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"Noch immer unter Adrenalinschub"

Das Gespräch führte Ludger Schadomsky27. August 2003

Sechs Monate war Reto Walther mit den anderen Sahara-Touristen in der Gewalt seiner Entführer. Im Interview mit der Deutschen Welle spricht der 31-jährige Schweizer über die Folgen der Haft und die Motive der Entführer.

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Reto Walther bei seiner Rückkehr in die SchweizBild: AP

Herr Walther, wie geht es Ihnen nach dieser langen Geiselhaft?

Ich bin selber erstaunt. Es geht mir eigentlich in weiten Bereichen gut. Ich bin gesund, aber ich bin auch glücklich zu Hause. Ich stehe immer noch unter Adrenalinschub. Ich bin glücklich mit meiner Frau zusammen und das hält mich wunderbar bei Kräften.

Werden Sie nach diesem Drama professionelle Betreuung suchen? Sie gehörten zu der Gruppe, die mitten in der Nacht für die an einem Hitzschlag verstorbene Michaela Spitzer graben mussten. Sie selbst haben die Grabrede gehalten. Wie gehen Sie persönlich mit diesem Trauma um?

Ich fühle mich eigentlich relativ stark, vielleicht zu stark für manche Leute. Aber ich habe mich auch überreden lassen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich bin noch auf der Suche nach der richtigen Stelle. Aber auf alle Fälle werde ich dieses Problem auch mit professioneller Hilfe angehen wollen.

Herr Walter - am 19. März haben Ihnen die Entführer ein Radio übergeben, das erste Mal, und sie konnten sich in der Folgezeit unter anderem durch die Deutsche Welle über den Fortgang der Freilassungsbemühungen informieren. Hat Ihnen diese - wenn man so will - Nabelschnur geholfen? Oder hat sich vielleicht auch ihre Ohnmacht verstärkt? Sie haben von Suchtrupps gehört, die möglicherweise in der Nähe waren, aber sie konnten sich nicht mitteilen.

Das ist richtig. Das war natürlich eine sehr, sehr schwierige Situation für die ganze Gruppe. Ich kann mich auch an den einen Abend erinnern - das Datum habe ich leider vergessen -, wo wir mithören mussten, dass man sich in der Öffentlichkeit fragte: Sind wir einfach nur verirrt in der Wüste oder sind wir einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Und ich kann mich noch erinnern, dass an jenem Abend die Stimmung sehr, sehr tief lag. Später dann, wie dann das Radio - die Deutsche Welle - vermeldete, dass Suchtrupps unterwegs sind, dass man uns aus der Luft her sucht, da stieg natürlich auch die Stimmung, zudem natürlich auch die Erwartung.

Wir waren eigentlich alle sehr froh über das Radio. Wir haben dadurch natürlich auch vom Irak-Krieg erfahren. Und dann auch über die weitere Gruppe, die gefangen genommen wurde, die dann auch befreit wurde. Das haben wir auch mitgehört. Wir haben uns mit gefreut, waren dann aber auch enttäuscht, dass die andere Gruppe befreit wurde und nicht wir. Und es gab eigentlich nur zwei Radiosender, die wir als zuverlässig einstuften - nicht nur wir Geiseln, sondern auch unsere Geiselnehmer. Das war eben die Deutsche Welle, in welcher Sprache auch immer wir sie dann gehört haben. Und ich denke ein marokkanischer oder französischer Sender, der auf französisch gesendet hat. Aber wir waren immer glücklich, dass wir überhaupt Empfang der Deutschen Welle hatten, denn es waren wirklich sachliche, gute Nachrichten. Hut ab, wirklich.

Das Radio ist ihnen dann, glaube ich, nach drei Monaten abgenommen worden. Haben die Geiselnehmer ein Motiv genannt, warum das so war?

Ein Motiv haben sie nicht genannt. Der Befehl kam vom höchsten Führer der Gruppe. Ich denke, das hatte mit Sicherheitsgründen zu tun.

Es ist viel spekuliert worden und es wird immer noch spekuliert über die Motive der Entführer. Sie haben sie praktisch in zwei Gruppen eingeteilt - die Radikalen und dann gab es jene, die Ihnen schon mal Lebensmittel zugesteckt haben, die sich auch entschuldigt haben bei Ihnen für diese Entführung. Wie politisch war aus Ihrer Sicht diese Entführung oder ging es doch in erster Linie um Lösegeld?

Das ist eine schwierige Frage, die ich so nicht wirklich beantworten kann. Rein nach meinem Gefühl her ist es eine politisch motivierte Gruppe, die mit diesen Verbrechen eigentlich vermutlich einfach nur Geld wollte, um irgendetwas zu kaufen, um wieder mobiler zu sein. Ich denke schlußendlich gab es kein politisches Motiv. Aber das ist eine Vermutung und nicht wirklich fundiert.

Wie geht es jetzt mit Ihnen weiter? Werden sie wieder die Arbeit aufnehmen in nächster Zeit? Und natürlich auch die Frage: Werden sie wieder in die Sahara reisen?

In die Sahara reisen werde ich aus zwei Gründen nicht: Einerseits ist es mir da jetzt zu unsicher und andererseits - zumindest in der Schweiz ist das ein großes Thema - ist meine Frau schwanger. Ich habe das lange nicht gewusst, während der Geiselnahme.

Wir erwarten im November unser erstes Kind und damit habe ich eine ganz, neue Rolle als Familienvater, auf die ich mich jetzt hier sehr freue. Das normale Leben wird einkehren. Ich werde, so hoffe ich, nächste Woche wieder arbeiten können. Und ich denke, es ist für mich auch wichtig, in einen Alltag, in ein geregeltes Leben wieder eintreten zu können. Das wird mir bestimmt auch weiter helfen.