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Neue Anlaufstelle will bedrohten Kommunalpolitikern helfen

31. Juli 2024

Fast 11.000 Bürgermeister prägen in Deutschland die Politik vor Ort. Doch oft werden sie bedroht, erfahren Gewalt. Eine neue Anlaufstelle beim Bund will Abhilfe schaffen. Am 1. August eröffnet sie.

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Bundespräsident spricht vor älteren Leuten, im Vordergrund Stühle
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Veranstaltung mit Kommunalpolitikern im April 2024Bild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Sie sind das Gesicht der Politik vor Ort - doch oft bläst den kommunalen Politikern in Deutschland ein heftiger Wind entgegen. Drohungen und sogar Gewalt sind keine Seltenheit in Deutschland. Das hat auch die deutsche Bundesregierung als Problem erkannt - und richtet jetzt eine Stelle ein, an die sich betroffene Politiker und Politikerinnen wenden können. Die "Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger" ist eine Einrichtung des Bundesinnenministeriums. Sie nimmt am 1. August ihre Arbeit auf.

Innenministerin Nancy Faeser erklärt, was sie damit erreichen will: "Damit stärken wir allen den Rücken, die wegen ihres politischen Engagements diffamiert und bedroht werden. Mit unserer Ansprechstelle erhalten sie einen Unterstützer und Lotsen, der weitere Hilfe schnell vermitteln kann". Konkret heißt das: Wer Bedrohung, Gewalt oder Sonstiges erfährt, kann sich an eine neu eingerichtete Telefonnummer wenden und bekommt dort eine Empfehlung für ein Hilfsangebot in seiner Nähe.

Das Problem, dass manch einer sich schon gar nicht mehr kommunal engagieren möchte wegen der Anfeindungen, das ist lang bekannt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte schon bei einem Treffen mit Kommunalpolitikern vor einigen Monaten: "Wenn Bürgermeister oder Gemeinderäte bestimmte Reizthemen nicht mehr ansprechen, ihre Social-Media-Accounts löschen oder sogar ihr Amt oder Mandat niederlegen, um sich und ihre Familie vor Anfeindungen zu schützen; wenn Menschen, die gern kandidieren würden, davon Abstand nehmen, weil sie nicht zur Zielscheibe des Hasses werden wollen, dann dürfen Demokratinnen und Demokraten das nicht einfach achselzuckend hinnehmen." 

Alarmierende Zahlen

Die Körber-Stiftung hatte im Frühjahr 2024 eine repräsentative Umfrage beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben. Danach gaben 40 Prozent der ehrenamtlichen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen an, dass sie oder Personen aus ihrem Umfeld schon einmal wegen ihrer Tätigkeit beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen wurden. Bei den hauptamtlichen Mandatsträgern sind es sogar 57 Prozent  laut einer Forsa-Umfrageaus dem Jahr 2021.

Aufgrund dieser Erfahrung hat mehr als jeder vierte ehrenamtliche Bürgermeister schon einmal darüber nachgedacht, sich aus der Politik zurückzuziehen - aus Sorge um die eigene Sicherheit. Zudem berichten fast zwei Drittel der Befragten, dass sich in ihrer Gemeinde zunehmend Unmut und Unzufriedenheit unter den Bürgerinnen und Bürgern breit macht. 35 Prozent sehen im Rechtsextremismus in den kommenden Jahren eine große Herausforderung für die eigene Gemeinde. Knapp jede und jeder Fünfte berichtet von vermehrt demokratiefeindlichen Tendenzen. In Ostdeutschland stimmt sogar jede und jeder Vierte dieser Aussage zu. 

Es hätte auch Tote geben können

Michael Müller hat es in seinem Heimatort Waltershausen in Thüringen zu spüren bekommen. Vor dem Haus des SPD-Lokalpolitikers wurde im Februar dieses Jahres ein Brandsatz gezündet. 

Müller kann es immer noch nicht fassen. In der Tatnacht brannte erst das Auto vor dem Haus, dann geriet die Fassade in Brand. In dem Haus hatte Müller eine Familie mit zwei Kindern untergebracht. Zum Glück konnten sie sich retten. Später wird der Brandgutachter von einem gezielten Mordanschlag sprechen.  

Kommunalpolitiker - beleidigt, bedroht, angegriffen

An einen Zufall mag Müller nicht glauben. Er hatte erst wenige Tage zuvor zu einer Demonstration gegen Rechtsextreme aufgerufen. Michael Müller sieht diese Bedrohungen mit großer Sorge, denn "viele Leute überlegen, ist es wert, meine Freizeit zu opfern für diese Gesellschaft, die mich aber im Gegenzug bedroht?" Irgendwann, so seine Befürchtung, "wird es immer weniger Menschen geben, die ihre Freizeit opfern und als Stadträte, Gemeinderäte, ehrenamtliche Bürgermeister arbeiten". Die würden dann " lieber etwas Schönes mit der Familie zu machen”, vermutet er.

Eine im Rahmen des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz durchgeführte repräsentative Studie bestätigt ähnliches für die Debatte im digitalen Raum. Je stärker sie verroht, desto mehr Menschen ziehen sich aus den Diskursen im Netz zurück.

Deutschlands Kommunalpolitiker fürchten sich - zu Recht

Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin von Köln, entrann 2015 nur knapp dem Tod. Einen Tag vor der Wahl stach ihr ein fanatisierter Rechtsradikaler in den Hals. Andreas Hollstein, Bürgermeister der Stadt Altena, wurde 2017 von einem aufgebrachten Flüchtlingshasser ebenfalls ein Messer in den Hals gestoßen. Als 2019 der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Rechtsradikalen ermordet wird, rüttelt dies viele auf.

Die Mandatsträger wehren sich

Um Durchzuhalten muss man vermutlich so überzeugt von seiner politischen Arbeit sein wie die Bürgermeisterin der brandenburgischen Stadt Zossen, Wiebke Şahin-Schwarzweller. Die Liberale sagt der DW, dass sie schon während ihres Wahlkampfes 2019 offen bedroht worden sei. "Auch mein Ehemann, der türkischer Herkunft ist, war Ziel von Verleumdungen, die gegen mich gerichtet waren." 

Wiebke Şahin-Schwarzweller, Bürgermeisterin von Zossen, steht auf der Treppe des Zossener Rathauses und lächelt in die Kamera
Wiebke Şahin-Schwarzweller: Die Bürgermeisterin von Zossen will sich nicht klein kriegen lassenBild: Bettina Stehkämper/DW

Doch die Kommunalpolitikerin wehrt sich. Denn anders als Spitzenpolitiker werden Kommunalpolitiker weder durch gepanzerte Limousinen, Personenschutz oder Gesetze ausreichend geschützt. Also kämpfen sie dafür, so gut vernetzt und informiert zu sein, dass wenigstens dies sie schützt. Die neu eingerichtete Ansprechstelle könnte ein weiterer Baustein sein, damit Kommualpolitiker wieder in Frieden arbeiten können. 

 

Dieser Artikel erschien erstmals am 12.04.2024 und wurde am 31.07.2024 aktualisiert.