Neuer Optimismus, alte Zweifel
4. Februar 2017Vier Tage demonstriert Andrei Mușat nun schon gegen die in seinen Augen korrupte Regierung. Am Samstagabend will er sogar am Siegesplatz übernachten, wo Regierung und Parlament ihren Sitz haben. "Wir demonstrieren seit Dienstag und es ist der Regierung einfach egal", sagt der 18-jährige Student. "Ich bringe meine Decke mit und werde hier schlafen. Wer möchte, soll mitmachen. Das wird ein 24-Stunden-Protest. Das ist wichtig."
Hinter Mușat stehen fünf Nachbildungen aus Pappe von Mitgliedern der Regierungspartei (PSD) in schwarz-weiß gestreiften Sträflingsanzügen. Der 18-Jährige ist einer von Tausenden, die am Freitagabend auf dem Siegesplatz sind, um ihre Wut über die Regierung zu zeigen. Im Kern geht es um eine umstrittene Verordnung, die den Kampf gegen Korruption erschwert.
"Diese alten Politiker, die schon während des Kommunismus politische Ämter inne hatten", sagt Mușat und zeigt auf die Pappkameraden. "Die verstehen heute immer noch nicht, wie Demokratie funktioniert. Deshalb sind wir hier."
Ein Schritt vorwärts, einer zurück
Seit dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2007 hat Rumänien langsame, aber stetige Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption gemacht. Die hatte das Land lange im Würgegriff. Laut Transparency International kommt Rumänien 2016 bei der politischen Vorteilnahme aber noch immer auf den viertschlechtesten Rang innerhalb der EU.
Obwohl Rumänien in den vergangenen zwei Jahren schon drei Regierungen hatte, dachten viele Bürger, das Land bewege sich seit dem EU-Beitritt in eine positive Richtung. Doch am vergangenen Dienstag verabschiedete die gerade erst erneut zur Regierungspartei gewählte PSD ein Eildekret. Demnach soll Amtsmissbrauch nur noch dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Schadenssumme mindestens 200.000 Lei (rund 45.000 Euro) beträgt.
Darüber hinaus plant die Regierung eine Amnestie von Straftätern, die zu weniger als fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Von den Regeln könnten Vergewaltiger, Wiederholungstätern und auch verurteilte Politiker profitieren. Da der PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea persönlich wegen Amtsmissbrauchs vor Gericht steht (es geht um 24.000 Euro), wirkt das Dekret bei vielen Rumänen wie ein Versuch der Politiker, sich selbst zu begnadigen.
Historische Dimension
Die Demonstrationen sind die größten seit 1989. Mehr als 300.000 Menschen gingen bisher im ganzen Land auf die Straße. Die Hälfte davon in der Hauptstadt Bukarest. "Selbst Menschen, die diese Gesetze nicht genau kennen, verstehen, was das alles bedeutet. Es ist ein einvernehmlicher Freifahrtschein zur Bestechung", sagt Iuliam, der seinen ganzen Namen nicht nennen will. Der 43-Jährige ist extra aus dem 180 Kilometer entfernten Focșani zum Siegesplatz gekommen, weil er "das hier sehen musste". Diese Möglichkeit wolle er sich nicht entgehen lassen. "Unsere Bevölkerung steht auf, während unsere Regierung erstaunlich still ist."
In Rumänen sei die Korruption schon lange zur Norm geworden, sagt er, während eine Blaskapelle im Hintergrund spielt. Er sei beeindruckt von der Größe der Demonstrationen. Die Proteste seien gerechtfertigt, aber sie würden sehr wahrscheinlich auf lange Sicht nicht viel verändern.
Unterstützung ohne Erwartungen
Es gab einige Hooligans, die Böller warfen, sonst sind die Proteste bislang weitgehend friedlich verlaufen. Polizisten sichern das Parlamentsgebäude am Siegesplatz, zögern aber nicht, mit Demonstranten für Selfies zu posieren. Am Freitagabend gab einer der Polizisten sogar einen Schal mit der Flagge Rumäniens an Studentin Andy, die ebenfalls ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte. Die Polizei sei auf ihrer Seite, sagt die 20-Jährige. "Sie sind hier um uns zu beschützen."
Auch der rumänische Präsident Klaus Iohannis hat bereits seine Unterstützung für die Demonstranten erklärt. "Es sind hunderttausende Rumänen auf der Straße und wir vertrauen ihnen", so Iohannis beim EU-Gipfel in Malta. "Ich glaube, die europäischen Werte müssen sich durchsetzen und das wird auch geschehen."
Auch die einflussreiche Orthodoxe Kirche gibt den Protestierenden Rückhalt. Ein Minister ist bereits zurückgetreten. Andere haben sich dafür ausgesprochen, dass das Verfassungsgericht das Dekret zurückweisen soll, wenn es am 7. Februar darüber berät.
Die vielen Gegenstimmen scheinen den gewünschten Erfolg zu bringen. So hat nun auch Liviu Dragnea nicht mehr ausgeschlossen, dass das Gesetz zurückgenommen wird. Er wolle nun dem Ministerpräsidenten Sorin Grindeanu Lösungen zur Beendigung des innenpolitischen Konflikts vorschlagen.
"Ich möchte optimistisch sein", so Andrei Ivan, ein Fotograf aus Bukarest. Dass so viele Menschen zu den Demonstrationen kommen, stärke seinen Optimismus. "Aber ich bin mir nicht sicher, was als Nächstes geschieht und ob es überhaupt etwas verändern wird", so der 27-Jährige. Auf die Frage, ob sich die EU stärker sich zu Wort melden solle, antwortet er, dass die meisten Rumänen gegen eine Einmischung von außen seien.
Auch glaube er nicht, dass EU-Sanktionen die Regierungspartei beeindrucken würden. "Das Einzige, das sie interessiere, ist ihre Hintern aus dem Gefängnis zu bekommen."