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Neue Einsätze für die Bundeswehr?

Alexander Drechsel24. Oktober 2015

Vor 70 Jahren trat die UN-Charta in Kraft. Nun besinnt sich die UN wieder stärker auf ihre Rolle als Friedensmacht und setzt dafür auch auf Blauhelme. Der Druck auf Deutschland wächst, sich daran stärker zu beteiligen.

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Blauhelmsoldat mit Gewehr (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Lange Zeit wurde die deutsche Regierung kritisiert, dass sie zu wenig Personal für Einsätze der Vereinten Nationen bereitstelle. Vor allem, wenn es um die sogenannten Blauhelme geht, hält Deutschland sich seit 20 Jahren deutlich zurück. 1993 hatte die Bundeswehr beispielsweise noch etwa 1700 Soldaten in den UN-Einsatz nach Somalia geschickt. Heute sind es in sieben Ländern gerade noch 165 Bundeswehr-Angehörige, die im UN-Auftrag arbeiten. Das entspricht lediglich 0,18 Prozent aller Blauhelme.

"Das ist der Größe Deutschlands, der Bedeutung Deutschlands, auch seiner Rolle international in der UN nicht angemessen", sagt Friethjof Schmidt, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. "Und ich setze mich dafür ein, dass die Beteiligung gestärkt wird. Das kann auch im zivilen Engagement bestehen. Das kann in Bereitstellung von Transportkapazitäten bestehen. Wir müssen nicht immer gleich über Militär reden."

Schmidt will der UN vor allem mehr Polizisten zur Verfügung stellen, um in Nachkriegsgesellschaften Rechtssicherheit zu garantieren. Da das Bundesinnenministerium aber nur wenige eigene Polizisten beschäftigt, müssten die Polizeien der 16 Bundesländer das Personal stellen, doch daran haben die jeweiligen Landesregierungen kein Interesse.

Bundesregierung kommt unter Druck

Aber der internationale Druck auf Deutschland, sich stärker an UN-Friedensmissionen zu beteiligen, wächst. Denn die Vereinten Nationen entdecken die Blauhelme als wirksames Instrument gerade wieder: Am Rande der Generalversammlung in New York im September fand der "Leader's Summit on Peacekeeping" statt. Mehr als 50 Staaten sagten zu, die UN-Friedenstruppen von derzeit etwa 110.000 um insgesamt 40.000 Soldaten und Polizisten zu verstärken. Allein China will 8000 Mann stellen. US-Präsident Barack Obama versprach ebenfalls ein deutlich stärkeres Engagement der USA. Deutschland war dagegen in New York nicht unter den Staaten, die nennenswert mehr Personal oder Material stellen wollen.

Fahnen vor Gebäude (Foto: DW/A.Drechsel)
Das Multinationale Kommando Operative Führung in UlmBild: DW/A.Drechsel

Tobias Pietz vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) beklagt denn auch, dass die deutschen Streitkräfte und das Verteidigungsministerium in Berlin der Entwicklung hinterherhinken: "Wenn man sich anschaut, wie in der Bundeswehr oder im Verteidigungsministerium über die Vereinten Nationen diskutiert wird, merkt man, dass man sich von deutscher Seite in den letzten 20 Jahren nicht wirklich signifikant mit Blauhelmen beteiligt hat und von daher einiges verpasst hat, was mittlerweile passiert ist bei den Vereinten Nationen."

"UN-Einsatz wird oftmals nicht wahrgenommen"

Diesen Eindruck bestätigt auch der deutsche Offizier Gunnar Kozlowski, der mehrfach für die UN im Sudan und im Südsudan als unbewaffneter Militärbeobachter gearbeitet hat: "Ich glaube, wichtig ist, dass man im Auslandseinsatz war, das wird erwartet von Soldaten. Aber wenn man im UN-Einsatz ist, wird das oftmals selbst von der Bundeswehr gar nicht wahrgenommen, und einige Kameraden wissen vielleicht gar nicht, wo wir überall sind mit fünf, zehn oder fünfzehn Soldaten."

Dennoch beginnt sich langsam etwas zu verändern. Vor einer Woche kündigte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen an, einige zusätzliche Bundeswehr-Soldaten zur UN-Friedensmission nach Mali zu schicken. Vom dem kommenden Jahr an sollen sie die im Norden des Landes eingesetzten niederländischen Truppen teilweise entlasten und aufklären, wo sich Terrorgruppen und Milizen bewegen.

Deutsches Hauptquartier für UN-Einsätze

Auch anderweitig bereitet sich die Bundeswehr auf kommende UN-Missionen vor. Im süddeutschen Ulm baut sie das "Multinationale Kommando Operative Führung" aus. Im Auftrag von Nato, EU, aber auch der UUNO sollen in dem Hauptquartier weltweite Militäreinsätze mit bis zu 60.000 Soldaten geplant werden.

General Roßmanith (Foto: DW/A.Drechsel)
Generalleutnant Richard Roßmanith, Befehlshaber des Kommandos Operative FührungBild: DW/A.Drechsel

"Es gibt relativ wenige - und in Europa kenne ich überhaupt keines -, welche die Qualität haben, die mein Hauptquartier hier hat", sagt der Befehlshaber, Generalleutnant Richard Roßmanith. Er ist hörbar stolz: "Sie sehen hier Heeres-, Luftwaffen-, Marineoffiziere, auch aus dem multinationalen Umfeld. Das ist etwas, was es seltener gibt, insbesondere unter dem Aspekt, ein verlegbares Hauptquartier zu haben. Selbst die US-Streitkräfte haben so etwas in dieser Art nicht."

Bislang arbeiten etwa 700 Soldaten aus 16 Nationen in Ulm. Und sollten die Vereinten Nationen eine neue und umfangreiche Friedensmission beschließen, könnte die Bundeswehr mit dem Ulmer Kommando eine Schlüsselrolle spielen - wenn die Bundesregierung es denn wollte. Dann würden Soldaten aus Ulm direkt im Einsatzland eine Kommandozentrale aufbauen, um internationale Truppen an Land, in der Luft oder zu Wasser zu befehligen.

Deutschland soll sich nicht entziehen

Ob und wann es dazu kommen könnte ist völlig unklar. Aber eine künftige starke Beteiligung der Bundeswehr an UN-Friedensmissionen wird wahrscheinlicher. Einen Hinweis gibt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Vor wenigen Wochen prognostizierte er in einem Gastbeitrag eine internationale Friedensmission für Syrien. Dann, so Perthes, solle Deutschland sich nicht entziehen, wenn die Vereinten Nationen Truppensteller suchten. Einen Tag, nachdem der Beitrag erschienen war, wurde bekannt, dass Perthes zum Berater des UNO-Sonderbeauftragten für Syrien, Staffan de Mistura, berufen wurde und dort die Arbeitsgruppe "Militär, Sicherheit und Terrorabwehr" leitet.