Neues Leben für "pardon"
27. August 20121962: 17 Jahre nach Kriegsende ist Deutschland noch immer mit Wiederaufbau und Vergangenheitsbewältigung beschäftigt. NS-Prozesse, Wirtschaftswunder und Nierentisch prägen das Land. Gelacht werden kann wenig, zumindest über das gedruckte Wort. Die Lage ist ernst: Satirezeitschriften und Komikbücher, die Politpolemik mit Kulturkritik, Realsatire mit aktuellem Nonsens verbinden, sucht man am Kiosk vergeblich. Da erscheint am 27. August das Satire-Blatt "pardon".
Das erste Titelbild setzt auf Knalleffekt: Ein Männchen reckt einen bunten Blumenstrauß wie eine Freiheitsfackel in die Höhe. Dazwischen ist eine Bombe mit brennender Lunte versteckt. "Damals gab es noch ganz verkrustete Verhältnisse", erinnert sich Hans A. Nikel, einer der Gründungsväter von "pardon". Der Untertanengeist der längst vergangenen Kaiserzeit war noch immer weit verbreitet, sagt er: "Da habe ich mir gedacht: Nein, so geht es nicht! Wozu haben wir einen neuen Staat? Jetzt muss eine Zeitschrift her, die dies aufs Tablett bringt!"
Spaßguerilla mit spitzer Feder
Chefredakteur Nikel kümmert sich um Themen und Inhalte. Und das mit Erfolg - zunächst jedenfalls: In den besten Jahren erreicht "pardon" eine Auflage von 320.000 Exemplaren. Dafür sorgt auch der illustre Kreis an namhaften Schriftstellern und Journalisten. "Ich merkte, da geht was Neues los", so der Autor Robert Gernhardt kurz vor seinem Tod, "da wird eine Sprache gesprochen, da werden Witze gemacht, Pointen gesetzt, auf die ich gewartet hatte."
Markenzeichen des auflagenstärksten europäischen Satireblattes ist das kleine Teufelchen, das hinterhältig seine schwarze Melone zum Gruße lupft. Das "pardon"-Logo kommt aus der Feder des später berühmt gewordenen Karikaturisten Friedrich Karl Waechter: "Ich habe die Zeit bei pardon deshalb so genossen, weil ich davor in der Schule brav und angepasst war und nun plötzlich die Erfahrung machte, für das, wofür ich in der Schule noch Ohrfeigen bezog, jetzt bei 'pardon' geliebt und getätschelt zu werden."
Wallfahrt nach Walhalla
Die monatlich erscheinende Satireschrift schafft es immer wieder, die Republik zu empören und zum Lachen zu bringen. Legendär ist die "pardon"-Langspielplatte über die sprachlichen Entgleisungen des Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Etwa als er in Madagaskar die Präsidentengattin mit dem Namen der Hauptstadt begrüßte. Es ging darum, Demokratie auf die Straße bringen, erinnert sich Nikel: "Wir haben die verrücktesten Aktionen gemacht, um zu zeigen, dass man als Redakteur nicht nur hinter dem Schreibtisch sitzt, sondern dass man Demokratie lebendig macht."
Was damals noch die Öffentlichkeit provoziert, gehört heute zu den Klassikern des investigativen Satirejournalismus, darunter das illegale Aufstellen einer Büste des späteren Literaturnobelpreisträgers Günter Grass in der Regensburger Walhalla. Hier, wo bedeutende deutsche Dichter und Denker von staatlicher Seite mit einer Marmorbüste geehrt werden, karikiert "pardon" die Stilisierung des Autors zum Nationaldenkmal.
Machen Sie doch mal Revolution!
"pardon" wird zum Kultblatt der 1968er-Bewegung und jüngeren Intelligenz. Absurd, anarchisch, geistreich, frech - die Zeitschrift verbindet Politik mit Witz, Information mit Satire und Philosophie mit feinsinniger Comic-Illustration. Mit dem Sonderteil "Anders Leben", mit Berichten über Zukunftswerkstätten profiliert sich "pardon". Als eine der ersten Zeitschriften löst sie eine Diskussion über die Atomenergie aus und konfrontiert mit den Schattenseiten des technisch Machbaren. Zu Zeiten, als die Partei "Die Grünen" noch gar nicht existierten, hatte die Redaktion das Thema Ökologie aufgegriffen.
Legendär ist auch jener von "pardon" erfundene Amateurdichter, der acht Maschinenseiten aus Robert Musils berühmtem Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" an 30 Verlage als Arbeitsprobe schickt und mit der Bitte versieht, den Text zu veröffentlichen. Alle gehen "pardon" auf den Leim. Deutschlands Lektorenschaft lehnt den unbekannten Text ab. Das Publikum vermag nicht zu entscheiden, was lächerlicher ist: die literarische Unbildung oder die verlegerische Arroganz.
Autoritäre Führung
Ende der 1970er Jahre beginnt es innerhalb der Redaktion zu brodeln. Nikels Führungsstil gilt als autoritär. Wichtige Mitarbeiter trennen sich von der Redaktion. Mit der Auflage von "pardon" geht es weiter bergab. 1984 wird die Zeitschrift eingestellt. 2004 erneut aufgelegt, doch schon Jahre später verschwindet sie wieder aus den Zeitschriftenregalen.
Jetzt wird die Grande Dame der deutschen Schmunzel-Magazine zum dritten Mal reanimiert. Ob Vatileaks, Politiker-Plagiate oder Hakenkreuz-Tattoo-Affäre in Bayreuth: Die Zeit für eine "pardon"-Neuauflage ist überfällig. Im November soll das Heft erscheinen. Herausgeber ist Wolfram Weimer, Ex-Chefredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und zuletzt Chef des Nachrichtenmagazins "Focus". Er hat bereits Zusagen von renommierten Autoren. Geplant ist zunächst eine einmalige Ausgabe zum 50. Jubiläum von "pardon". Fortsetzung nicht ausgeschlossen: Wenn die erste Ausgabe ein Erfolg wird, soll es weitere Hefte geben.