Keine Kohle für Kohle?
15. Juli 2019Drei Teslas stehen schon am Straßenrand geparkt, jetzt kommt ein viertes Elektroauto dazu. Rune Faerbjorg, seit zwei Jahren Pensionär, steigt aus. Wieso fährt er ein Elektroauto? "Ich konnte es mir leisten, und seitdem habe ich keine Kosten für Benzin mehr. Der Strom ist billig bei uns in Norwegen", sagt er und verschwindet im Supermarkt.
Ein kurzer Blick auf die Preise am Parkautomaten. Die halbe Stunde drei Euro, die Stunde sechs, zwei Stunden kosten 14. Bereits Anfang der 90er-Jahre hat Oslo über hohe Parkgebühren begonnen, seine Innenstadt gegen zu viel Autoverkehr zu wappnen.
In Oslo ist zu besichtigen, was andere europäische Großstädte mit viel Aufwand erst beginnen: CO2-armer Verkehr. Fast alle Autokonzerne der Welt scheinen Oslo als ihr Testlabor für die elektrische Zukunft erkoren zu haben.
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Günstige öffentliche Verkehrsmittel, günstige Strompreise, großzügiges Sozialsystem. Ein Durchschnittseinkommen von rund 70.000 Euro. Im Vergleich dazu Deutschland: rund 36.000 Euro.
Norwegen gilt als eines der reichsten Länder der Welt. Mit den Einnahmen aus Öl, Gas und Strom aus Wasserkraft versucht der Staat, das Beste anzufangen.
Norwegens einflussreicher Pensionsfonds
Zu besichtigen ist das eindrucksvoll auf der Webseite des Staatlichen Pensionsfonds. Dieser wird verwaltet von der Norwegischen Zentralbank. Politisch bestimmt wird er von der Regierung. Und egal, ob wie derzeit die Konservativen am Ruder sind, oder wie zu Gründungszeiten die Sozialdemokraten - die Fonds-Politik ist wenig umstritten. Gleich auf der ersten Seite präsentiert der Fonds eine monströs anmutende Zahl. 9.314.807.748.613 Norwegische Kronen. Streicht man eine Stelle weg, hat man die Zahl in Euro und landet bei fast einer Billion.
Ein de facto schuldenfreies Norwegen hat im Grunde nur ein Problem. Wohin mit dem vielen Geld?
Der schwankende Ölpreis
Egil Matsen, der Vize-Chef der Norges Bank, wirkt wie einer, der es gewohnt ist, Luxusprobleme zu lösen. Gut abgeschirmt sitzt er in einem geräumigen Büro mit Blick über Oslos Dächer. Was macht ein Vermögensverwalter wie Matsen nun, seitdem Norwegens Parlament beschlossen hat, weitere 134 Kohle- und Ölgesellschaften von der Investmentliste des Fonds zu streichen?
Matsen hätte erzählen können, wie das bei früheren ähnlichen Entscheidungen ablief. Er hätte die schöne Legende vom ethischen Fonds etwas ausmalen können und wie seine Manager das hinkriegen. Doch es scheint, als möchte er sich nicht näher in die Karten schauen lassen.
"Der Ölpreis schwankt", sagt er nur, "und damit auch unsere Rendite." Obwohl gerade das letzte Quartal Rekorderlöse brachte? "Das zeigt nur, dass man auch woanders gut Geld verdienen kann."
Matsen hatte bis vor kurzem einen zwar gut bezahlten, aber im Grunde unspektakulären Job. Jetzt merkt er, dass Worte von ihm von den Weltmedien gewichtet werden, als sei er Europas Zentralbankchef Mario Draghi. Märkte vibrieren, falls er zu viel verrät. Zudem sind die Konzerne, in die er nun nicht mehr investieren soll, bis vor kurzem noch seine Goldesel gewesen. Exxon, Shell, RWE, Glencore, das sind nur die bekannten. Manche Chefs kennt er persönlich.
