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Neue Vertretung untermauert Beziehung

Ayhan Simsek1. November 2012

Der türkische Premier Erdogan hat in Berlin die neue türkische Botschaft eingeweiht. Es ist die größte Auslandsvertretung Ankaras und ein Symbol für die engen Beziehungen, wenngleich diese nicht immer einfach sind.

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Eine deutsche und eine türkische Fahne wehen im Wind (Foto: dpa)
Deutsche und türkische FahneBild: picture-alliance/dpa

Premierminister Recep Tayyip Erdogan hat in Berlin einen neuen Botschaftskomplex eröffnet: Ankaras künftig größte Außenvertretung weltweit, die jetzt an den Standort im historischen Botschaftsviertel zurückkehrt, wo sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg stand. "Das Gebäude ist ein Ausdruck der großen Bedeutung, die wir Deutschland beimessen und vor allem der türkischen Bevölkerung, die hier lebt", sagte der türkische Botschafter in Deutschland, Hüseyin Avni Karslioglu, gegenüber der türkischen Presse.

Die Beziehungen der beiden Länder sind seit Langem geprägt von den 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Die meisten davon sind Kinder und Enkel von Gastarbeitern, die in den 1960er Jahren einer Anwerbeaktion der deutschen Bundesregierung gefolgt waren.

Neue türkische Botschaft in Berlin (Foto: DW)
Neue türkische Botschaft in BerlinBild: DW

Wirtschaft rückt in den Vordergrund

Deutschland ist inzwischen der größte Handelspartner der Türkei. Der bilaterale Handel erreichte 2011 ein Rekordhoch von 31,4 Milliarden Euro, trotz der Wirtschaftskrise in Europa. Aus Deutschland kommt außerdem der größte Teil der Auslandsinvestitionen in der Türkei. Inzwischen gibt es dort über 4800 Firmen mit deutschem Kapital. Nicht zuletzt ist Deutschland die größte Einkommensquelle der türkischen Tourismusbranche: 4,8 Millionen Deutsche machen jedes Jahr Urlaub in der Türkei.

Ihr jahrzehntelanger wirtschaftlicher Boom beförderte die Türkei auf Platz 15 der größten Volkswirtschaften der Welt - und hat auch ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland verändert: In diesem Jahr beendete Deutschland 50 Jahre Entwicklungshilfe für das Land. Das zuständige deutsche Ministerium verkündete im September, dass es die Türkei nun als "wirtschaftlichen Partner auf Augenhöhe" betrachte.

Der türkische Botschafter in Deutschland: Hüseyin Avni Karslioglu (Foto: dapd)
Der türkische Botschafter in Deutschland: Hüseyin Avni KarsliogluBild: dapd

Die ewige Unstimmigkeit: Der EU-Beitritt

Trotz der steigenden Bedeutung der Türkei für Deutschland und die Europäische Union sind die europäischen Regierungschefs bislang nicht davon überzeugt, dass die Türkei reif für die EU-Aufnahme ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Partei, die CDU, gehören zu den entschiedensten Gegnern des türkischen EU-Beitritts und bieten der Türkei stattdessen eine "privilegierte Partnerschaft" an.

Neben Deutschland lehnen auch andere EU-Staaten eine volle Mitgliedschaft der Türkei ab, außerdem hat das Land seinen jahrzehntelangen Konflikt mit Zypern nicht gelöst. Beides hat den EU-Beitrittsprozess zum Stillstand gebracht - und letztlich dem Demokratisierungsprozess des Landes einen Dämpfer verpasst.

Der Kurden-Konflikt: Gegenseitige Anklagen

In seinem aktuellen Menschenrechtsbericht stellte das deutsche Außenministerium auf dem Gebiet der demokratischen Rechte und Freiheiten in der Türkei erhebliche Defizite fest. In letzter Zeit übt die türkische Regierung verstärkt Druck auf die Medien aus. Laut Kritikern steckt dahinter die Absicht, die Opposition zum Schweigen zu bringen. Unterdessen sind rund 100 Journalisten wegen unterschiedlichster Anschuldigungen im Gefängnis. Alarmierend bleibt auch die Situation der Kurden. Im Kampf gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK hat die Türkei mehr als 2000 Menschen festgenommen.

