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Politik

"Senzow will bis zum Ende gehen"

Anastasia Magazova
10. August 2018

Der in Russland inhaftierte ukrainische Regisseur Oleg Senzow ist entschlossen, seinen fast dreimonatigen Hungerstreik trotz schlechten Gesundheitszustands fortzusetzen, sagt sein Anwalt Dmitri Dinse im DW-Interview.

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Solidaritätsprotest  #FreeSentsov in Kiew
Bild: Imago/Ukrinform

Deutsche Welle: Seit dem 14. Mai befindet sich Oleg Senzow im Hungerstreik. Er fordert die Freilassung von allen ukrainischen politischen Gefangenen in Russland. Herr Dinse, wann haben Sie Oleg Senzow zuletzt gesehen? Wie hat sich sein körperlicher und geistiger Zustand seit ihrem letzten Treffen verändert?

Dmitri Dinse: Zuletzt haben wir uns am 7. August gesehen. Seine Stimmung ist normal, aufgeweckt, aber seine körperliche Verfassung hat sich erheblich verschlechtert. In Labitnangi war es zwei Wochen lang 40 Grad heiß. Eine solche Hitze verträgt er sehr schlecht, was sich auf sein Wohlbefinden ausgewirkt hat. Nicht nur Senzows chronische Herzerkrankung hat sich verschlimmert, sondern es sind auch noch Probleme mit den Nieren und der Leber hinzugekommen. Er hat zu wenig Hämoglobin. Es werden keine Blutkörperchen produziert. Er hat Anämie. Zeitweise sind seine Gliedmaßen taub. Er nimmt weiterhin Mixturen ein, um bei Bewusstsein zu bleiben.

Am 8. August hat seine Cousine Natalia Kaplan einen Brief veröffentlicht, in dem Senzow schreibt, das Ende sei nahe, und er meine damit nicht seine Freilassung. Will er den Hungerstreik immer noch fortsetzen?

Ja, er beabsichtigt nicht, seinen Hungerstreik zu beenden. Senzow will bis zum Ende gehen. Wenn er sterben muss, werde er eben sterben, sagt Oleg.

Oleg Senzow wurde schon zur Untersuchung und möglichen Behandlung in ein ziviles Krankenhaus gebracht. Doch er wollte von dort weg. Was war vorgefallen?

Oleg sagte, er sei in dem Krankenhaus wie Vieh behandelt worden. Man habe ihm gesagt, man werde ihn ans Bett fesseln und so füttern, wie man es für richtig hält. Seine Meinung zähle nicht. Daraufhin wollte Oleg sofort weg von dort. Er wollte sich nicht einem solch unmenschlichen Umgang aussetzen. Den Mitarbeitern des Krankenhauses war klar, wer bei ihnen war. Deshalb haben sie eine solche Haltung an den Tag gelegt. Oleg möchte unter keinen Umständen in dieses Krankenhaus, weil er weiß, dass man ihn dort nur verspotten wird. Im Gefängniskrankenhaus wird er ziemlich gut behandelt. Er hat mit dem Chefarzt eine gemeinsame Sprache gefunden.

Anwalt Dmitri Dinse
Anwalt Dmitri Dinse ist die einzige Verbindung von Oleg Senzow zur AußenweltBild: DW/A. Meier

Vor fast einem Monat hat Senzows Mutter den russischen Präsidenten Wladimir Putin um eine Begnadigung gebeten. Warum gibt es immer noch keine Reaktion? Gab es Fälle, wo solche Ersuchen unbeachtet blieben?

Entsprechende Bitten, die unbeachtet bleiben, gibt es in Russland sehr viele. Die Begnadigungskommission kann nur formale Gründe für eine Ablehnung finden. Sie ist bewusst als Filter geschaffen worden, damit die Administration des Präsidenten mit solchen Briefen nicht überladen wird. Für die Prüfung eines Begnadigungsgesuchs braucht die Kommission zwischen zwei Wochen und einem Monat, um dann dem Präsidenten Empfehlungen zu geben. Der Fall Senzow liegt jetzt faktisch dem ersten Filter vor.

Besteht für Senzow die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung aus Gesundheitsgründen?

In einem eigenen Abschnitt der Strafprozessordnung der Russischen Föderation steht, dass eine Person - bei der hier vorliegenden Straftat - mindestens drei Viertel ihrer Haft verbüßen muss, damit sie überhaupt um eine vorzeitige Haftentlassung bitten kann. Bei Senzow wird das nicht so schnell eintreten. Was die Erkrankungen angeht, so muss sie laut Strafprozessordnung unheilbar sein: viertes Stadium von Krebs, letztes Stadium von AIDS, Sarkome und so weiter. Oleg hat aber keine Krankheit! Er selbst sagt: "Ich bin nicht krank, ich hungere!" Wegen des Hungerstreiks entwickeln sich aber Erkrankungen. Wenn, dann würde er vor Hunger sterben, nicht an einer Krankheit.

Vor einigen Tagen haben Sie in einem offenen Brief gebeten, Senzow zur Behandlung auf die Krim zu verlegen. Aber er selbst hält das nicht für eine gute Idee. Teilen Sie seine Meinung?

Im Fall Senzow sind zwei Anwälte aktiv: Natalia Dobrewa kümmert sich um den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und ich kümmere mich um die Arbeit im Inland. Es gab eine Entscheidung des EGMR, wonach für Senzow Behandlungsbedingungen geschaffen werden sollen, die seinen Hungerstreik und die sich verschlimmernden Erkrankungen und deren Folgen berücksichtigen. Der EGMR stellte fest, dass seine medizinische Unterstützung verbessert werden muss, aber nicht im Gefängnis, sondern in einem zivilen Krankenhaus. Ferner heißt es in dem Beschluss, dass dies nicht 3000 Kilometer von seinem Wohnort entfernt, sondern auf der Krim geschehen sollte. Im Falle fataler Folgen für seine Gesundheit sollte er die Möglichkeit haben, sich von seinen Angehörigen zu verabschieden. Bei einem Treffen habe ich ihn darüber informiert. Oleg sagte, dass er sich jetzt in einem Gefängniskrankenhaus in einem normalen Zustand befinde. Er wisse ja nicht, was ihn in einem zivilen Krankenhaus auf der Krim erwarte. Er hat keine Garantie, was die Haftbedingungen auf der Krim angeht, keine Garantien für einen sicheren Transport, den er in seinem Zustand einfach nicht überleben könnte. Dementsprechend lehnte er das ab. Wenn es entsprechende Garantien geben wird, dann wird er diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Uns Anwälten ist es wichtig, ihm die Entscheidungsmöglichkeit zu sichern.

Haben Ihrer Meinung nach die internationalen Aktionen von Kulturschaffenden und Politikern zur Unterstützung von Oleg Senzow Wirkung gezeigt? Was könnte die internationale Gemeinschaft noch tun, damit er freikommt?

Natürlich sind Aktionen einzelner Personen und auch Massenveranstaltungen weltweit sehr wichtig. Diese Aktionen sollten auf jeden Fall fortgesetzt werden. Aber man muss sich auch auf diplomatischem Wege für die Freilassung aller ukrainischen politischen Gefangenen einsetzen. Manche könnten begnadigt, andere gegen russische politische Gefangene ausgetauscht werden. Ich rate der Ukraine im Rahmen des guten Willens, einen russischen Bürger zu begnadigen, um Russland die Möglichkeit zu geben, im Gegenzug einen ukrainischen Gefangenen freizulassen, und sozusagen mit einem ersten realen Schritt diesen Prozess in Gang zu setzen.

Das Gespräch führte Anastasia Magazova.