1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Auf mehreren Ebenen

Martin Lejeune14. Mai 2013

Der Fokus der Aufmerksamkeit richtet sich auf den NSU-Prozess in München. Zeitgleich beschäftigen sich jedoch noch vier parlamentarische Ausschüsse mit der Mordserie. Es droht eine Vermischung.

https://p.dw.com/p/18WVa
Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke (vorn), sitzt am Donnerstag (28.06.2012) im Anhörungssaal des Paul-Löbe-Hauses in Berlin und wartet auf den Beginn des Ausschusses. Ziercke wird in der Sitzung des Neonazi-Untersuchugsausschusses des Bundestags als Zeuge vernommen. Foto: Wolfgang Kumm dpa/lbn
Ziercke vor NSU UntersuchungsausschussBild: picture alliance / dpa

Eine Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags: Befragt werden vier Beamte, die zu den ungefähr 3000 hauptamtlichen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes zählen. Auch diese Ausschuss-Sitzung will herausfinden, inwieweit die Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex versagt haben. Sie steht jedoch nicht direkt in Zusammenhang mit dem NSU-Prozess um Beate Zschäpe: Im Ausschuss geht es um die politische, nicht die rechtliche Aufarbeitung.

Für Hans-Christian Ströbele, Mitglied für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im NSU-Ausschuss des Deutschen Bundestages, verfolgt der Prozess zwangsläufig ein anderes Ziel als der Ausschuss. "Der Prozess hat Angeklagte, und das Gericht muss feststellen, ob die Beweise gegen die Angeklagten für einen Schuldspruch ausreichen. Das findet im Untersuchungsausschuss nicht statt", erklärt Ströbele. Denn Geheimdienstagenten und Polizeibeamte seien im Ausschuss keine Angeklagten, auch wenn sie noch so viel falsch gemacht hätten, so Ströbele.

Ströbele: Es muss ein faires Verfahren geben

Der Abgeordnete ist ein Veteran der parlamentarischen Ausschussarbeit. Er zog 1985 erstmals in den Bundestag ein und war unter anderem schon Mitglied des Untersuchungsausschusses zur Parteispendenaffäre um den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und des Bundesnachrichtendienst-Untersuchungsausschusses. Ströbele sagt über seine Mission im NSU-Ausschuss: "Wir klagen niemanden persönlich an, wir müssen auf der politischen Ebene herausfinden, was falsch gelaufen ist."

Ströbele kann nicht nur auf langjährige Erfahrungen in der parlamentarischen Untersuchungsarbeit zurückblicken, sondern war auch Prozessbeteiligter in großen Strafverfahren. Seit 1967 ist Ströbele mit einer eigenen Anwaltspraxis in Berlin als Strafverteidiger tätig. Von 1970 bis 1979 verteidigte er Mitglieder der Roten-Armee-Fraktion (RAF), die in den siebziger Jahren terroristische Anschläge und Morde in Deutschland verübten. Der Politiker betont, dass es trotz aller Vorverurteilungen und Scharfmacherei der Medien in München ein faires rechtsstaatliches Verfahren geben müsse. Nur ein solches könne einen Beitrag zur Rechtsbefriedung leisten. "Das Gericht muss im Prinzip auch zu der Überzeugung kommen können, dass den Angeklagten eine Schuld an den Mordanschlägen nicht nachgewiesen werden kann", so Ströbele.

Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele (Foto: dpa)
Ein Mann mit Erfahrung in Untersuchungsausschüssen: Hans-Christian StröbeleBild: picture-alliance/dpa

Feine Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Ausschuss und Prozess: Sowohl der Ausschuss als auch der Prozess müssten die Interessen der Angehörigen der Opfer behandeln, ist Ströbele überzeugt. "Beide Ebenen klären das historische Ereignis rund um den NSU. Das Gericht versucht, den Angehörigen der Opfer eine Antwort auf die Frage zu geben, warum gerade ihre Angehörigen ermordet wurden. Der Ausschuss untersucht, wer außer den Tätern die Schuld daran trägt, auch politisch."

Auch in Thüringen wird ermittelt

Auch im Thüringer Landtag in Erfurt tagt ein NSU-Untersuchungsausschuss. Es ist der zweite von insgesamt vier parlamentarischen Ausschüssen zu der Mordserie; auch in Sachsen und Bayern wird das Geschehen untersucht. Der Ausschuss in Thüringen befragt einen im Landeskriminalamt tätigen Mitarbeiter, drei Mitarbeiter des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz und einen Staatsanwalt aus Gera. Dabei geht es um das Vorgehen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den Garagendurchsuchungen am 26. Januar 1998. Damals wurden große Mengen Sprengstoff gefunden. Trotzdem ließ die Polizei die Mitglieder des NSU entwischen und ermöglichte ihnen so das Abtauchen in den Untergrund.

Schild mit der Aufschrift 'Zeuge' (Foto: dpa)
Im Thüringer Untersuchungsausschuss wurden bisher etwa 50 Zeugen vernommenBild: picture-alliance/dpa

Dirk Adams, seit 2009 Mitglied des Thüringer Landtags für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sitzt im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. Bereits im März 1990 beteiligte er sich an einem Hungerstreik, um Einsicht in Unterlagen des Geheimdienstes der DDR und die Überprüfung von Volkskammer-Abgeordneten zu bekommen. Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss hat bisher etwa 50 Zeugen vernommen, im Münchner Prozess werden über 600 Zeugen befragt. "Ich hoffe, dass wir aus der Beweisaufnahme des Prozesses als Untersuchungsausschuss noch etwas Neues erfahren werden", schätzt Adams den Nutzen der juristischen Aufarbeitung für die parlamentarische Ebene ein. "Beim Prozess hat ein Team von 800 Polizisten zugearbeitet, das kann kein Untersuchungsausschuss leisten", verweist der Landtagsabgeordnete auf die bescheidenen Möglichkeiten in Erfurt. "Was die Richter in München nicht herausfinden werden, wird keiner herausfinden", sagt Adams.