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Norwegen: Wohlstand steigert Sorglosigkeit der Jugend

Lars Bevanger12. Juli 2015

Norwegen gilt als reiches Land, das sehr von seinen Öl-Reserven profitiert. Das große Vermögen hat ungeahnte Folgen für die junge Generation. Mit Erziehung soll jetzt umgesteuert werden. Lars Bevanger berichtet aus Oslo.

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Boote am Hafen von Oslo, Norwegen. (Foto: DW/L. Bevanger)
Bild: DW/L.Bevanger

Der Reichtum Norwegens ist zwar nicht so offensichtlich, wie der in Beverly Hills oder Dubai, aber ein Gefühl des Wohlstands zieht sich durch das Land: Im Zentrum Oslos fahren die Menschen teure Geländewagen, schöne Boote zieren den Hafen und es ist durchaus üblich, dass man eine Ferienwohnung in den Bergen oder am Meer besitzt.

Das Geld kommt aus dem staatlich geführten Ölfonds, der die norwegische Regierung dabei unterstützen soll, die Erdöleinnahmen langfristig zu verwalten.

Verantwortliche befürworten den Fonds, weil er viel in zukünftige Generationen investiert. Außerdem betonen sie, dass Norwegen wegen seines Einkommens aus den Öl- und Gasvorräten mit dem Fonds die weltweit größte staatliche Rentenkasse unterhält.

Zu selbstgefällig?

Der Wert des Ölfonds wird auf mehr als 800 Milliarden Euro geschätzt. Doch trotz dieses Reichtums haben die Norweger nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) die höchste Privatverschuldung in Europa.

Der Banker Trond Bentestuen. (Foto: DW/L. Bevanger)
"Der Reichtum hat uns faul gemacht", glaubt der Banker Trond Bentestuen.Bild: DW/L.Bevanger

Die Norweger gingen zu selbstgefällig mit dem Reichtum um, sagt Trond Bentestuen, Leiter der Privatkundenabteilung bei Norwegens größter Bank DnB. Laut Bentestuen glauben sie, dass das Geld aus dem Fonds ihre Zukunft sichere.

"Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Ich glaube, der Reichtum hat uns ein bisschen faul gemacht", sagt er. "Wir Norweger müssen von den anderen Europäern lernen. Sie treffen bessere Entscheidungen, sie haushalten. Also haben wir bei der Bank entschieden, dass wir Familien aus diesen Ländern anwerben wollen, damit sie unseren norwegischen Kindern beibringen, wie sie ihr Geld verwalten."

Hilfe aus Polen

Anfang dieses Jahres machte Bentestuen seiner Bank den Vorschlag, eine polnische Familie für ein persönliches Bildungsprogramm über Finanzen zu finden, das an Grundschulen in Norwegen abgehalten werden soll. Die 40-jährige Dorota Dziubalko und ihre Familie aus Warschau wurden für die Kampagne ausgewählt.

"Norweger denken nicht an ihre finanzielle Zukunft, weil der Staat sich immer darum gekümmert hat", sagt sie. "Das ist nicht unbedingt falsch, aber manchmal ist es auch gut, selbst die Kontrolle zu haben und für sein Leben verantwortlich zu sein. Ich glaube, das Wichtigste ist, einen monatlichen Haushaltsplan zu führen. Man sollte überprüfen, wohin das Geld geht und sich fragen: Möchte ich wirklich so viel Geld ausgeben?"

Die Familie Dziubalko sitzt im Garten auf einer Hollywoodschaukel. (Foto: Dorota Dziubalko)
"Wir Polen haben über etliche Krisen gelernt, unsere finanzielle Situation im Griff zu halten", glaubt Dorota Dziubalko.Bild: privat

Sie sagt, die Polen seien besser im Planen der persönlichen Finanzen als Norweger: "Wir haben eine lange Geschichte von Konjunktureinbrüchen. Es gab ein paar harte Zeiten", sagt sie. "Eine finanzielle Planung war notwendig, sie ist zum Teil unseres Lebens geworden. Und dank ihr fühlen wir uns sicherer."

Viele Norweger sollten Dziubalkos Tipps Beachtung schenken: Die OECD berichtet, dass 30 Prozent aller norwegischen Haushalte hochverschuldet sind. Zum Vergleich: Der europäische Durchschnitt liegt bei 9,5 Prozent.

Jung und ohne Sorgen

Junge Leute, die ihren Kaffee an Oslos trendiger Promenade genießen, scheint das allerdings nicht zu interessieren. Drei kichernde Schülerinnen geben zu, dass sie "nicht sparen" und auch nicht im Voraus planen oder haushalten.

"Ich gebe mein ganzes Geld aus, wenn ich am Wochenende ausgehe", erzählt eines der Mädchen. Auf die Frage nach Gedanken über die Zukunft antwortet eines der Mädchen: "Ich denke da nicht drüber nach." Eine andere fügt lachend hinzu: "Wenn ich Geld bekomme, gebe ich es einfach aus. Am Ende des Monats bin ich immer im Minus." Ihre leichtfertige Art, mit Geld umzugehen, ist unter jungen Norwegern verbreitet

Cafés in Oslo, Norwegen. (Foto: DW/L. Bevanger)
Junge Leute in Norwegen genießen sorglos ihren hohen LebensstandardBild: DW/L. Bevanger

Die Arbeitslosigkeit ist mit etwa vier Prozent niedrig und die Gehälter sind hoch. Aber warum haben junge Norweger, die in einem Land mit dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen leben, das Bedürfnis, private Schulden auf ihren Kreditkarten zu machen?

"Ich glaube, für junge Leute ist es ein großer Schock aus dem Haus der Eltern auszuziehen", sagt Ellen Nyhus, Expertin für Finanzverhalten an der Universität Agder in Kristiansand. "Weil sie an ein gutes Leben in einem mittelständischen Zuhause gewöhnt waren, ist es für viele schwierig, ihren Lebensstandard an das viel geringere Einkommen anzupassen, das sie als Berufseinsteiger haben."

Die norwegische Wirtschaft wächst aber weiter: Das für 2015 prognostizierte Wachstum beträgt zwei Prozent und der Wohnungsmarkt boomt auch noch. Das Land ist jedoch stark abhängig von Rohstoffen wie Öl und Gas. Der dramatische Rückgang der Ölpreise löste Schockwellen in der Industrie aus. Viele Experten warnen auch vor einer Immobilienblase, die jeden Moment platzen könnte.

Der Hafen in Oslo, Norwegen. (Foto: DW/L. Bevanger)
Viele junge Norweger geben zu, dass sie nicht an eine finanzielle Zukunftsplanung denken.Bild: DW/L.Bevanger

Blick in die Zukunft

Deswegen möchte Bentestuen von der DnB das Wissen über die persönlichen Finanzen verbessern – mithilfe der polnischen Familie. Bisher ist dieses Thema nämlich noch nicht Teil des Lehrplans in norwegischen Schulen.

"Wir treffen diese Kinder, wenn sie erwachsen werden, wenn sie ihre Träume realisieren möchten, wenn sie ein neues Haus oder Auto kaufen wollen", sagt er. "Diese Kinder, die nichts über die Grundlagen des persönlichen Haushaltens gelernt haben, treffen wir und merken, dass sie ihre Träume wegen den Fehlern, die sie in ihrer Jugend gemacht haben, nicht realisieren können."