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Olympia-Starter aus Bhutan: Paris als Abenteuer ihres Lebens

19. Juli 2024

Bei den Olympischen Spielen in Paris sind Aktive aus kleinen Ländern wie dem Himalaya-Staat Bhutan aufgrund von Einladungstickets am Start. Sie verkörpern die olympische Idee wohl eher als die Superstars des Sports.

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Die bhutanische Olympia-Teilnehmerin Kinzang Lhamo reckt den Daumen - nach ihrem Sieg beim Bhutan International Marathon
Am 11. August, dem Schlusstag der Olympischen Spiele in Paris, wird Kinzang Lhamo aus Bhutan beim Marathonrennen startenBild: Bhutan Olympic Committee

Für Kinzang Lhamo und Lam Dorji aus dem kleinen Himalaya-Staat Bhutan ist der olympische Traum schon wahr geworden, bevor die Wettkämpfe in Paris (26. Juli bis 11. August) beginnen. "Ich habe schon immer davon geträumt, auf so einer Bühne zu starten", sagt Marathonläuferin Lhamo der DW. "Ich hätte nie erwartet, dass ich eines Tages die Gelegenheit dazu haben würde. Ich bin so dankbar, dass ich die Chance bekommen habe, Bhutan zu vertreten."

Ähnlich äußert sich Lam Dorji. "Jeder Athlet träumt davon, eines Tages bei den Olympische Spielen an den Start zu gehen", sagt der Bogenschütze. "Es wird meine größte sportliche Leistung sein, überhaupt an so einem wichtigen Wettkampf teilzunehmen. Ich werde mich immer an diesen Augenblick erinnern."

Langstreckenläuferin ohne Erfahrung im Flachland

In Bhutan gehören die beiden Olympia-Startenden in ihren Sportarten zur absoluten Spitze. Kinzang Lhamo gewann im vergangenen März in der Kleinstadt Punakha im Westen des Landes den Bhutan International Marathon. 2022 belegte die Langstreckenläuferin beim Snowman Race, einem Extrem-Rennen durch die Berge Bhutans, den zweiten Platz. In fünf Tagesetappen ging es über 203 Kilometer, der höchste Punkt lag auf 5470 Metern.

Die Olympischen Spiele seien ihr erster internationaler Wettkampf, und zum ersten Mal besuche sie auch Europa, berichtet die 25 Jahre alte Leichtathletin. "Mein vorrangiges Ziel ist es, den Marathon zu beenden und dann auch, meinen persönlichen Rekord zu brechen", sagt Lhamo. Ihre Bestzeit liegt bei 3:26 Stunden, aufgestellt im März beim Marathon in Punakha. Was diese Zeit bei einem Rennen im Flachland wert ist, wird sich erst in Paris herausstellen. Zum Vergleich: Den Weltrekord der Frauen hält die Äthiopierin Tigist Assefa mit einer Zeit von 2:11:53 Stunden, gelaufen beim Berlin-Marathon 2023.

Ziel: persönliche Bestleistung

Auch Lam Dorji bleibt in der Wahl seines Olympia-Ziels bescheiden. "Die Besten der Besten werden da sein. Es wird nicht einfach sein, gegen diese unglaublichen Bogenschützen zu bestehen, wenn einige von ihnen schon viele Male an Olympischen Spielen teilgenommen haben", sagt der 28-Jährige der DW. "Aber ich hoffe, dass ich konkurrenzfähig bin und meinen eigenen persönlichen Rekord brechen kann." Der steht bei 664 von 720 möglichen Punkten.

Der bhutanische Olympia-Teilnehmer im Bogenschießen, Lam Dorji
Lam Dorji vertritt sein Heimatland Bhutan bei Olympia in Paris im BogenschießenBild: Bhutan Olympic Committee

Auch hier der Vergleich: Der US-Amerikaner Brady Ellison sammelte 2019 bei seinem Weltrekord 702 Punkte. Bei den olympischen Spielen schießen die Bogenschützen insgesamt 72 Pfeile auf eine 70 Meter entfernte Zielscheibe. Wer den inneren Ring mit einem Durchmesser von 12 Zentimetern trifft, erhält für seinen Schuss zehn Punkte. In der aktuellen Weltrangliste belegt der Buthaner Dorji Platz 184 - weit weg von der Weltspitze.

Die ganze Welt zu Gast bei Olympia

Dass Athleten wie Dorji und Athletinnen wie Lhamo überhaupt die Chance erhalten, bei den Olympischen Spielen in Paris zu starten, liegt an der Olympischen Charta. Darin ist das Ziel der größtmöglichen Universalität festgeschrieben. Anders gesagt: Nach Möglichkeit sollen alle 206 Nationalen Olympischen Komitees (NOK) bei den Spielen vertreten sein.

