Neue EU-Mitglieder fürchten Preissteigerung durch Euro
4. März 2006Noch ist nicht einmal klar, ob Estland tatsächlich wie geplant zum 1. Januar nächsten Jahres auf den Euro umstellt. Doch schon jetzt wird dort eifrig debattiert, ob sich der Euro als "Teuro" entpuppen könnte. "Den Begriff 'Teuro' kennen wir auch in Estland gut. Es ist wie überall: In den alten Ländern denken die Leute, der Euro habe die Preise erhöht. Und auch in den neuen Ländern denken sie, er werde genau dazu führen", sagt Andrus Alber, Berater des estnischen Notenbank-Präsidenten.
Gefühlte Preissteigerung
Immerhin können die neuen Euro-Länder von den alten lernen: Dass es zum Beispiel zwischen der gefühlten Inflation und der tatsächlichen Preisentwicklung Unterschiede gibt. Estnische Experten warnen, die konkreten Auswirkungen der Preisängste zu unterschätzen. Sie könnten tatsächlich zu höheren Preisen führen - eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, wie die euroskeptischen Briten sagen. Estland hat das bereits beim EU-Beitritt erlebt. Alle Zeitungen berichteten im Vorfeld des Beitritts, der Zuckerpreis werde sich unweigerlich vervielfachen. Und so kam es auch. "Weil die Leute hohe Preissteigerungen erwarteten, konnten die Händler die Preise tatsächlich enorm hoch setzen: Alle sagten, 'Das war doch klar', und keiner beschwerte sich darüber", erinnert sich Alber.
Am Ende hatte sich der Preis tatsächlich, genau wie zuvor berichtet, verdreifacht, er liegt heute sogar über dem Zuckerpreis Finnlands. Entsprechend drängt die estnische Regierung die heimischen Medien, Preisängste in der Berichterstattung nicht zusätzlich zu schüren. Das Finanzministerium wird noch weitere Maßnahmen ergreifen. "Die Verbraucherschutzbehörde wird die Preise beobachten; sie wird auch überprüfen, ob die doppelte Preisauszeichnung in den Geschäften nach korrektem Wechselkurs erfolgt", sagt Anne Sulling, Euro-Projektchefin beim estnischen Finanzministerium.
Kampf gegen Preistricks
Die Angst vor Euro-bedingten Preistreibereien ist weit verbreitet. Drei von vier Bürgern in den neuen EU-Ländern seien von ihr befallen, so EU-Währungskommissar Joaquín Almunia. Im litauischen Parlament wurde daher sogar diskutiert, spezielle Gesetze gegen Euro-Preistricks zu erlassen. Slowenien setzt derweil auf eine besonders lange Phase der so genannten doppelten Preisauszeichnung: Seit dem 1. März 2006 müssen alle Läden und Supermärkte die Preise sowohl in der Landeswährung Tolar als auch in Euro beziffern, zehn Monate vor dem geplanten Beitritt zur Euro-Zone. Das soll Preistricks bei der Umstellung durchschaubar machen.
Derweil ist noch keineswegs sicher, ob tatsächlich alle drei Länder den Euro wie geplant zum 1. Januar einführen dürfen. Die Inflationsraten der beiden baltischen Länder lagen zuletzt über der Höchstmarke, die von den Maastrichter Stabilitäts-Kriterien festgelegt worden ist. Eine Folge des anhaltend hohen Wirtschaftswachstums im Baltikum, aber auch der höheren Ölpreise, wie der estnische Nationalbank-Berater Alber betont: "Bei uns ist der Anteil des Öls am Warenkorb viel größer als in den alten Mitgliedsländern, weil deren Lebensstandard höher ist. Und: Estland liegt weiter im Norden als Italien oder Griechenland, braucht deswegen generell mehr Öl."
Haushaltsüberschüsse in Estland
Die derzeitige Entspannung am Ölmarkt weckt umgekehrt Hoffnungen, dass sich die Inflationszahlen bis zum Herbst wieder in Richtung des EU-Mittelmaßes abschwächen könnten. Was die anderen Beitrittskriterien betrifft, so können sich die drei führenden Euro-Aspiranten sehen lassen. Estland beispielsweise erwirtschaftet seit fünf Jahren Haushaltsüberschüsse; es hat gemessen an der Wirtschaftskraft die geringste Staatsverschuldung aller EU-Staaten. Bei den größeren EU-Neulingen ist die fiskalische Disziplin hingegen ähnlich mangelhaft wie bei manchen alten EU-Staaten; Ungarns Euro-Start ist deswegen in weite Ferne gerückt. Polen wiederum weigert sich bislang sogar, überhaupt auch nur einen Termin zu nennen, an dem das Land beitreten möchte.