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Nichts wird mehr sein, wie es war?

Felix Steiner11. März 2002

"Nichts wird mehr so sein, wie es war." Der Lieblingssatz nach dem 11. September – inzwischen ist er zur Phrase verkommen. Felix Steiner kommentiert die politischen Entwicklungen in Deutschland nach den Terroranschlägen.

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In der Tat: Vieles von dem, was in den ersten Tagen nach den schockierenden Anschlägen von New York und Washington prophezeit wurde, ist so nicht eingetreten - weder der Dritte Weltkrieg noch eine neue Weltwirtschaftskrise und schon gar nicht die in manchem deutschen Feuilleton prognostizierte Abkehr von der sogenannten Spaß- und Konsumgesellschaft. Die Angst vor dem Terror, die so plötzlich auch mitten in die deutsche Gesellschaft hinein katapultiert worden war, sie ist mit der zeitlichen Distanz zu den Bildern von den brennenden und einstürzenden Türmen des World Trade Centers wieder weitgehend verschwunden. Die Dinge in Deutschland gehen wieder ihren gewohnten Gang.

Eine vergleichbare Entwicklung hat auch die deutsche Politik genommen. Der Herbst 2001 kannte kaum ein anderes Thema, als den Kampf gegen den Terror. Der Bundeskanzler bekundete ein ums andere Mal seine uneingeschränkte Solidarität mit den USA und positionierte die deutsche Außenpolitik damit neu: Solidarität erhielt unumkehrbar auch eine militärische Komponente. Weite Teile der parlamentarischen Opposition und die öffentliche Meinung folgten diesem Schritt ebenso wie der Verschärfung einer Fülle von Sicherheitsgesetzen, die vor dem 11. September undenkbar gewesen wären.

Und jetzt, sechs Monate später? Politik und Gesellschaft in Deutschland widmen sich Parteispenden, Arbeitsmarktfragen und der Zuwanderungspolitik, als hätte es nie andere Themen gegeben. Vorsorge gegen vergleichbare Anschläge in Deutschland? - Niemand spricht mehr darüber, obwohl notwendige Antworten bis heute nicht gegeben wurden. Der Kampf gegen den Terror - er reduziert sich in der politischen Diskussion allein auf den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Und selbst hier suggeriert die Bundesregierung, dass der Wiederaufbau des zerstörten Landes am Hindukusch im Vordergrund stünde. Dass auch Soldaten der Bundeswehr im Kampf gegen Al-Qaida-Kämpfer an vorderster Front beteiligt sind, erfahren die Deutschen aus amerikanische Quellen. Was aber macht die Bundesmarine vor dem Horn von Afrika? Und warum üben deutsche Soldaten den Schutz vor atomaren und chemischen Angriffen in Kuwait? Hierauf bleibt die Bundesregierung Antworten schuldig. Ebenso auf die Frage, wann der Kampf gegen den Terror beendet ist, oder - sollte er noch länger andauern - was die nächsten Schritte mit deutscher Beteiligung sein werden.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Kanzler heute - ohne die suggestive Kraft der Schreckensbilder vom 11. September - seine Zusage der uneingeschränkten Solidarität mit den USA gerne begrenzen würde. Stünde er noch voll hinter ihr, dann müssten gemeinsam mit den USA auch die Terrorpotenziale außerhalb Afghanistans ehrlich diskutiert werden. Und es müsste in Deutschland offen debattiert werden, ob die USA wirklich so schlecht beraten sind, sowohl ihren Militäretat wie auch die Mittel für die Katastrophenvorsorge im Inland massiv aufzustocken. In Deutschland ist Vergleichbares undenkbar - nicht nur weil dies schmerzhafte Einsparungen an anderer Stelle notwendig machen würde und diese Diskussionen in einem Wahljahr niemand gerne führt. Deutschland bleibt sorglos. Und das macht deutlich: Vieles ist auch heute noch so, wie es vor dem 11. September war.