"Wir gehen ja auch gar nicht unbedingt raus", schiebt er noch nach, sondern wir setzen erstmal Fristen und drängen darauf, dass solche Konzerne mehr in erneuerbare Energien investieren." Dieses Signal ist ihm wichtig. Irgendwie Zeit gewinnen. Schließlich speist mit dem norwegischen Staatskonzern Equinor der größte Ölförderer Westeuropas große Summen in den Fonds ein. 170.000 Norweger-Arbeitsplätze hängen daran. Ein Politikum im 5-Millionen-Leute-Land Norwegen.
Schon deshalb möchte Matsen nicht als Akteur der weltweiten Klimadebatte gelten. Er weiß, den Umweltverbänden geht sowieso alles zu langsam. Aber sein Kriterium sind nunmal nicht zuerst die globalen CO2-Werte. Matsen dient der gigantischen Zahl auf der Fonds-Webseite.
Hoffnungsträger fürs Klima?
Seit 1990, als der Fond mit umgerechnet knapp 200 Millionen Euro startete, war von diesem Erfolg nicht zu träumen. Es war eine unspektakuläre, fast langweilige und deshalb weitgehend unbeachtete Buchhaltergeschichte. 2008, als die Weltfinanzkrise ausbrach, war der Fonds immerhin schon auf rund 200 Milliarden Euro angewachsen, also um das Tausendfache. Und weil die meisten Staaten der Welt in Schulden schwammen, wurden die Norweger mit ihrem Geld automatisch zum politischen Faktor. Sie begannen, sich aus Atomwaffen-Aktien zurückzuziehen. Umweltzerstörern wurde Geld entzogen. Ebenso Tabakfirmen und solche, denen man Kinderarbeit nachsagte.
Bis heute hat sich sein Wert nochmals mehr als vervierfacht. Ab etwa 2014 erlangte solcherart Umverteilung von Geld unter dem Begriff Divestment eine politisch relevante Bedeutung. Damit wurden sie zu Hoffnungsträgern all derer, die gegen viele Übel auf dem Globus ankämpfen.
Kein neuer skandinavischer Klima-Held
Besonders Klimaaktivisten wie die von Greenpeace erkannten den Hebel. NGOs wie Carbon Tracker in London errechneten, dass die Kohle- und Ölvorräte von Exxon & Co. niemals aus dem Boden dürfen, wenn das 1,5 Grad-Klimaziel erreicht werden soll. Sie setzten den Kampagnen-Begriff der sogenannten "stranded assets" in die Welt, der besagt, dass Vermögen und Wert der Ölkonzerne auf Sand gebaut ist. Vermögen, die stranden werden. Und sie erkannten in Norwegen den Vorreiter des Divestments.
Diesen Eindruck versucht Marianne Eikvag Groth, die Staatssekretärin im norwegischen Finanzministerium, zu zerstreuen. Der Beschluss des Parlaments über Norwegens Rückzug aus Kohle, Öl und Gas bedeute erstmal gar nichts. "Unsere Aufgabe ist es, die Ersparnisse der Norweger vor Wertverlust zu schützen." Der Beschluss des Parlaments, Geld aus Kohle, Öl und Gaskonzernen abzuziehen, sei nicht als Klima-Botschaft an die Welt zu verstehen.
Aber gibt das nicht Hoffnung, dass die Pariser Beschlüsse umgesetzt werden könnten? Groth weicht aus und muss im Übrigen auch gleich zu einer wichtigen Sitzung, wie ihre Pressesprecherin einwirft.
"Die Regierung spricht mit zwei Zungen. Das Finanzministerium betont bei jeder Gelegenheit, es ginge nur ums Geld," sagt die Klimaaktivistin Anja Bakken Riise. Dabei habe die Ministerpräsidentin Erna Solberg auf einer Kundgebung vor Schülern im Rahmen der Klima-Demonstrationen betont, was die Regierung bislang alles über den Fonds unternommen habe.
Andererseits ist die junge Frau Norwegerin genug, um mit gewissem Stolz anzuerkennen, dass der Fonds weltweite Strahlkraft hat – ob er nun aus finanzieller Vernunft klimaschädlichen Energien den Rücken kehrt oder aus klimapolitischen Beweggründen handelt.