Neuauszählung von Anschlägen überschattet
17. Juli 2014Feierlich gab der Chef der afghanischen Wahlkommission, Ahmad Yousuf Nuristani (Artikelbild), am Donnerstag (17.07.2014) in Kabul die erneute Auszählung der bei der Stichwahl vom 14. Juni abgegeben Stimmen bekannt. Über 8,1 Millionen Wahlzettel aus Wahllokalen des ganzen Landes werden in Kabul neu gezählt. Darauf hatten sich die beiden Kandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani auf Vermittlung der USA geeinigt, nachdem es zu heftigem Streit über Wahlfälschungen und die Gültigkeit der ersten Auszählung gekommen war. 100 Teams werden in zwei Schichten sieben Tage die Woche arbeiten, um innerhalb von wenigen Wochen ein gültiges Ergebnis präsentieren zu können.
Die Eile ist begründet, denn nun verschiebt sich die Vereidigung des neuen Präsidenten um einen Monat. Gleichzeitig drängen die USA und die internationale Gemeinschaft auf den baldigen Amtsantritt eines neuen Präsidenten. Zu dessen ersten Amtshandlungen wird die Unterzeichnung des Sicherheitsabkommens mit den USA gehören, Voraussetzung für die weitere Präsenz einer stark reduzierten NATO-Truppe in Afghanistan. "Wir hoffen, dass beide Kandidaten und ihre Teams das Ergebnis diesmal akzeptieren, so wie es vereinbart wurde", sagte Nuristani vor der Presse in Kabul. "Egal wer gewinnt, sie sind jetzt gezwungen, den Gewinner zu akzeptieren", bekräftigte Nuristani.
Einigung nach US-Vermittlung
US-Außenminister John Kerry war vergangenes Wochenende (12.07.2014) nach Kabul gereist, um zwischen den Kandidaten zu vermitteln. Schließlich einigte man sich neben der Neuauszählung auch darauf, den Verlierer der Wahl in die neue Regierung einzubinden.
Abdullah Abdullah gab am selben Tag (17.07.) in einer Pressekonferenz Details zu der Vereinbarung bekannt. Nach der Bekanntgabe der Ergebnisse solle eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet werden. "Eine solche Regierung ist dringend erforderlich und für das Wohl Afghanistans von Vorteil“, so der ehemalige Außenminister. Der Rahmen dafür sei festgelegt und er hoffe, dass die Zusammenarbeit reibungslos erfolge, so Abdullah. Sein Vize-Kandidat Mohammad Mohaqeq hatte bereits vor einigen Tagen mitgeteilt, dass der Verlierer der Wahl die Position eines "chief executive" innerhalb der Regierung erhalten solle. Dieser Posten werde nach entsprechender Änderung der afghanischen Verfassung dann zum Posten des Ministerpräsidenten ausgeweitet. Mit dieser Sprachregelung hat sich die Lage in Kabul nach Ansicht von Beobachtern entspannt, beide Kandidaten zeigten sich versöhnlich, die teilweise aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung kühlte sich ab.
Taliban verstärken Angriffe
Der Beginn der Neuauszählungen fand nur wenige Stunden nach einem Angriff der Taliban auf den Flughafen in Kabul statt. Die Angreifer besetzten zunächst ein oder zwei unfertige Gebäude in der Nähe des Flughafens und nahmen diesen von dort unter Beschuss. Der Flughafen wird sowohl für den zivilen Luftverkehr als auch von der Nato-Truppe ISAF genutzt, die dort einen Stützpunkt unterhält. Nach vier Stunden sei es den afghanischen Sicherheitskräften gelungen, die Angreifer zu besiegen, sagte General Ayub Salangi, stellvertretender Minister für Sicherheit im afghanischen Innenministerium, der Deutschen Welle. "Es war ein organisierter Anschlag. Zum Glück haben die afghanischen Sicherheitskräfte inzwischen die Fähigkeit, solche Anschläge abzuwehren und ihre Pläne zu vereiteln. Unsere Spezialeinheiten sind mittlerweile so weit, professionell Operation auszuführen und Selbstmordattentate zu verhindern", sagt der afghanische Sicherheitsbeamte.
Erst am Dienstag (15.07.2014) wurden bei einem Selbstmordanschlag in Paktika im Südosten des Landes über 40 Menschen getötet. Es war einer der verheerendsten Anschläge seit Beginn der US-Militäroperationen in Afghanistan. Auch Mitarbeiter von Präsident Karsai wurden in dieser Woche zwei Mal attackiert, zwei Menschen kamen ums Leben. Die verschärfte Sicherheitslage sei ein Zeichen dafür, dass die Taliban weiterhin mitmischen wollen, so Michael Paul, Senior Fellow für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Die Taliban werden jede Möglichkeit nutzen, sich wieder ins Rampenlicht zu bringen und auf den politischen Prozess einzuwirken", so Paul. Sollte eine afghanische Regierung zustande kommen, die im Gegensatz zur Regierung Karsai über eine hohe Legitimität verfügt, sei das "gleichzeitig das beste Mittel gegen die Taliban, um ihnen die Unterstützung in der Bevölkerung zu entziehen beziehungsweise um ihr Ansinnen von vorneherein auf eine schwache legitimatorische Ebene zu stellen."
Lufttransport der Wahlurnen durch ISAF
Umso wichtiger sei es deshalb, dass die afghanischen Sicherheitskräfte in der Lage sind, die Angriffe der Taliban einzudämmen, damit der neue Präsident reibungslos gekürt werden kann. "Langfristig muss die afghanische Nationalarmee natürlich weiter unterstützt werden, nicht nur finanziell sondern auch mit entsprechender Ausbildung und Beratung“, so Paul. Er sei aber optimistisch, dass die afghanische Armee ihre schwere Aufgabe bewältigen werde.
Auch General Salangi ist zuversichtlich. Die Neuauszählung werde sicher vonstatten gehen, sagte er der DW. "Da die afghanischen Sicherheitskräfte und die internationalen Truppen diese Aufgabe zusammen bewältigen, ist das Vertrauen groß, dass die Wahlurnen alle sicher transportiert werden. Die ISAF wird vor allem den Transport der Wahlurnen auf dem Luftweg gewährleisten", so Salangi. Insgesamt sollen 23.000 Wahlurnen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gebracht werden. Die ISAF übernimmt den Transport von 40 Prozent der Stimmzettel per Flugzeug. Nach Angaben der afghanischen Wahlkommission wird die Neuauszählung bis zu drei Wochen dauern.