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PolitikGlobal

NATO: Neuer Generalsekretär Rutte tritt an

30. September 2024

Jens Stoltenberg geht. Der ehemalige niederländische Premier Mark Rutte kommt. Nach verlorener Wahl daheim startet er international durch und tritt am 1. Oktober seine neue Position an. Bernd Riegert berichtet.

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Mark Rutte auf dem Fahrrad
Ganz lässig auf dem Fahrrad: So kennt man Mark Rutte in Den Haag - bei der NATO in Brüssel werden die Sicherheitsvorkehrungen für ihn strenger seinBild: Koen van Weel/AFP

Mark Rutte fiel bislang stets durch gute Laune und so manchen flotten Spruch auf. Als er noch niederländischer Ministerpräsident war, fuhr er gern mit dem Fahrrad von seiner bescheidenen Wohnung in Den Haag zu seinem Amtssitz. Der talentierte Pianist spielte schon mal im Hauptbahnhof auf einem öffentlichen Klavier. In einer Schule gab er regelmäßig Politik-Unterricht.

Als NATO-Generalsekretär wird er sich wohl ein wenig zurücknehmen und diplomatischer werden müssen. Seine Hauptaufgabe wird schließlich sein, die widerstreitenden Interessen unter den 32 Mitgliedsstaaten der Allianz auszugleichen und ihr nach außen ein einheitliches Auftreten zu ermöglichen. "Die wichtigste Aufgabe jedes Generalsekretärs ist es, die Einigkeit der Allianz zu gewährleisten", sagt Timo Koster, ein ehemaliger NATO-Diplomat, im Gespräch mit der DW. Ruttes Vorgänger, der Norweger Jens Stoltenberg, war darin ein stoischer Meister. 

Jens Stoltenberg legt Mark Rutte freundschaftlich einen Arm auf die Schulter
Den Laden zusammenhalten: Mark Rutte und Vorgänger Jens Stoltenberg (re.) sind beide BrückenbauerBild: NATO

Job als NATO-Generalsekretär: "unglaublich interessant"

"Wahre Führung erfordert die Fähigkeit zuzuhören und verschiedene Perspektiven zu verstehen", hat der 56-jährige Rutte selbst einmal in einer Rede gesagt. Als im Juni klar war, dass er auf den NATO-Chefsessel kommen würde, trat Mark Rutte hemdsärmelig vor sein Büro im Binnenhof in Den Haag und schoss zunächst einige Selfies mit überraschten Touristen. Dann erklärte er wartenden Reportern mit gespielter Bescheidenheit: "Naja, eigentlich wollte ich den Job am Anfang gar nicht." Einige Menschen hätten ihm dazu geraten, weil er es könne, so Rutte. "Mit allem, was in der Ukraine passiert, und der großen Instabilität in der Welt, da habe ich gedacht, ich kann es nicht einfach sein lassen. Das ist eine unglaublich interessante Position."

Die Zugeständnisse des Mark Rutte an Viktor Orban 

Der gewiefte Niederländer, der 13 Jahre lang vier komplexe Koalitions-Regierungen anführte, verschwieg im Juni allerdings, dass er seit Oktober letzten Jahres bereits einen diskreten Ein-Mann-Wahlkampf in den Hauptstädten der NATO-Staaten geführt hatte. Im Juli 2023 hatte er die Wahlen in den Niederlanden verloren und wurde von der Partei des rechtsextremen Gert Wilders verdrängt. Als überzeugter Transatlantiker und vehementer Unterstützer der Ukraine konnte der studierte Historiker die USA und die allermeisten Verbündeten schließlich überzeugen.

Bei seinem europäischen Intimfeind Viktor Orban dauerte es aber länger. Dem rechtsnationalen ungarischen Ministerpräsidenten musste Mark Rutte per Brief versprechen, dass Ungarn während seiner Amtszeit als NATO-Generalsekretär niemals an Aktivitäten der Allianz für die Ukraine außerhalb des NATO-Gebietes teilnehmen muss. Waffenlieferungen an die Ukraine schloss der Russland zuneigende Viktor Orban ebenfalls aus.

