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Politik

Olaf Scholz, Cum-Ex und die Crux mit der Erinnerung

16. Januar 2023

Hat Bundeskanzler Olaf Scholz zum milliardenschweren Steuerskandal "Cum-Ex" falsch ausgesagt? Die CDU will das beweisen, die Regierungsparteien winken ab.

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Bundeskanzler Olaf Scholz
Olaf Scholz wird den Cum-Ex-Skandal nicht los Bild: Michael Sohn/AP Photo/picture alliance

Für den Bundeskanzler hält das neue Jahr Ärger bereit. CDU und CSU, als Union vereinte Oppositionsparteien, wollen Olaf Scholz erneut vor den Finanzausschuss zitieren. Die Vorwürfe wiegen schwer: Der SPD-Politiker soll in Befragungen zum sogenannten Cum-Ex-Skandal nicht die Wahrheit gesagt haben. Das soll das Protokoll einer Finanzausschuss-Sitzung vom Juli 2020 beweisen, das bislang Verschlusssache war.

Nun ist es entsperrt, Parlamentarier haben Einblick und dürfen daraus zitieren. Aus dem Dokument geht hervor, dass sich Scholz im Juli an ein Gespräch mit dem in den Cum-Ex-Steuerbetrug verwickelten Bankier Christian Olearius erinnerte. Ab September 2020 behauptete Scholz hingegen, "keine konkrete Erinnerung" mehr an den Termin zu haben.

Zeugen müssen die Wahrheit sagen

Auf Erinnerungslücken berief er sich anschließend auch zweimal vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Hamburger Abgeordnetenhaus. Zeugen sind zur Wahrheit verpflichtet, sonst machen sie sich strafbar.

Olaf Scholz sitzt auf seinem Platz auf der Senatsbank. Im Hintergrund sitzt Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Im August 2022 wurde Olaf Scholz zuletzt im Hamburger Untersuchungsausschuss befragtBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

"Die widersprüchlichen Aussagen und der plötzliche Gedächtnisschwund des Bundeskanzlers innerhalb weniger Monate werfen erhebliche Fragen auf", meint der Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer, der Obmann der CDU im Finanzausschuss ist, gegenüber der DW.

Den Staat ausgeplündert

"Cum-Ex" ist die Chiffre für den größten Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik. Stand heute gibt es 1500 Beschuldigte, rund 130 Banken waren beteiligt. Es ging darum, sich vom Staat Kapitalsteuern erstatten zu lassen, die man nie bezahlt hatte. Das funktionierte dank eines Tricks mit Hilfe von Aktien. Einmal pro Jahr legen börsennotierte Unternehmen die Höhe der Gewinnausschüttung für ihre Aktionäre fest. Auf diese Dividenden müssen Steuern gezahlt werden, die unter bestimmten Umständen wieder erstattet werden können.

Der Milliardenraub

Mit Hilfe von Banken wurden Aktienpakete mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttungsanspruch um diesen Dividendenstichtag herum so oft hin- und hergeschoben, dass die Finanzbehörden nicht mehr nachvollziehen konnten, wer am Dividendenstichtag tatsächlich Eigentümer war. Stattdessen kamen scheinbar mehrere in Betracht. Sie alle bekamen von den Banken Bescheinigungen über gezahlte Steuern, mit denen eine Erstattung angefordert werden konnte. Das Finanzamt zahlte also mehrfach Geld aus, das nie eingegangen war. Erst 2012 griff der Gesetzgeber ein und unterband die undurchsichtigen Geschäfte. Schätzungen zufolge soll sich der Schaden für den Steuerzahler bei Cum-Ex auf mehr als zehn Milliarden Euro belaufen. Die Strafverfolgung läuft, der erste Untersuchungsausschuss im Bundestag wurde 2016 eingerichtet.

Besuch beim Hamburger Regierungschef

Auch die Hamburger Privatbank M.M. Warburg war in den Skandal verstrickt. 2016 begannen Steuerprüfungen und Ermittlungen, in einer ersten Tranche sollte die Bank 47 Millionen zu Unrecht kassierte Erstattungen zurückzahlen. Der Vorstand und Miteigentümer der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, Christian Olearius, ließ nichts unversucht, um die Rückzahlung abzuwenden.

Außenansicht des angestrahlten Gebäudes der Warburg-Bank
Die Hamburger Warburg-Bank hat bis heute mehr als 160 Millionen Euro zurückzahlen müssenBild: Hanno Bode/imago images

Olearius soll in Hamburg massiv Einfluss auf Politiker und Behörden genommen haben. Er wandte sich auch an Olaf Scholz mit der Bitte um politischen Beistand. Scholz war damals Erster Bürgermeister von Hamburg, also Regierungschef des Stadtstaats. Am Ende verzichtete die Hamburger Finanzbehörde auf die Steuerschulden. Später wies das von der CDU geführte Bundesfinanzministerium die Hamburger an, das Geld dennoch zurückzufordern.

Nichts versprochen, aber ….

Haben Scholz und weitere führende SPD-Politiker in Hamburg Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Warburg-Bank genommen? Olaf Scholz hat das für sich sowohl im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Hamburger Abgeordnetenhaus als auch bei Befragungen im Finanzausschuss des Bundestags immer wieder verneint.

Dafür finden sich auch keine Beweise in den Tagebüchern von Christian Olearius, die bei Hausdurchsuchungen gefunden wurden. Darin notierte der Banker über die Reaktion des Bürgermeisters: Scholz "hört aufmerksam unseren Schilderungen zu und stellt kluge Fragen." Und weiter: "Wir bekommen nichts versprochen, erwarten, fordern das auch nicht. jederzeit könne ich mich melden, er erwarte das auch in dieser Angelegenheit."

… mehr als ein Treffen mit Scholz

Über ein zweites Treffen ist zu erfahren, dass Olearius, wie es in seinem Tagebuch heißt, Scholz ein siebenseitiges Papier gab. In dem Dokument legt die Warburg Bank dar, warum ihr die Cum-Ex-Gelder zustünden und dass deren Rückforderung "zu einer Existenzgefährdung" der Bank führen würde. Olearius notierte zu dem Treffen, Scholz "fragt, hört zu, äußert keine Meinung. Lässt nicht durchblicken, was er denkt und ob und wie er zu handeln gedenkt. Ich verstehe das, will ja auch nicht drängen und ihn in irgendeiner Weise kompromittieren."

Die Erinnerungslücken von Scholz sind eng mit dem Auftauchen der Tagebücher verbunden. Erst aus denen ging hervor, dass sich Scholz und der Bankier nicht nur einmal, sondern insgesamt dreimal getroffen hatten. "Wir halten die Erinnerungslücken des Bundeskanzlers für vorgeschoben", sagt CDU-Mann Hauer dazu. "Erst seitdem weitere Treffen und ein Telefonat zwischen den beiden ans Licht kamen, gibt Olaf Scholz an, sich an nichts mehr erinnern zu können."

Ampel-Parteien schützen ihren Kanzler

Hier wollen CDU und CSU im Finanzausschuss noch einmal den Hebel ansetzen. Das aber können sie nur, wenn die Mehrheit im Ausschuss das ebenfalls will und das ist absehbar nicht der Fall. SPD, Grüne und FDP, die zusammen die Regierung bilden, stellen sich schützend vor ihren Kanzler. Das war in früheren Jahren noch anders. Da wurde Scholz von der FDP und den Grünen hart attackiert.

Sie SPD hat am wenigsten Interesse an einer erneuten Vernehmung des Kanzlers. "Während Olaf Scholz und die Bundesregierung erfolgreich Krisenbekämpfung betreiben, baut die Union weiter einen Popanz auf", kritisiert Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Obmann der Partei im Finanzausschuss. Scholz habe in dem jetzt entstuften Protokoll lediglich wiedergegeben, "was er in der Presse über die Treffen gelesen" habe. "Aber nicht, dass er Treffen oder Inhalt erinnert." Es gebe daher keinen Widerspruch und keinen Grund, den Kanzler noch einmal im Ausschuss zu hören, so Schrodi gegenüber der DW.

Weitere Befragung in Hamburg statt in Berlin?

Auch die FDP hat kein Interesse an einem weiteren Termin. Das sei "verschwendete Zeit", sagt der Bundestagsabgeordnete Markus Herbrand, Obmann der FDP im Ausschuss, auf Anfrage. Der Bundeskanzler habe mehrfach gesagt, sich an nichts erinnern zu können. Insofern mache eine Einladung in den Finanzausschuss keinen Sinn. "Die Erinnerungslücken kann man natürlich kritisch sehen und diskutieren, aber neue Erkenntnisse sind aus einer Befragung im Ausschuss nicht zu erwarten."

Die Grünen sehen die weitere Aufarbeitung nicht in Berlin, sondern in Hamburg. Er halte den Untersuchungsausschuss im dortigen Abgeordnetenhaus für den "richtigen und passenden Ort für weitere parlamentarische Aufarbeitung und eine Befragung des heutigen Bundeskanzlers", sagt Sascha Müller, Bundestagsabgeordneter und Obmann der Grünen im Finanzausschuss der DW. "Eine weitere Befragung im Finanzausschuss des Bundestags wäre vor allem eine Show-Nummer."