandfunk.

Verlorenes Vertrauen zurückgewinnen

In einer schriftlichen Erklärung spricht der erkrankte Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, von "schmerzlich aufrüttelnden und betrüblich turbulenten" Monaten. Jeder, der sich jetzt zurückziehe, fehle der Kirche beim notwendigen Neuanfang. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode nannte die Verbrechen beschämend. Die "fundamentale Erschütterung" durch die Missbrauchsfälle stelle die katholische Kirche grundsätzlich in Frage, so Bode. Sie müsse sich bemühen, das verlorene Vertrauen so gut wie möglich wieder aufzubauen.

Für eine Erneuerung der katholischen Kirche plädierte auch der Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, bezeichnete die sexuellen Übergriffe durch Priester und Ordensleute als "verabscheuungswürdige Verbrechen". Auch der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen sprach sich für eine gründliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche aus. Der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst äußerte die Hoffnung auf eine Erneuerung der katholischen Kirche. Die "Verfehlungen und Verletzungen" in den vergangenen Wochen hätten Kirche und Gesellschaft schockiert.

Der Missbrauch von Kindern sei ein abscheuliches Verbrechen, sagte der bayerische evangelische Landesbischof Johannes Friedrich. Noch schwerer wiege da, wenn derlei schreckliche Taten in der Kirche verübt würden. Denn die Menschen erwarteten mit Recht, dass die Kirche Kinder als Gottes geliebte Geschöpfe achte und ihr Leben schütze. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung mahnte, in dem Missbrauchsskandal dürfe nichts vertuscht oder verharmlost werden. Die Opfer müssten gehört und die Schuld beim Namen genannt und bestraft werden, so der evangelische Theologe.

Bischof Mixa wehrt sich

Der wegen angeblicher Kindesmisshandlung in die Schlagzeilen geratene Augsburger Bischof Walter Mixa wies erneut alle Vorwürfe zurück. Er bot den ehemaligen Bewohnern des Kinder- und Jugendhilfezentrums St. Josef im bayerischen Schrobenhausen Gespräche über deren Erinnerungen, Erlebnisse und Vorwürfe an. Dieses Angebot Mixas, der von 1975 bis 1996 Stadtpfarrer in Schrobenhausen war, wurde von den Betroffenen umgehend abgelehnt. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte über eidesstattliche Erklärungen von sechs früheren Heimkindern berichtet, die Mixa beschuldigen, er habe sie in den 70er und 80er Jahren misshandelt. Die Rede ist demnach von Ohrfeigen, Fausthieben und Schlägen mit Stock oder Teppichklopfer. Das Bistum hatte die Vorwürfe sofort als "absurd" zurückgewiesen und sich rechtliche Schritte vorbehalten.

Unterstützung erhielt Mixa vom Generalsekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer. Es stehe einmal Aussage gegen Aussage und er glaube Mixa, sagte Langendörfer im Deutschlandfunk. Die für die Heimaufsicht in St. Josef zuständige Regierung von Oberbayern fand nach eigenen Angaben keine Hinweise auf frühere Misshandlungsfälle. Bei einer Akten-Überprüfung seien keine Vermerke gefunden worden, sagte ein Behördensprecher. Auch eine Befragung der für die Heimaufsicht zuständigen Sachbearbeiter, von denen einige zum Zeitpunkt der angeblichen Vorfälle bereits im Dienst waren, habe keine Hinweise ergeben.

Auch DDR-Heimerzieher in Verdacht

Auch in Kinder- und Jugendheimen der DDR gab es offenbar zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch, die sogar in Akten notiert worden sind. Die Leiterin der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau in Sachsen, Gabriele Beyler, sagte dem "Tagesspiegel" aus Berlin, bei ihr hätten sich bislang 25 ehemalige Heimkinder gemeldet und von sexuellen Übergriffen durch Erzieher berichtet. Der Deutschen Presseagentur teilte Beyler mit, es gebe in Unterlagen der DDR-Stasi Hinweise auf derartige Fälle.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Manfred Kolbe, in dessen Wahlkreis Torgau liegt, hat nach Angaben des "Tagesspiegel" Berichte über Missbrauch in DDR-Heimen erhalten. Auch bei dem vom Bundesland Thüringen eingesetzten Berater für SED-Opfer, Manfred May, meldeten sich verstärkt Betroffene.

Gedenkstätte des ehemaligen DDR-Jugendwerkhofes in Torgau (Foto: AP)
Gedenkstätte des ehemaligen DDR-Jugendwerkhofes in TorgauBild: DW
Kinderhilfseinrichtung St. Josef in Schrobenhausen (Oberbayern) (Foto: dpa)
Kinderhilfseinrichtung St. Josef in Schrobenhausen (Oberbayern)Bild: picture-alliance/ dpa
Der Augsburger Bischof Walter Mixa (Foto: dpa)
Der Augsburger Bischof Walter MixaBild: picture-alliance/ dpa
Der Vorsitzende der katholischen deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch (Foto: DW-TV))
Der Vorsitzende der katholischen deutschen Bischofskonferenz Robert ZollitschBild: DW-TV
Der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider (Foto: AP)
Der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus SchneiderBild: AP

Insgesamt gab es in der DDR nach Angaben der Zeitung 474 staatliche Kinderheime. Davon waren 38 sogenannte Spezialkinderheime und 32 Jugendwerkhöfe, in denen Kinder untergebracht wurden, die als schwer erziehbar und verhaltensauffällig galten. Kolbe sagte, der sexuelle Missbrauch in diesen Heimen scheine "einen beachtlichen Umfang gehabt zu haben".

Autor: Hartmut Lüning (dpa, KNA, epd, apn, afp)
Redaktion: Oliver Samson