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Nazi-Raubkunst: Fragen nach dem Aus der Limbach-Kommission

Anastassia Boutsko
7. Februar 2025

Die scheidende Bundesregierung will das Rückgabeverfahren für NS-Raubkunst ändern. Juristen, Historiker und Opferverbände äußern Bedenken.

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Gemälde "Das bunte Leben" von Wassily Kandinsky, Bild mit vielen Figuren, an der Wand der Ausstellung
Bei Wassily Kandinskys "Das bunte Leben" (1907) hat die Limbach-Kommission eine Rückgabe an die Erben empfohlenBild: dpa

Für die Erben jüdischer Kunstsammler, die von den Nazis enteignet oder zum Verkauf gedrängt worden waren, war es ein denkwürdiger Tag: Am 8. Januar 2025 machte das Bundeskabinett den Weg frei für eine Änderung des Rückgabeverfahrens. Damit dürfte die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz"bald Geschichte sein. An die Stelle der Limbach-Kommission -  so genannt nach ihrer allerersten Vorsitzenden, der Juristin Jutta Limbach - sollen Schiedsgerichte treten. Auf diese Weise, so die scheidende Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) in einer Erklärung, werde Deutschland seiner historischen Verantwortung  gegenüber den Nachkommen der Opfer des Nazi-Regines besser gerecht. Aber das sehen nicht alle so. Gegen die Auflösung der Kommissionhagelt es Kritik.  

Was die Entscheidung bedeutet, erschließt sich beim Blick in die Geschichte: Während der Nazi-Diktatur zwischen 1933 und 1945 wurden Hunderttausende von Kunstwerken ihren zumeist jüdischen Eigentümern in Deutschland weggenommen, ob durch direkte Enteignung oder auf andere moralisch fragwürdige Weise - etwa durch Zwangsverkauf. Experten sprechen daher von NS-Raubgut und schätzen dessen Menge auf mindestens 200.000 Objekte allein in Deutschland.  

Eine junge Frau betrachtet das Bild von Pablo Picasso, das ebenfalls eine Frau zeigt
Das Ölgemälde "Madame Soler" (1903) von Pablo Picasso bei der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in MünchenBild: Felix Hörhager/dpa/picture alliance

In den vergangenen Jahrzehnten haben viele Objekte mehrfach den Besitzer gewechselt. Nicht wenige Meisterwerke befinden sich heute in öffentlichen Sammlungen - wie etwa das "Portrait der Madame Soler" von Pablo Picasso in Bayern. Die neuen Besitzer haben es nicht eilig, den Restitutionsforderungen nachzugeben, zumal viele von ihnen die Objekte erst in den Nachkriegsjahrzehnten "gutgläubig" aus dem Kunsthandel erworben haben. 

Kein Restitutionsgesetz in Deutschland

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wie etwa Frankreich oder Österreich, gibt es in Deutschland kein Restitutionsgesetz. Alle Versuche, eines auf den Weg zu bringen, scheiterten bis jetzt an der unter Politikern und Museumskuratoren weitverbreiteten Skepsis. Ein solches Restitutionsgesetz hätte in der Praxis "keine Relevanz, da kein staatliches Museum sich mehr erlauben kann, ein Kunstwerk nicht an die Erben der rechtmäßigen Eigentümer zu restituieren, wenn es als Raubkunst identifiziert wird", erklärte Herrmann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, noch 2015. Man solle vielmehr in die Provenienzforschung (Herkunftsforschung, Anm.d.R.) investieren und vor allem die kleineren Museen bei ihren Anstrengungen unterstützen, ihre Bestände auf Raubkunst hin zu durchforsten 

"Füchse" von Franz Marc, kubistisches Bild mit roten Füchsen. Zwei Mitarbeiter eines Auktionshauses halten das Bild
Das Bild "Füchse" von Franz Marc ging an die Erben des ehemaligen jüdischen Besitzers Kurt Grawi und wurde später für 51 Millionen Euro versteigert.Bild: Malcolm Park/Avalon/Photoshot/picture alliance

Faktisch gibt es damit selbst im Jahr 2025 für die Nachkommen der Opfer keine verbindliche Rechtsgrundlage, verjährte Restitutionsansprüche einzuklagen. Experten halten das für untragbar, zumal in Deutschland, im "Land der Täter".

Deutschland hat 1998 die Washingtoner Erklärung mit verabschiedet - ein Dokument, in dem sich 44 Staaten und zahlreiche Organisationen und Opferverbände auf die Forderung nach einer "fairen und gerechten Lösung" der Fälle von NS-Raubkunst verständigt haben. Genau für die Umsetzung der "Washingtoner Prinzipien" und Regulierung strittiger Fälle war und ist die Limbach-Kommission zuständig. 

Beratende Kommission: Viel Ansehen, wenig Macht? 

Mit acht bis zehn Juristen, Philosophen, Historikern und ehemaligen Politikerinnen ist die "Limbach-Kommission" stets prominent besetzt. Doch zum einen konnte das Gremium lediglich - rechtlich nicht bindende - Empfehlungen aussprechen. Zum anderen konnte die Kommission erst tätig werden, wenn sie von beiden Seiten zugleich angerufen wurde. So kam es, dass die Kommission in den zwanzig Jahren ihres Bestehens gerade mal 25 Fälle behandeln konnte.  