Mark Rutte umarmt Wolodymyr Selenskyj
Umarmung für den ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Juni in Frankreich: Rutte unterstützt den Abwehrkampf gegen RusslandBild: Christian Hartmann/REUTERS

Der liberale Niederländer und der illliberale Ungar waren in der Europäischen Union öfter aneinandergeraten. Mark Rutte hatte 2021 Viktor Orban öffentlich angeblafft, wenn es ihm in der EU nicht passe, könne er ja gehen. Orban gab Rutte die Schuld an allen Krisen in der EU.

Kann Mark Rutte die NATO "Trump-sicher" machen? 

Sollte in den USA Donald Trump wieder Präsident werden und die NATO ins Visier nehmen, ist Mark Rutte vorbereitet. Er hat überraschenderweise während dessen erster Amtszeit ein gutes Verhältnis zu Trump entwickelt. Donald Trump bezeichnet ihn sogar als Freund, obwohl der liberale Chef der Handelsnation Niederlande sich heftig gegen die Wirtschaftspolitik des sprunghaften Republikaners gewehrt hat.

"Sollte Donald Trump eine zweite Amtszeit bekommen, dann sind die Alliierten zuversichtlich, dass Rutte der Schlüssel dazu ist, die Allianz 'Trump-sicher' zu machen. Er wird als cool, ruhig und aufgeräumt wahrgenommen. Er weiß, wie man mit übergroßen Egos umgeht. Er hat mit Trump gearbeitet", meint Rachel Rizzo von der transatlantischen Denkfabrik "Atlantic Council."

Mark Rutte und Donald Trump sitzen im Oval Office und schütteln sich die Hand
Wenn es sein muss, kann er auch mit Trump (re.): Mark Rutte im Oval Office 2018Bild: Alex Brandon/picture alliance

Allerdings setzte sich Mark Rutte als Ministerpräsident im Gegensatz zu Trump für Waffenlieferungen an die Ukraine ein, stellte selbst Haubitzen und Kampfflugzeuge aus der niederländischen Armee bereit. Die war in den 13 Jahren seiner Regierungszeit finanziell nicht gut ausgestattet. Erst in diesem Jahr erreichen die Niederlande erstmals das NATO-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben.

Den russischen Machthaber Wladimir Putin betrachtet der Niederländer seit Jahren mit Misstrauen und Ablehnung, schließlich war Russland wohl mitverantwortlich für den Abschuss des Verkehrsflugzeuges MH-17 über der Ostukraine 2014. Mehr als 200 Menschen, die meisten von ihnen Niederländer, kamen damals ums Leben.

Mark Rutte: geschmeidiger Pragmatiker statt Visionär

In der Europäischen Union galt Mark Rutte oft als "Mr. No", berichtet ein EU-Diplomat. Weitreichende Reformpläne und Visionen à la Macron, dem französischen Präsidenten, waren ihm ein Gräuel. Mit dem eher kühlen Bundeskanzler Olaf Scholz versteht sich Mark Rutte gut. Er kann auch aber auch mit der Rechtsaußen-Ministerpräsidentin aus Italien, Giorgia Meloni. Mit ihr zusammen trat er für die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ein.

Mark Rutte hält eine Rede im Nationalarchiv von Den Haag
Mark Rutte war der erste Premier, der sich gegen viele Widerstände für die Sklavenausbeutung durch die Niederlande entschuldigte (Archiv 2022) Bild: Robin Utrecht/picture alliance

Er sei so etwas wie ein Houdini der Politik, schreibt seine Biografin Sheila Sitalsing. Wie der Entfesselungskünstler könne sich Rutte aus fast jeder Krise herauswinden. Eine Eigenschaft, die auf seinem neuen Posten als NATO-Generalsekretär noch nützlich sein könnte.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union