Türkische Soldaten sichern die Gebirgsregion in der Nordtürkei an der Grenze zum Irak (Foto: dpa)
Umstritten: Das Vorgehen der Türkei in den Kurden-GebietenBild: picture-alliance/dpa

Ein sich ausweitender Hungerstreik von über 600 kurdischen Kämpfern in türkischen Gefängnissen verstärkt die Bedenken gegenüber Erdogans Politik in der Kurden-Frage. Aber der türkische Premierminister beharrt auf seinem Vorgehen und beschuldigte vor kurzem europäische Länder, darunter besonders Deutschland, Ankaras Kampf gegen die PKK zu behindern. "Deutschland will keine Lösung - Frankreich will keine Lösung. Diese Länder helfen uns nicht. Stattdessen nehmen sie auch noch die Terroristenführer auf", sagte er vergangenen Monat in einem Fernseh-Interview.

Der selbstbewusste Erdogan: Ein unbequemer Partner

Obwohl die Türkei für Deutschland an Bedeutung gewonnen hat und die Zusammenarbeit stärker geworden ist, ist die "neue" Türkei bisweilen ein schwieriger Partner für Berlin. Die Haltung der Türkei in der Syrien-Krise und die Aufnahme von über 100.000 syrischen Flüchtlingen ist von deutscher Seite gelobt worden. Doch die selbstbewusste Politik der türkischen Regierung ruft teilweise auch Bedenken hervor.

Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (Foto: AP/dapd)
Uneins in Sachen Integration: Recep Tayyip Erdogan und Angela MerkelBild: dapd

Beispiel Integration: Dass sie nötig ist, darüber sind sich die deutsche und die türkische Regierung einig - ihre Ansätze sind allerdings höchst unterschiedlich. Erdogan ist ein ausgesprochener Kritiker der Politik Merkels: Während eines Treffens mit den Vertretern der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland rief er seine Landsleute auf: "Integriert euch in die deutsche Gesellschaft, aber gleicht euch nicht an. Niemand hat das Recht, uns unserer Kultur und unserer Identität zu berauben. Angleichung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Dieser Aufruf stieß in der deutschen Politik und in der Öffentlichkeit auf scharfe Kritik.

Türkischer Wahlkampf in Deutschland

Diese Ansichten wird Erdogan während seines zweitägigen Berlin-Besuchs bis Mittwoch (31.10.2012) vermutlich bekräftigen. Und dieses Mal wird er sich wohl ganz besonders vehement an die 1,3 Millionen türkischen Bürger wenden, die nach einem kürzlich verabschiedeten Gesetz zum ersten Mal von Deutschland aus an einer Wahl in der Türkei teilnehmen dürfen. Deutschland wurde mit der Gesetzesänderung zum viertgrößten Wahlbezirk der Türkei; nach Istanbul, Ankara und Izmir.

Der türkische Premierminister Erdogan winkt zu einer Masse von Anhängern bei einer Veranstaltung der AKP (Foto: dpa)
In Deutschland wird Erdogan wohl nicht von allen Türken freudig empfangenBild: picture-alliance/dpa

Dass Erdogan seine Wiederwahl im Hinterkopf hat, wenn er sich bei seinem Besuch an die türkische Bevölkerung im Land wendet, sehen manche Beobachter in Deutschland kritisch: Es könnte auf einen neuen Rückschlag für die Integration hinauslaufen, befürchten sie. Allerdings wird Erdogan in Berlin wohl nicht nur auf wohlgesonnenes Wahlvolk treffen: Denn auch unter den Türken in Deutschland hat er Gegner - und die haben im Vorfeld seines Besuchs zu Demonstrationen aufgerufen.