Hans-Jürgen Papier, ein Herr mit Anzug und Krawatte
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, leitet seit 2017 die Beratende Kommission NS-Raubkuns, "Limbach-Kommission" genanntBild: HRSchulz/IMAGO

"Auf den ersten Blick ziemlich peinlich", findet das auch der Vorsitzende der Kommission und frühere Präsident des Bundeverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. "Doch an der Kommission hat es nicht gelegen", so Papier im DW-Gespräch, "die kann ja nur auf eine Anrufung durch beide Parteien, also, seitens der Opfer oder ihrer Abkömmlinge auf der einen und der das Kulturgut bewahrenden Stelle auf der anderen Seite aktiv werden. Und die Zustimmung zur Anrufung ist seitens der Kulturgut bewahrenden Stellen leider oft genug nicht erfolgt." 

Die entschiedenen Fälle hätten allerdings "eine große Strahlkraft", so Papier. Denn vor der Kommission landeten besonders komplexe Verfahren. Die Kommissionsentscheidungen hätten zudem häufig eine "präjudikative Wirkung" gehabt. Sie setzten Maßstäbe für weitere Verhandlungen oder außergerichtliche Mediationen. 

Im September 2023 feierte die Beratende Kommission ihr 20-jähriges Bestehen mit einem Festakt im Jüdischen Museum zu Berlin. Jurist Papier kritisierte in seiner Rede, seit zwei Jahrzehnten werde in Deutschland mit politisch-moralischen Verpflichtungserklärungen gearbeitet. Aber: "Es fehlt ein rechtlich verbindliches Regelwerk!" Die Kommission müsse gestärkt werden, etwa durch eine einseitige Anrufbarkeit und einen bindenden Status ihrer Entscheidungen.

Ein Ölgemälde von George Grosz zeigt Früchte und Meeresgetier
Eines der letzten Entscheidungen der Limbach-Kommission: Beim "Stillleben mit Okarina" von Georg Grosz empfahlen die Experten den Verbleib in der Kunsthalle BremenBild: Estate of George Grosz, Princeton, N.J. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Kurz darauf wurde die Auflösung der Kommission von den Kulturministern der Länder und der Behörde von Kulturstaatsministerin Claudia Roth beschlossen. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder bestätigten die Entscheidung, und schließlich zum Jahresbeginn auch der Bundeskabinett.

Schiedsgericht - pro und contra

An ihre Stelle sollen nun Schiedsgerichte treten, zusammengesetzt aus jeweils zwei Historikern und drei Juristen. Die Bundesregierung hofft so, die "Washingtoner Prinzipien" besser umsetzen zu könnenDas aber sehen Hans-Jürgen Papier und zahlreiche Opfervertreter anders. "Das geplante Schiedsverfahrensrecht verschlechtert die Situation der Opfer eklatant", heißt es in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz vom Januar 2025. "Ganze Opfergruppen, wie verfolgte Kunsthändlerinnen und Kunsthändler, können mit den neuen Restitutionsregeln ihre während der NS-Zeit unter dem Druck der Verfolgung veräußerten Kunstwerke nicht mehr zurückerhalten", schreiben die Verfasser und ergänzen: "Auch jene Verfolgten, die Kulturgut im Zusammenhang mit ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland oder aus einem von den Nazis besetzten Land veräußern mussten, sollen künftig nur noch einen sehr eingeschränkten Anspruch auf Restitution erhalten."

Zu den Unterzeichnern gehören Restitutionsexperten, Opfer-Anwälte und Nachfahren der Opfer. Unklar bleibe auch, auf welcher rechtlichen Grundlage die Schiedsgerichte künftig entscheiden werden, bemängeln sie. Denn ein Restitutionsgesetz gibt es weiter nicht. Die Unterzeichner forderten deshalb, was inzwischen überholt ist, eine Vertagung der Entscheidung und eine öffentliche Diskussion im Rechtsauschuss des Bundestages über das geplante Schiedsverfahren.

Verhaltener Optimismus 

Unterdessen sehen Vertreter der von Rückgabeforderungen betroffenen öffentlichen Sammlungen die Reform als "Fortschritt", wie Rückfragen der DW bei mehreren Institutionen und Museen ergaben. Rückblickend kritisiert wird etwa die "juristische Unberechenbarkeit" der Limbach-Kommission, fehlende Transparenz, aber auch die zweifelhafte fachliche Eignung mancher Gremiumsmitglieder.

Jutta Limbach, eine blonde ältere Frau bei einer Rede
Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, gab der Kommission ihren Namen - und bis zu ihrem Tod 2016 auch ein GesichtBild: Rainer Jensen/dpa/picture alliance

Von den Schiedsgerichten erwarte man eine "robustere und nüchterne juristische Routine". Ohnehin seien viele Restitutionsfälle ganz ohne die Limbach-Kommission entschieden worden, sodass Kunstwerke zurückgegeben werden konnten - "man solle doch nicht so tun, dass es ohne Kommission keine Restitution gäbe". 

Wie geht es jetzt weiter?

Der langjährige Kommissionsvorsitzende Papier glaubt kaum, dass die Entscheidung zur Auflösung der Beratenden Kommission NS-Raubgut noch einmal revidiert wird. Umso mehr müsse man jetzt die Schiedsgerichte zu einem funktionierenden Modell ausbauen. Alles andere wäre "schändlich", so Papier im DW-Gespräch. Auch Vertreterinnen und Vertreter der Museen sehen das soIn einem scheinen sich alle Seiten einig: Deutschland braucht ein Restitutionsgesetz.