Zu den Spielen in Paris lud das Internationale Olympische Komitee (IOC) allerdings nur 204 NOKs offiziell ein. Wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sind die olympischen Organisationen Russlands und seines Verbündeten Belarus suspendiert. Nur wenige Athletinnen und Athleten aus diesen beiden Ländern dürfen in Paris teilnehmen - unter strengen Auflagen und neutraler Flagge.

Die meisten der rund 10.500 Sportlerinnen und Sportler in Paris haben die Qualifikationsnormen des jeweiligen Weltverbands ihrer Sportart erfüllt. Damit aber auch Aktive aus kleinen, strukturschwachen Staaten und Territorien dabei sein können, werden mehr als 100 sogenannte "Universalitäts-Startplätze" in 23 Einzelsportarten vergeben: Wild Cards, Olympiatickets ohne Olympianormen. Das IOC verlangt von diesen Aktiven lediglich, dass ein "technisches Niveau für sichere und würdige Wettkämpfe" garantiert ist.

Dabei sein ist alles

Fälle wie der des Schwimmers Eric Moussambani aus Äquatorial Guinea sollen sich nach dem Willen des IOC möglichst nicht wiederholen. Bei den Sommerspielen 2000 in Sydney hatte Moussambani nur mit Mühe und Not die Kraul-Distanz von 100 Metern geschafft. Nach eigenen Worten war der Afrikaner zuvor noch nie so weit geschwommen. Seine Zeit war die schlechteste der Olympiageschichte. Dennoch feierten ihn die Zuschauer, weil er das olympische Motto "Dabeisein ist alles" perfekt verkörperte.

In Paris wird mit Sangay Tenzin auch ein Schwimmer aus Bhutan starten. Der 20-Jährige war auch schon 2021 in Tokio dabei. Tenzin, der das Schwimmen in den Flüssen seines Heimatlands lernte, trainiert in Thailand. Erst im vergangenen Mai wurde in Thimphu, der Hauptstadt Bhutans, das erste 25-Meter-Wettkampfbecken des Landes eingeweiht.

Nationalsport Bogenschießen

Um die Universalitäts-Startplätze für Paris 2024 durften sich nur Nationale Olympische Komitees bewerben, die bei den Spielen 2016 in Rio de Janeiro und 2021 in Tokio im Schnitt mit acht oder weniger Athletinnen oder Athleten vertreten waren. Die Bedingung erfüllten 93 NOKs - 35 aus Afrika, 17 aus Asien, 18 aus Lateinamerika, 14 aus Ozeanien und neun aus Europa.

Der Himalaya-Staat Bhutan, der etwa die Größe der Schweiz hat und in dem knapp 780.000 Menschen leben, gehört seit Ende 1983 zur olympischen Familie. Damals wurde das bhutanische NOK gegründet. Bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles starteten erstmals drei Bhutanerinnen und drei Bhutaner - alle im Nationalsport Bogenschießen. Seitdem war der Staat bei allen Olympischen Sommerspielen mit mindestens zwei Aktiven vertreten. Seit 2012 bekamen auch bhutanischen Aktive aus anderen Sportarten als Bogenschießen ihre Olympia-Chance: im Sportschießen, Judo und Schwimmen.

Vor Paris 2024 nahmen insgesamt 31 Sportlerinnen und Sportler aus Bhutan an Olympischen Spielen teil. 30 von ihnen hatten Einladungstickets. Lediglich Bogenschützin Karma schaffte als erste Sportlerin ihres Heimatlandes die direkte Olympia-Qualifikation: für die Spiele 2021 in Tokio.

"Die Größe des Landes spielt keine Rolle"

Kinzang Lhamo und Lam Dorji sehen sich in Paris als Botschafter ihres Landes. "Ich freue mich darauf, gegen all diese Athletinnen aus der ganzen Welt anzutreten, bin aber gleichzeitig auch ein bisschen nervös", sagt Marathonläuferin Lhamo. "Ich werde mein Bestes geben, um Bhutan so gut wie möglich zu vertreten."

Dorji hofft nach eigenen Worten darauf, "die Welt des Sports auf unser Land aufmerksam zu machen und es in Sachen Bogenschießen auf die Landkarte zu setzen". Auch wenn Bhutan ein kleiner Staat sei, fühle er sich mental keineswegs klein, sagt der Bogenschütze vor seinem Olympia-Abenteuer: "Ich möchte die Botschaft vermitteln, dass auch kleine Länder an solch großen Weltereignissen teilnehmen und ihr Bestes geben können. Die Größe des Landes spielt keine Rolle."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter