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KonflikteIsrael

Netanjahu wollte Palästinenser spalten - und spaltete Israel

Felix Tamsut
21. Januar 2024

Israels Premier Benjamin Netanjahu wollte die Hamas am Leben erhalten, um einen palästinensischen Staat zu verhindern. Seit dem Terrorangriff am 7. Oktober ist Israel mit den Schwachstellen dieses Plans konfrontiert.

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Porträtbild von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, im Hintergrund israelische Fahnen
Wie wird er in die Geschichte eingehen? Israels Ministerpräsident Benjamin NetanjahuBild: Ohad Zwigenberg/AP/dpa/picture alliance

Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist der Ansatz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, den Status quo unbedingt aufrechtzuerhalten. Und das trotz seiner berühmten Grundsatzrede an der Bar-Ilan-Universität, in der er 2009 der Gründung eines palästinensischen Staats im Prinzip zugestimmt hatte. Sein Handeln zeigt jedoch, dass er und seine Regierungen mehr daran interessiert sind, den inner-palästinensischen Konflikt zwischen der Hamas und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO aufrechtzuerhalten - selbst um den Preis, die Hamas am Leben zu erhalten.

Die Hamas ist eine militante islamistische, palästinensische Gruppe, die den Staat Israel beseitigen will. Deutschland, die Europäische Union, die USA und einige arabische Staaten stufen sie als Terrororganisation ein.

Laut der rechtskonservativen Website Mida hat Netanjahu seiner Likud-Partei 2019 erklärt, man müsse zulassen, dass die Hamas finanzielle Unterstützung aus Katar bekomme - das sei ein Schlüsselfaktor dafür, einen palästinensischen Staat zu verhindern. "Das ist Teil unserer Strategie: Eine Trennung zwischen den Palästinensern in Gaza und im Westjordanland herbeizuführen", sagte er.

In den vergangenen Jahren war das Vorgehen des Regierungschefs großen Teilen der israelischen Gesellschaft ziemlich gleichgültig. Seit dem 7. Oktober hat sich die Situation jedoch verändert.

Konzeptwandel: Es braucht unterschiedliche Lösungsansätze

Einer der meistbenutzten Ausdrücke seit dem Horror des Hamas-Terrorangriffs am 7. Oktober ist "shinui konsepzia", das heißt "Konzeptwandel". Die Menschen erwarten andere Lösungen als jene, die ihnen die Akteure auf beiden Seiten des politischen Spektrums bis dahin angeboten haben. Und Netanjahu hat bisher keinerlei Lösung angeboten.

Man muss dazusagen: Wie schon US-Außenminister Antony Blinken festgestellt hat, glauben weite Teile der israelischen Gesellschaft derzeit nicht, dass es überhaupt eine Lösung für den Konflikt gibt.

Frauen stehen zusammen, warm angezogen im Freien, und halten Porträtfotos hoch mit der Aufschrift "Geisel der Hamas seit 100 Tagen"
Viele Israelis wollen vor allem eines: dass die Geiseln endlich freikommen - Protest in Paris 100 Tage nach dem Terrorangriff der HamasBild: Gonzalo Feuntes/REUTERS

Liberale und linksgerichtete Israelis fordern Wahlen - sie wollen, dass Netanjahu ersetzt wird. Dessen Regierung mit ihren rechtsaußen stehenden Mitgliedern versucht wiederum, den Krieg zu nutzen, um die israelischen Siedlungen wieder aufzubauen, die beim Abzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 evakuiert wurden.

Netanjahu selber hat wiederholt gesagt, dass Israel nicht die Absicht habe, das zu tun. Seine Koalitionspartner dagegen, angeführt vom rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, tingeln durch die TV-Studios und fordern eine sogenannte "freiwillige Abwanderung" der Palästinenser aus dem Gazastreifen.

Netanjahu hat die eigene Regierung nicht im Griff

Ben-Gvirs Aufstieg zeigt auch, wie weit Netanjahu die Kontrolle über seine Regierung verloren hat. Früher haben alle anderen politischen Parteien - auch der Likud - die radikalen Elemente in der israelischen Rechten klar abgelehnt. Dann hat Netanjahu Ben Gvir, den bekanntesten Rechtsaußen-Akteur, öffentlich unterstützt, um sein eigenes politisches Überleben zu sichern. So hat er einem Mann politische Legitimität verschafft, der wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung rechtskräftig verurteilt ist.

Umfragen zufolge schwindet die Unterstützung für Netanjahu - während die rechtsextreme Partei Otzma Jehudit (Jüdische Stärke) von Itamar Ben Gvir vermutlich sogar mehr Sitze im Parlament erringen könnte als die gegenwärtigen sechs.

Gaza-Streifen: Humanitäre Lage verschlechtert sich weiter

Was auch immer geschieht - die israelische Gesellschaft nach dem 7. Oktober wird sehr, sehr anders sein als jene davor, in politischer und anderer Hinsicht. Entsprechend wird sie Netanjahus jüngste Äußerungen bewerten, dass Israel nach dem Ende des Krieges die Sicherheitskontrolle im Gazastreifen ausüben müsse.

Netanjahus Platz in der Geschichte wird von den Antworten auf zwei Fragen bestimmt werden: Ist die Hamas immer noch eine Gefahr für Israel? Und können die israelischen Geiseln der Hamas wohlbehalten zurückkehren?

Netanjahu ist Israels am längsten amtierender Ministerpräsident und er hat oft gesagt, er möchte als "Israels Verteidiger" erinnert werden. Doch falls seine Regierung die Ziele nicht erfüllt, die sie öffentlich vertritt, wird sein Vermächtnis sein, den ersten Krieg begonnen zu haben, den das Land verloren hat.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.