Neue Blüte, leere Kasse
3. Januar 2003Der Manitu-Effekt ist verpufft: Der Ausnahme-Erfolg der Western-Persiflage "Der Schuh des Manitu", der 11,6 Millionen Zuschauer ins Kino zog, hatte 2001 den Marktanteil des deutschen Kinofilms auf 18,4 Prozent emporschnellen lassen. Da 2002 ein auch nur annähernd vergleichbarer deutscher Publikumshit ausblieb, plumpste der Marktanteil bis Ende September auf 12,4 Prozent. Damit lag er sogar noch unter dem bescheidenen Ergebnis von 13 Prozent im Jahr 2000. Zum Jahreswechsel haben Hollywood-Mammutproduktionen wie die zweiten Folgen von "Harry Potter" und "Herr der Ringe" sowie der 20. Bond-Film den Anteil der deutschen Streifen sogar auf gerade mal zehn Prozent sinken lassen.
Konjunkturdelle an der Kinokasse
Auch die deutschen Kinobetreiber, die noch bis zum Juni Zuwachsraten erzielen konnten, bekamen nach Angaben der Filmförderungsanstalt im dritten Quartal eine Konjunkturdelle ab. Sie fuhren bis zum 30. September einen Umsatzrückgang von drei Prozent auf 672 Millionen Euro ein und mussten bei den Besuchern einen Verlust von acht Prozent oder 10,6 Millionen Kinofans hinnehmen. Die Fachzeitschrift "Filmecho/Filmwoche" prognostizierte, dass bei einem Minus von fast sechs Prozent bei den Besuchern und von gut drei Prozent beim Umsatz die Spitzenresultate des Vorjahres nicht mehr erreicht wurden.
Dem deutschen Film fehlte in diesem Jahr nicht nur ein Überflieger wie "Manitu", sondern auch ein solide Spitzengruppe. Übersprangen im Vorjahr gleich acht deutsche (Ko-)Produktionen die Grenze von einer Million verkaufter Tickets, so gelangen das dieses Jahr nur dem Kinderfilm "Bibi Blocksberg" mit zwei Millionen Besuchern, dem Emigrantendrama "Nirgendwo in Afrika" (1,3 Millionen), der Teeniekomödie "Knallharte Jungs" (eine Million) sowie dem US-Action-Spektakel "Resident Evil" (eine Million), das nur dank des deutschen Produzenten Bernd Eichinger in die inländische Leistungsbilanz gelangte.
Verschwunden im Orkus
Zur Besucherflaute trugen gleich mehrere Filme bei, die weit hinter den Erwartungen zurückblieben. So wollten trotz internationaler Stars nur 420.000 Kinogänger Tom Tykwers Melodram "Heaven" sehen und nur 350.000 Zuschauer das Lustspiel "Wie die
Karnickel" von Comic-König Ralf König ("Der bewegte Mann"). Auch Fatih Akin hatte für sein Gastarbeiterdrama "Solino" mehr Resonanz als die bisher 360.000 Zuschauer erhofft. Längst im Kino-Orkus verschwunden ist die Gangsterklamotte "Auf Herz und Nieren" (Til Schweiger/Thomas Jahn). Schmerzhafte Flops lieferten ferner Dominik Graf mit "Der Felsen" (42.000 Zuschauer), Dani Levy mit "Väter" (37.000) und Christopher Roth mit "Baader" (23.000).
Zu den wenigen positiven Überraschungen zählte Sandra Nettelbecks charmante Kochromanze "Bella Martha", die hierzulande 460.000 Besucher verwöhnte und in den USA bisher vier Millionen Dollar einspielte. Doris Dörries neuer Beziehungskistenstreich "Nackt" lockte gar 907.000 Neugierige an, und Andreas Dresens improvisierter Low-Budget-Berlinale-Hit "Halbe Treppe" immerhin noch 307.000.
Kritikerlob für Experimente
Viel Kritikerlob konnte auch Oliver Hirschbiegels gerade angelaufenes Kinoexperiment "Mein letzter Film" einheimsen, den Hannelore Elsner - bravourös wie in "Die Unberührbare" - ganz alleine vor der Kamera bestreitet.
Angesichts der kommerziellen Flaute träufeln wenigstens einige internationale Festivalerfolge von Nachwuchsregisseuren sowie lukrative Lizenzverkäufe Balsam auf die Wunden der Branche. So konnte "Halbe Treppe" - ähnlich wie "Der Schuh des Manitu" - inzwischen in mehrere Länder verkauft werden. Henner Wincklers Jugendtragödie "Klassenfahrt" errang die Großen Preise in Genf und Belfort. Die Pariser Zeitung "Libération" verstieg sich danach zu der Einschätzung, das deutsche Kino erlebe einen "neue Blüte". Ob sich diese zukünftig auch an der Kasse bemerkbar machen wird? (ddp)