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Neu eingeschenkt: Naturweine in Berlin

Molly Hannon / ad3. Dezember 2015

Zu gutem Essen gehört für viele auch Wein. Der wird immer öfter ohne Zusätze und aufwändige Kellertechnik produziert. Die Amerikanerin Molly Hannon beobachtet schon länger den Trend zu Naturweinen in Berlin.

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Berlin RAW Weinmesse
Bild: RAW Fair

Zum ersten Mal habe ich 2012 von Naturwein gekostet. Ich war in Paris zu Besuch bei einem Freund. Dort war ich auf der Suche nach Ideen für neue Geschichten. Ich aß mit Wendy Lyn von The Paris Kitchen., der renommiertesten kulinarischen Expertin der Stadt, zu Mittag. Vor meinem Besuch hatte ich Lyn erzählt, dass ich auf der Suche nach neuen Ideen für Geschichten über Paris sei. Was war da gerade en vogue? War die gallische Küche unter ihren schweren Saucen zusammengebrochen, oder erfreute sie sich gar neuer Beliebtheit, wie ein Gerücht behauptete?

Themenbild Kolumne Scene in Berlin NEU!

Lyn bestätigte mir, das Gerücht sei in der Tat wahr - und dann erwähnte sie Naturwein. "Also so eine Art organischer oder biodynamischer Wein," antwortete ich.

"Aber nein, meine Liebe, Naturwein ist etwas ganz anderes. Sie sollten einen Artikel darüber schreiben. Ich werde Sie zum Mittagessen einladen und einigen Leuten vorstellen."

Wir trafen uns im Vivant, einem kleinen französischen Bistro im 10. Arrondissement, das ursprünglich einmal eine Tierhandlung gewesen war.

"Sind Sie bereit, etwas ganz neuartiges zu probieren?" fragte mich Lyn.

Berlin RAW Weinmesse
Winzer, die natürlichen, organischen und biodynamischen Wein herstellen, treffen sich auf der RAW Messe - dieses Mal in Berlin.Bild: RAW Festival

Ich hatte mich zwar als eine auf Nahrungsmittel spezialisierte Autorin vorgestellt, und vertrat stets die Werte von Slow Food. Aber wenn es um Wein geht, würde ich das nicht so eng sehen, und so ziemlich alles süffeln.

"Klar! Das machen wir."

Wein ohne Kompromiss?

Mehr als 200 Enzyme und Chemikalien dürfen dem Wein hinzugefügt werden - ohne ausdrücklich auf dem Etikett erwähnt werden zu müssen. Natürliche Weinzubereitung bedeutet Beschränkung auf minimale Einflussnahme des Winzers, einschließlich des Verzichts auf die Zugabe von Chemikalien und Zusatzstoffen, sowohl auf dem Weinberg, als auch im Weinkeller.

Doch gibt es keine genaue Definition von natürlichem Wein. Die meisten Menschen stimmen darin überein, dass ein natürlicher Wein aus Biotrauben ohne den Einsatz von Hefen, Enzymen und Chemikalien hergestellt, und nur mit Hilfe von möglichst wenig Schwefeldioxid in Flaschen abgefüllt wird.

Pierre Jancou, der Autor von " Vin Vivant ", sowie Besitzer des Vivant Restaurants, ist recht dogmatisch, wenn es um Naturwein geht. Auf Französisch bedeutet "Vivant" lebendig. In diesem Sinne symbolisiert der Konsum von "lebendigem Wein" die Idee des Restaurants. Nach seinen hohen Standards, wäre in einer perfekten Weinwelt natürlicher Wein ungefiltert, unverfeinert und ungeschwefelt. Das ist jedoch nur selten der Fall, da die meisten Winzer sich gezwungen sehen, irgendwo Kompromisse einzugehen - wo und wann sie das tun, bestimmt dann, ob ein Wein natürlich ist, oder nicht.

