Puccini: Opernkomponist, Frauenheld und doch ein Feminist
28. November 2024Die Nachricht, die gegen 11 Uhr morgens am 29. November 1924 in den Zeitungsredaktionen der Welt eintraf, verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Giacomo Puccini, der berühmteste Opernkomponist seiner Zeit, starb in Brüssel an den Folgen einer Kehlkopfkrebs-Operation - kurz vor seinem 66. Geburtstag.
Genauer gesagt: an der postoperativen Behandlung. Das Herz des Kettenrauchers war zu schwach für die radiologische Medizin, die damals noch in den Kinderschuhen steckte.
Zehn Opern in 40 Jahren
Gerade mal zehn Opern komponierte Puccini in seinen vier Schaffensjahrzehnten. Sie reichten, um ihn zum Weltstar zu machen. "Manon Lescaut", "La Bohème", Tosca", "Madama Butterfly", "La fanciulla del West", "Il Trittico" - und natürlich das letzte und für viele größte Meisterwerk "Turandot" - sie alle wurden zu damaligen "Hits".
Hits sind es auch heute noch - nicht nur wegen berühmter Arien wie "Nessun Dorma" (Turandot) oder "È lucevan le stelle" (Tosca). Über zweitausend Mal werden Puccini-Opern jährlich weltweit neu inszeniert, unabhängig von Kriegen und Krisen. Damit liegt der große Italiener weit vor seinen Kollegen Gioacchino Rossini und Richard Wagner. Nur Giuseppe Verdi und Wolfgang Amadeus Mozart werden häufiger auf die Bühne gebracht, jedoch haben sie auch mehr Opern hinterlassen. So ist Puccini mit seinem relativ kleinen Oeuvre rein rechnerisch Spitzenreiter der Branche.
Perfektionist und Tragödienautor
"Ich habe mich eigentlich schon immer gefragt, warum Puccini so erfolgreich ist", überlegt der Kölner Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen im DW-Gespräch. Seine Puccini-Biografie ist soeben beim Laaber-Verlag in der renommierten Reihe "Große Komponisten und ihre Zeit" erschienen.
"Gründe für seinen Erfolg habe ich immer in der Qualität der Musik vermutet, und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr bin ich auch dahintergekommen, dass es tatsächlich an der Qualität der Musik liegt und nicht am schlechten Geschmack des Publikums, wie viele böse Zungen ja lange Zeit behauptet haben." Bereits seine dritte Oper "Manon Lescaut" bescherte Puccini 1893 den internationalen Durchbruch, bald avancierte er zu einem der erfolgreichsten und auch reichsten Künstler seiner Zeit.
Erfolgsrezept Perfektion
Drei Hauptmerkmale von Puccinis Arbeitsstil lassen sich als Gründe für seinen immensen Erfolg eruieren. Zum einen war der Musiker ein extremer Perfektionist, ein Meister "des Zuspitzens und des Maßhaltens", so Jacobshagen. Oder es ist so, wie der Komponist es einmal selbst treffend formulierte: "Ein guter Musiker muss alles können, aber nicht alles geben." Die technische Präzision seiner Partituren bewundern Dirigenten, Sänger und Orchestermusiker bis heute.
Zum zweiten hatte der Italiener ein gutes Gespür fürs Theatralische. "Puccini ist neben William Shakespeare, Giuseppe Verdi und Henrik Ibsen der meistgespielte Tragödienautor der Welt", stellt der Biograf Jacobshagen fest. Er arbeitete eng mit seinen penibel ausgewählten Librettisten und dem Verleger Giulio Ricordi, dem Motor hinter der Marke Puccini, zusammen. Und so erschuf der Komponist aus den klassischen Opernthemen wie Liebe, Leid und Tod immer wieder neue aufregende und tragische Geschichten.
Zum dritten verfügt Puccinis Musik über die einmalige Fähigkeit, den Hörer drastisch und unmittelbar anzusprechen. Wie es der Musikhistoriker Julian Budden anmerkt: "Kein Komponist kommunizierte so direkt mit seinem Publikum wie Puccini."
Spross einer Musikerdynastie
Nicht selten wird ein Vergleich zwischen Puccini und dem deutschen Komponisten Johann Sebastian Bach gezogen. Tatsächlich entstammte das italienische Operngenie wie auch Bach einer angesehenen und weit verzweigten Kirchenmusikerdynastie. Seit dem frühen 18. Jahrhundert prägten die Puccinis das kulturelle Leben des toskanischen Lucca.
Die beeindruckende Reihe von Puccinis komponierenden Vorfahren eröffnet sein Ururgroßvater, der Kirchenmusiker Giacomo Puccini der Ältere, geboren 1712 und ab 1739 Organist der Kathedrale und Kapellmeister in der damaligen Republik Lucca. Giacomo heiratete die Sängerin Angela Maria Piccinini. Deren Sohn Antonio und dann Enkel Michele waren in den nächsten hundert Jahren Musik-Chefs der Stadt.
