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Nie mehr Mangel an Beweisen?

Sandra Ketterer23. Dezember 2003

Seit Jahren arbeiten die EU-Mitgliedsstaaten an der Angleichung ihrer Rechtssysteme. Aber Beweise aus dem Ausland anzufordern ist für Richter immer noch kompliziert. Das könnte sich jetzt ändern.

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Beweisaustausch mit FingerspitzengefühlBild: AP

Vom vielbeschworenen "Zusammenwachsen" Europas spüren die Richter in den EU-Ländern bisher wenig: Wenn sie Beweise für eine Straftat benötigen, die in einem anderen europäischen Land vorliegen, dann können sie die nicht einfach so anfordern. Vielmehr muss ein kompliziertes Verfahren in Gang gebracht werden: Zunächst müssen die Richter prüfen, auf welcher rechtlichen Grundlage sie die Beweise erhalten könnten - dafür gibt es verschiedene Abkommen, die zunächst einmal durchgesehen und bewertet werden müssen. Und wenn das richtige Abkommen ermittelt ist, dann müssen obendrein auch noch Formulare in verschiedenen Sprachen ausgefüllt werden.

Diese langatmige Prozedur soll künftig entfallen. Die Europäische Kommission plant zu diesem Zweck eine einheitliche Beweisanordnung für die gesamte Union. Dann gäbe es laut Kommission nur noch ein einziges Formular, das in der Sprache des beauftragten Staates herausgegeben würde. Es gäbe daher keine Notwendigkeit für weitere Übersetzungen. Dieses Dokument würde die zu erreichenden Ziele festlegen, während es dem beauftragten Staat die Mittel überließe, mit dem er die Beweise sammelt.

Nicht jeder Beweis darf auf Reisen gehen

Aber nicht alle Arten von Beweisen werden von der Anordnung erfasst. Sie soll nur für Sachen, Daten und Schriftstücke gelten sowie für Informationen, die ohnehin schon in Polizei- und Gerichtsakten festgehalten sind. DNA-Proben - also zum Beispiel ein paar Tropfen Speichel, um genetische Daten festzustellen - können auf diesem Wege ausdrücklich nicht aus einem anderen EU-Land angefordert werden. Auch ins Bankgeheimnis dürfte ein ausländischer Richter mit dieser Anordnung nur bedingt eingreifen: Konto-Daten, die eine Behörde in einem anderen EU-Land erst besorgen müsste, darf er nicht verlangen. Auch Telefone dürfen aufgrund der Beweisanordnung nicht abgehört werden.

Von einem einheitlichen europäischen Strafrecht ist man also noch weit entfernt. Aber die europäishe Kommission will weiter dafür arbeiten: "Wir müssen das tun, was realistisch ist," sagt Pietro Petrucci, der Sprecher des Justiz-Kommissars Antonio Vittorino. Man müsse eben bedenken, was von den Mitgliedsstaaten akzeptiert werden könnte: "Strafrecht ist ein sehr sensibles Feld der europäischen Zusammenarbeit. Und wir müssen die Empfindlichkeit des Themas beachten. Daher gehen wir Schritt für Schritt vor."

Nicht vor Ende 2004

Die Europäische Beweisanordnung ist dabei nur ein kleiner Teil des riesigen Justiz-Mosaiks, dass auf Dauer vereinheitlicht oder wenigstens substanziell angeglichen werden soll. Für Petrucci ist ihre Bedeutung trotzdem sehr hoch, denn nach dem Europäischen Haftbefehl habe man jetzt ein zweites Mittel, mit dem das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gestärkt würde.

Allerdings: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Beweisanordnung lediglich ein Vorschlag der Kommission. Bevor sie vom Europäischen Rat und Parlament abgesegnet werden kann, hat sie noch einen langen und komplizierten Weg vor sich. Bis jetzt sei noch nicht einmal festgelegt, wann der Rat darüber diskutieren werde, sagt Petrucci. Es komme auch darauf darauf an, wie wichtig die zu Jahresbeginn startende irische Ratspräsidentschaft dieses Thema bewerte. Petrucci rechnet nicht damit, dass die Beweisanordung vor Ende 2004 genehmigt wird. Und dann würde es noch einmal zwölf oder achtzehn Monate dauern, bevor die Anordnung auch in den Gesetzen der Mitgliedsländer umgesetzt wäre.