Von Paris nach Berlin

Im Gegensatz zu Paris, wo gutes Essen und Trinken quasi als ein Geburtsrecht gilt, ist Berlins kulinarischer Ruf im Ausland normalerweise eher durch spätabendliche Saufgelage und die Techno-Szene geprägt. Doch das scheint sich jetzt zu ändern: Naturwein ist auf dem Vormarsch.

Das vergangene Wochenende lieferte den Beweis für dieses wachsende Interesse. Denn in Berlin fand das RAW Festival statt (Artisan Wine Fair) - RAW, eine Messe für Naturweine, wo die besten natürlichen, organischen und biodynamischen Weine vorgestellt wurden.

Die Entscheidung, zum ersten Mal das RAW Festival in der deutschen Hauptstadt abzuhalten, spiegelt die wachsende Bedeutung von gutem Wein und guter Küche in Berlin wider – denn bislang war die Stadt als kulinarischer Hotspot nicht so bekannt wie etwa andere Städte, die die Messe bislang beherbergt hatten, darunter London. Und die Bedeutung des RAW Festivals sollte keineswegs unterschätzt werden, meint jedenfalls Ursula Heinzelmann, eine führende deutsche Weinkennerin und Gastro-Journalistin.

Zwei Trends, die Esskultur ganz neu definieren

Als ich 2011 zum ersten Mal Ursula Heinzelmann interviewte, sprach sie von zwei Trends, die derzeit die Berliner Esskultur umgestalten würden. Der eine entstand nach der Weltmeisterschaft 2006, als die Deutschen nach langer Zeit zum ersten Mal wieder einen gewissen Nationalstolz zum Ausdruck brachten. Die Rückgewinnung einer nationalen Identität erneuerte das Interesse der Deutschen an ihrer eigenen Esskultur und den Produkten des eigenen Landes.

Den zweiten Trend definierte Heinzelmann als "Offenheit".

Als Deutschlands größte Stadt und historischer Schmelztiegel, war Berlin schon immer besonders offen für neue Kulturen wie auch Geschmacksrichtungen, weshalb hier die Bereitschaft, neue Projekte in dieser Richtung zu unterstützen, besonders groß ist. Und Naturwein bildet hier keine Ausnahme.

Die ständige Neuerfindung von Berlin

Obwohl ich nach meiner Reise nach Paris 2012 nicht mehr Naturwein in Berlin antraf als zuvor, bemerkte ich eine Veränderung, seitdem ich im Sommer dorthin zurückkehrt bin.

Auf der Sonnenallee in Neukölln liegt Industry Standard, ein relativ neues Restaurant, das zu kleinen, aus regionalen Zutaten wie Fleisch und Gemüse hergestellten Gerichten nur Naturwein serviert.

Solcherlei Restaurants, von jungen Köchen und Unternehmern geleitet, verändern langsam den kulinarischen Charakter der Stadt.

Da der Trend zum Naturwein weiterhin wächst, wird debattiert, ob es sich tatsächlich um eine langfristige Veränderung der Geschmacksgewohnheiten handelt, oder doch eher um eine kurzlebige Modeerscheinung. Aber es gibt natürlich Parallelen zwischen dem wachsenden Hang hin zu Gerichten aus hochwertigen, nur wenig verarbeiteten Zutaten ohne Konservierungsstoffe, und natürlich hergestelltem Wein.

In einer Stadt wie Berlin, die sich ständig neu erfindet, ist es wenig überraschend, dass sich Naturwein wachsender Beliebtheit erfreut, egal, ob man diese Entwicklung nun als echte Veränderung oder Modeerscheinung betrachtet – oder einfach nur als ethisch vertretbare Art, sich zu besaufen. Egal, wie man dies sieht, Tatsache ist, dass Naturwein immer häufiger auf den Speisekarten, oder bei großen Weinfestivals auftaucht.

Und wer Berlin kennt, weiß auch, dass der dort ausgeschenkte Naturwein alsbald mit einer besonderen eigenen Geschmacksnote versehen werden wird – falls das nicht sowieso schon längst geschehen ist.