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Leitbilder Hochschulen

5. September 2010

Eine Corporate Identity – die ist für große Unternehmen völlig normal. Aber funktioniert dieses Prinzip auch für Universitäten? Die Soziologin Anna Kosmützky hat die Leitbilder von Hochschulen untersucht.

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Anna KosmützkyBild: Universität Kassel

In der freien Wirtschaft sind "Corporate Images" großer Unternehmen längst üblich. Für deutsche Hochschulen hingegen ist ein Leitbild, in dem die Hochschule ihr Selbstverständnis, ihr Profil und ihre Ziele beschreibt, noch neu. Erst seit den 1990ern, seit die Unis stärker unternehmerisch agieren und im Wettbewerb um Geld und Ansehen miteinander stehen, entwickeln die Hochschulen hierzulande Corporate Images. Die Soziologin Anna Kosmützky, Mitarbeiterin am Internationalen Zentrum für Hochschulforschung INCHER in Kassel, hat die Leitbilder von Universitäten in ihrer Doktorarbeit untersucht.

DW-WORLD.DE: Frau Kosmützky, was ist denn ein Hochschul-Leitbild genau?

Anna Kosmützky: Ein Leitbild ist ein Strategiedokument, in dem Hochschulen ihr Selbstverständnis nach außen tragen und versuchen, sich im Hinblick auf andere Universitäten als unterschiedlich zu positionieren. Das tun sie, indem sie ihre besonderen Merkmale und ihre Besonderheiten nach außen tragen und hervorstellen.

Können Sie ein Beispiel nennen, wo man ein bisschen einen Eindruck davon bekommt, welche Attribute zum Beispiel dazu zählen?

Ein sehr schönes Beispiel ist da immer die Humboldt-Universität Berlin. Also die Universität baut hier glasklar auf ihre Gründungsgeschichte auf, auf den Gelehrten Wilhelm von Humboldt und auf die wechselvolle Geschichte danach, bedient sich also der historischen Kulisse, in der sich alles weitere abspielt. Vor dieser Kulisse beschreibt die Uni ihre hergebrachten Aufgaben wie Forschung, Lehre, Weiterbildung und Nachwuchsförderung. Jetzt darf man sich aber nicht vorstellen, dass Unis da Luftschlösser aufbauen, also dass jetzt zum Beispiel eine kleine, regionale Fachhochschule sich als Top-Research-University präsentiert. Sondern die verschiedenen Hochschulen nutzen ganz dezidiert ihre Geschichte, ihr Fächerprofil, ihren Standort, um darauf dann solche Selbstinszenierungen aufzubauen.

Das findet man in der Regel im Internet auf der Homepage?

Das findet man auf der Homepage, in Broschüren, aber das geht auch über diese Präsentation hinaus. Das Corporate Image findet man auch in anderen Strategiepapieren, in Zielvereinbarungen. Wenn sich Unis zum Beispiel bei so etwas wie dem Exzellenzwettbewerb Lehre oder auch Forschung der Bundesregierung bewerben, dann wird in der Regel verlangt, dass sie sich auf ihr Leitbild beziehen. In verschiedensten Formen werden Leitbilder heute tatsächlich benötigt.

Seit wann entwickeln denn Hochschulen diese Leitbilder und veröffentlichen sie dann auch?

Das ging Anfang, Mitte der 1990er Jahre los, und das ist auch der Diskurs, den ich in meiner Arbeit verfolgt habe. Da ging es um Profilbildung. Profile hatten Unis ja schon immer, also unterschiedliche Fächerprofile. Die Hochschulpolitik hat diesen Profilen aber keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn es ging ja immer darum, die Gleichheit der Hochschulen zu betonen. Im Zusammenhang mit den Reformen, die dann in den 1990ern losgehen, wo Markt und Wettbewerb zentral werden, da werden dann auch die Leitbilder zentral.

Das sind ja sehr allgemeine Leitbilder. Lassen sich denn die Uni-Mitarbeiter wie in einem Unternehmen in einem Boot zusammenfassen?

Man würde davon ausgehen, dass die Mitarbeiter an Universitäten das noch weniger tun als in Unternehmen, denn die Universitätsmitglieder haben ja sozusagen ihre disziplinären Orientierungen, sie orientieren sich an ihren Fächern. Deshalb ist es eine besonders schlaue Form des Universitäts-Leitbildes, an die üblichen Aufgaben anzuknüpfen. Die Universitätsmitglieder können sozusagen weitermachen wie bisher, aber man steht nach außen gut und modern da.

Wem nützen die Leitbilder ganz besonders?

Der Hochschulleitung, die sich damit im Wettbewerb gegenüber anderen Hochschulen positioniert.

Schaden sie auch jemandem?

Zunächst einmal tun sie keinem etwas. Aber je mehr andere Strategiepapiere an diese Leitbilder anknüpfen – Entwicklungsberichte, Corporate Identity-Materialien –, umso mehr gewinnen diese Leitbilddokumente an Wirkungskraft.

Wie sieht die aus, diese Wirkungskraft?

Also jüngstes Beispiel ist die Freie Universität Berlin, die sagt, wir möchten eine internationale Netzwerk-Universität sein und die das so auch in ihrem Leitbild formuliert hat. Mit dieser institutionellen Strategie hat die FU jetzt im Exzellenz-Wettbewerb Geld gewonnen für ihr Zukunftskonzept. Mit diesem Geld wiederum baut die Universität dann entsprechende strategische Zentren auf, die für die Netzwerke sorgen. Hier werden sich dann auch Folgen ergeben für die Universitätsmitglieder.

Wie bewerten Sie selbst diese Leitbilder der letzten zwanzig Jahre?

Ich bewerte sie als sehr erfolgreich. Also in der Regel heißt es ja: schöner Schein und nichts dahinter. Aber genau um diesen schönen Schein geht es ja zunächst einmal, um institutionelle Strategien, und die werden dann immer wirkungsvoller.

Bekommen die Studierenden etwas davon mit? Also wirkt das wirklich bis auf diese Ebene hinein – oder geht der Diskurs völlig an den Studierenden vorbei?

Vielfach geht der Diskurs in der Tat an den Studierenden vorbei, weil er über die Hochschulleitungen geführt wird. Aber man sieht zunehmend, dass Studierende, wenn sie selber Hochschulpolitik betreiben, also wenn es um Studiengebühren geht oder darum, dass sich Fachbereiche profilieren wollen, dass sie sich dann auf die Leitbilder beziehen. Wenn es dann zum Beispiel um die Einführung einer neuen Studienreform geht oder um eine neue Studienordnung, dann werden Formulierungen aus Leitbildern zitiert und durchaus auch als Abwehrformeln benutzt, um letztlich gegen eine neue Studienordnung zu stimmen.

Das Interview führte Svenja Üing

Redaktion: Gaby Reucher