Noch einmal viel Lärm um Wulff
8. März 2012Um 18:39 - kurz vor Beginn des Zeremoniells am Mittwoch (08.03.2012) in Berlin - wurde auf Twitter gemeldet, dass Lärm-Instrumente in der deutschen Hauptstadt ausverkauft seien. Auf Facebook hatte sich am Vortag des Großen Zapfenstreichs für den jetzigen Alt-Bundespräsidenten Christian Wulff eine Gruppe gegründet, die ihren Präsidenten auf eine ganz eigene Art verabschieden wollte, nämlich mit Trillerpfeifen, Tröten und Vuvuzelas. Der Aufruf verbreitete sich schnell im Netz, fast 10.000 Facebook-Nutzer bekundeten ihre Sympathie mit dem Anliegen der Gruppe.
Und obwohl nur ein paar Hundert von ihnen und nicht Tausende, wie die Polizei geschätzt hatte, dem Aufruf gefolgt waren und sich vor dem Schloss Bellevue versammelten, schafften sie es dennoch, die gesamte Veranstaltung mit einem Lärmteppich zu überziehen.
Wie in einem Fußballstadion
Christian Wulff auf dem roten Podest im Schlossgarten konnte man besonders zu Beginn der Zeremonie ansehen, dass ihm der Lärm wie in einem Fußballstadion nicht gefiel. Er zog seine Augenbrauen zusammen, wodurch kleine Zornesfalten über der Nase sichtbar wurden. Sein in den letzten Wochen ohnehin schmal gewordenes Gesicht schien noch schmaler. Dieser Gesichtsausdruck blieb während der Zeremonie mehr oder wenig unverändert.
Erst am Schluss der rund 40-minütigen Ehrenbekundung der Bundeswehr lächelte Wulff, und zwar als seine Frau Bettina ihn abholte und sie gemeinsam mit dem derzeit amtierenden Bundespräsidenten Horst Seehofer ein letztes Mal ins Schloss Bellevue gingen.
Ihnen folgten die Vertreter der Bundesregierung, die fast vollzählig gekommen waren - angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die vor und nach dem Zeremoniell auffällig häufig das Gespräch mit Sitznachbarn auf der Besuchertribüne suchte und damit einen nicht gerade feierlichen Eindruck machte.
Viele Absagen
Von den noch lebenden Alt-Bundespräsidenten war - wie sonst eigentlich üblich - keiner gekommen. Ebenso fehlten die Bundestagsvizepräsidenten und der Bundesverfassungsgerichtspräsident. Sie alle hatten abgesagt, so dass von rund 370 Eingeladenen nur rund 200 kamen. Kritiker meinten, Wulff hätte auf den Zapfenstreich verzichten sollen. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf Wulff im ZDF vor, den Zapfenstreich zur "Karikatur" gemacht zu haben.
Christian Wulff hatte am 17. Februar nach wochenlangem Druck von Medien und Öffentlichkeit seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten erklärt. Gegen den Ex-Präsidenten ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil er in seiner Zeit als niedersächsischer CDU-Ministerpräsident von einem befreundeten Unternehmer geldwerte Vorteile bekommen haben soll.
Vier Musikstücke zur Erinnerung
Zum Abschied hatte sich Wulff den Schnulzenklassiker "Somewhere over the Rainbow" gewünscht. Ein Spielmannszug und das Musikkorps der Bundeswehr spielten die Musik aus dem Film "Der Zauberer von Oz" von 1939 in einer gelungenen Orchestrierung. Die Solotrompete schmetterte die schöne Melodie in den tiefblauen Berliner Nachthimmel - allerdings in ungewollter Begleitung durch die Vuvuzelas der Demonstranten vor dem Schloss. Bettina Wulff wirkte ergriffen und bekam feuchte Augen, Christian Wulff aber wahrte seine etwas verkrampfte Haltung. Die Choreographie des Abends hatte hier durch die Musik den emotionalsten Punkt erreicht.
Passend zu seiner Heimat Niedersachsen hatte sich Wulff auch noch den "Alexandermarsch" gewünscht, den Divisionsmarsch der 1. Panzerdivision Hannover. Außerdem erklang ein modernes Kirchenlied für den 52-jährigen Katholiken und die "Ode an die Freude" von Ludwig van Beethoven, also die Europa-Hymne.
"Bedauern, Dankbarkeit und Zuversicht"
Worte wurden beim Zapfenstreich wie üblich nicht gewechselt, es gab nur Musik zu hören oder die Befehle von Oberstleutnant Volker Wörrlein an die Soldaten mit Gewehr, Instrument oder Fackel - und als wohl einmalige Zugabe den Lärm von jenseits des Zauns. Vor dem militärischen Teil seines letzten Tags im Schloss Bellevue hatte Wulff am Nachmittag einen Empfang gegeben und gesagt, er empfinde "Bedauern, aber vor allem Dankbarkeit und Zuversicht". Zur Affäre sagte er nichts, keine Reue, keine Worte der Entschuldigung. Im Gegenteil: Wulff verwies auf seine Leistungen als Bundespräsident und stellte sich selbst ein gutes Zeugnis aus.
"Herr Bundespräsident, ich melde den großen Zapfenstreich zu Ihren Ehren angetreten." Mit diesen Worten hat sich die Bundeswehr gemäß dem Protokoll von Christian Wulff verabschiedet. Um diese Ehren war in den letzten Wochen viel gestritten worden - in der Politik, in den klassischen Medien und auch im Internet. Wulff stehen knapp 200.000 Euro Ehrensold jährlich zu, auf Lebenszeit. Des Weiteren hat er Anrecht auf ein Büro, Dienstwagen und Chauffeur. Auch darauf wolle er nicht verzichten, hieß es aus dem Bundespräsidialamt. Wohl nicht nur die lärmenden Demonstranten an diesem Abend finden das nicht in Ordnung. Ein Demonstrant hielt ein Schild mit der Aufschrift "Ohne Ehre kein Sold" in die Höhe.
Deutschland wird am 18. März einen neuen Bundespräsidenten wählen. Was aus Familie Wulff wird, das ist noch nicht bekannt. Tochter Annalena macht gerade Abitur. Und Bettina Wulff trägt ihr Haar deutlich kürzer, es reicht nur noch bis zur Schulter - bei Frauen angeblich ein eindeutiges Indiz für einen Umbruch.
Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Andrea Lueg