Giacomo der Jüngere, das künftige Operngenie, geboren 1858 in Lucca, wuchs unter Musikern auf und wurde bereits mit 14 Jahren als Organist angestellt. Dank der Verwurzelung in der musikalischen Welt genoss er die bestmögliche Ausbildung und fand sehr früh seinen Weg in die Kunst, der ihn allerdings an der Kirchenmusik vorbei zur Oper führte.
Puccini und Mussolini: der Schande knapp entkommen
Den Vergleich mit Bach hält Musikwissenschaftler Jacobshagen jedoch für ideologisch belastet: "Diejenigen Autoren, die diese Parallele zuerst aufbrachten, machten es ja in der Zeit des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus." Es ging darum, eine kulturelle Verbindung zwischen Italien und Deutschland zu fördern, und "Puccini war ein idealer Kandidat, um mit einem der großen Heroes der deutschen musikalischen Vergangenheit in Verbindung gebracht zu werden".
Puccini pflegte nämlich, wie viele Vertreter der italienischen Eliten seiner Zeit, eine gewisse Sympathie für den aufkommenden Faschismus und sah in Mussolini einen Politiker, der "endlich Ordnung schaffen" würde.
Es kam auch zu einem persönlichen Treffen zwischen dem Komponisten und dem "Duce", auf Puccinis Initiative. "Vielleicht ist es also ein Glücksfall gewesen, dass der Komponist 1924 an diesem schrecklichen Krebsleiden gestorben ist", meint Puccini-Experte Jacobshagen im DW-Gespräch. "Denn sonst wären angesichts seiner Prominenz mit Sicherheit sehr viele Fotos in die Welt gekommen, die ihn gemeinsam mit Mussolini gezeigt hätten." Das hätte genügt, um den eigentlich unpolitischen Komponisten nachhaltig zu diskreditieren.
Puccini und Frauen: ein Drama für sich
Zerbrechlich, aber leidensstark und entschlossen - so sind die berühmten Puccini-Heroinen: Cio-Cio-Sun, Tosca, Mimi. Wer so ergreifende weibliche Charaktere schuf und ihnen die übelsten Machos gegenüberstellte, konnte nur ein Frauenversteher sein. Er war aber auch ein Gigolo.
"Puccini war gewiss ein attraktiver Mann", stellt Arnold Jacobshagen fest. Man braucht sich nur einige der Puccini-Bilder anzusehen, um ihm zuzustimmen: Edel und anmutig kommt der stets gut gekleidete Toskaner rüber. Seine Zeitgenössin Alma Mahler-Werfel fand sogar, Puccini wäre "einer der schönsten Menschen", die sie je gesehen habe. Puccini sei ein Don Juan, ein "Typus englischer Gentleman mit romantischem Blut". Alma, selbst eine begehrte Schönheit und die bekannteste Femme Fatale ihrer Zeit, kannte sich da bestens aus.
Um das Bild abzurunden: Der Komponist war ein passionierter Jäger und Technik-Narr. Er frönte seiner Passion mit immer neuen Käufen von Autos, Motorbooten und anderen Wundern des Fortschritts wie etwa einer Bewässerungsanlage für den Garten seiner Villa in Torre del Lago.
Das Operngenie mit starkem Sexappeal führte ein intensives und abwechslungsreiches Liebesleben, ohne viel Rücksicht auf seine Mitmenschen. Erst nach zwanzig Jahren wilder Ehe und auf Drängen seiner Familie heiratete er seine "Hauptgeliebte" Elvira, Mutter seines einzigen Sohnes Antonio. Zahlreiche Affären und Seitensprünge überschatteten diese Beziehung vor und erst recht nach der Eheschließung.
"Für allzu lange Zeit hast du aus mir dein Opfer gemacht, hast meine guten und liebevollen Empfindungen für dich mit Füßen getreten, indem du mich immer in meinen Gefühlen als Mutter und leidenschaftliche Liebhaberin beleidigt hast", schrieb Elvira ihrem Ehemann.
Die gescheiterte Liebe hatte einen tragischen Höhepunkt: Rasend vor Eifersucht, verfolgte Elvira ein Dienstmädchen, Doria Manfredi, und trieb die 23-Jährige in einen qualvollen Selbstmord. Elvira Puccini wurde in einem Prozess der Denunziation und des Rufmordes schuldig gesprochen und von ihrem Mann freigekauft.
Puccinis "Verhältnis zu den Themen Familie und Partnerschaft erweist sich als einigermaßen komplex", resümiert sein Biograf.
Puccini als Prophet
Neben Puccinis hollywoodreifem Privatleben aber ist sein größeres und wichtigeres Vermächtnis seine Kunst. Ein Beweis dafür ist auch deren Aktualität jenseits der Opernbühne, findet Arnold Jacobshagen. So hält er "Madama Butterfly" für einen "Aufschrei gegen sexuelle Ausbeutung und Kolonialismus".
Auch "Tosca" und erst recht "Turandot" seien als Plädoyers gegen Tyrannei und Willkürherrschaft zu verstehen, und heute, in den Zeiten von Donald Trump und Wladimir Putin, aktueller denn je, so der Puccini-Biograf. Puccinis Meisterschaft, Dinge auf den Punkt zu bringen, habe damit auch durchaus eine politische Dimension. Und eine zeitlose.