Nobelpreisverleihung ohne Liu Xiaobo
10. Dezember 2010Der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees, Thorbjoern Jagland, legte die Auszeichnung am Freitag (10.12.2010) symbolisch auf einen leeren Stuhl. Liu Xiaobo konnte nicht an der Zeremonie in der norwegischen Hauptstadt teilnehmen, weil er in China im Gefängnis sitzt. Auch seine unter Hausarrest stehende Frau und viele andere Regimekritiker durften wegen der Preisverleihung nicht ausreisen.
Jagland forderte in seiner Rede die Regierung in Peking auf, den Preisträger freizulassen. Die chinesische Verfassung garantiere Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit ebenso wie die Möglichkeit für die Bürger, Kritik zu üben und Vorschläge zu machen. "Liu hat nichts anderes getan, als diese Rechte wahrzunehmen, er hat nichts Falsches getan", sagte Jagland: "Er muss freigelassen werden." Seine Isolationshaft zeige, dass die Preisvergabe richtig und wichtig sei. Durch die harte Strafe sei Liu - wie Nelson Mandela in Südafrika - zu einem Symbol geworden, sagte Jagland. Die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann trug anschließend Lius Plädoyer mit dem Titel "Ich habe keine Feinde" vor, das er im vergangenen Dezember vor seiner Verurteilung gehalten hatte.
Nobelpreis wird aufbewahrt
Urkunde und Medaille für den Friedensnobelpreis sowie das Preisgeld in Höhe von umgerechnet 1,1 Millionen Euro sollen in Oslo aufbewahrt werden, bis Liu sie persönlich entgegennehmen kann. Der Schriftsteller wurde 2009 in China wegen Untergrabung der Staatsgewalt zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Als Mitverfasser der Charta 08, die tiefgreifende politische Reformen in China fordert, wird Liu von der Regierung in Peking als "Krimineller" bezeichnet.
Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International durften mehr als 200 Chinesen nicht ins Ausland reisen, standen unter Hausarrest oder wurden festgenommen. Es war erst das zweite Mal in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Friedensnobelpreises, dass niemand die Auszeichnung entgegennehmen konnte. 1935/36 hatten die Nationalsozialisten den deutschen Pazifisten Carl von Ossietzky nicht nach Oslo reisen lassen.
Obama: "Liu hat den Preis mehr verdient als ich"
Auch US-Präsident Barack Obama appellierte an die Regierung in Peking, Liu "so bald wie möglich" freizulassen. Obama würdigte den Schriftsteller in Washington als Preisträger, der für "universelle Werte" stehe: "Liu Xiaobo hat den Friedenspreis viel mehr verdient als ich", sagte Obama, der den Friedensnobelpreis 2009 erhalten hatte.
Die Bundesregierung setzt sich ebenfalls für die Freilassung von Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo aus einem chinesischen Gefängnis ein. Regierungssprecher Christoph Steegmans sagte in Berlin, Liu habe sich mutig für die politische Freiheit und die Menschenrechte eingesetzt. "Insbesondere hat er sich immer wieder dafür ausgesprochen, diesen Kampf mit friedlichen Mitteln zu führen." EU-Außenministerin Catherine Ashton forderte in Brüssel die "sofortige Freilassung" Lius.
Mehrere Staaten gaben Druck Chinas nach
Einschließlich China haben 19 Staaten die norwegische Einladung zur Friedensnobel-Zeremonie abgelehnt. Die meisten unterhalten enge wirtschaftliche oder militärische Verbindungen zur Volksrepublik, wollen Peking nicht verärgern oder verfolgen selbst einen harten Kurs gegen Regierungskritiker im eigenen Land. Eingeladen werden traditionell die 65 Länder, die in Oslo Botschafter akkreditiert haben.
Abgesagt haben neben China die Staaten Afghanistan, Ägypten, Algerien, Irak, Iran, Kasachstan, Kolumbien, Kuba, Marokko, Pakistan, die Philippinen, Russland, Saudi-Arabien, Sri Lanka, Sudan, Tunesien, Venezuela und Vietnam. Argentinien wollte dem Nobelkomitee zufolge fernbleiben oder zumindest nicht mit seinem Botschafter daran teilnehmen.
Zeremonie in China nicht zu sehen
Die Ukraine lehnte eine Teilnahme zunächst ab, sagte nach Angaben des Direktors des Nobelinstituts, Geir Lundestad, dann aber zu. Auch Serbien kündigte an, doch bei der Zeremonie in Oslo durch seinen Ombudsmann für Menschenrechte vertreten zu sein. Die Europäische Union hatte Serbien wegen dessen ursprünglicher Boykottankündigung heftig kritisiert. Russland, das mit China im vergangenen Monat ein milliardenschweres Handelsabkommen unterzeichnet hatte, begründete seine Nicht-Teilnahme mit Terminschwierigkeiten.
In ganz China war die Live-Übertragung von der Vergabezeremonie aus Oslo blockiert. Die Programme des amerikanischen Nachrichtensenders CNN und der britischen BBC wurden landesweit gesperrt. Auch die Webseite des norwegischen Nobelkomitees mit der Übertragung im Internet war nicht erreichbar. Zuvor hatte die chinesische Zensur bereits die Internetsperren weiter verschärft.
Autor: Martin Schrader / Rolf Breuch (afp, dapd, dpa, epd, rtr)
Redaktion: Eleonore Uhlich / Ursula Kissel