UN: Nationale Klimaziele völlig unzureichend
26. Oktober 2021"The heat is on", zu deutsch: "Es wird heiß hergehen" - so der Titel des neuen Emissionslückenberichts, den das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, gerade veröffentlicht hat. Darin werden die aktualisierten Nationalen Klimaschutzziele - englisch: "nationally determined contributions" (NDCs) - von 120 Staaten analysiert.
Die NDCs sind Teil des Pariser Klimaschutzabkommens. Alle Vertragsstaaten sind demnach verpflichtet, sich Nationale Klimaziele zu geben und regelmäßig über deren Umsetzung und über neue Ziele zu berichten.
Der Name des neuen UNEP-Berichts ist Programm - sein Ergebnis ist ernüchternd: Die aktualisierten NDCs verringern die weltweiten Treibhausgas-Emissionen bis 2030 lediglich um 7,5 Prozent. Um das Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen und die globale Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius (im Vergleich zu 1900) zu begrenzen, müssten die Treibhausgase aber um satte 55 Prozent sinken.
"Die Uhr tickt laut"
Umgerechnet heißt das: Bis 2030 muss die Welt 28 Gigatonnen CO2-Äquivalent (GtCO2e) pro Jahr an Emissionen einsparen. Für eine Begrenzung auf zwei Grad müssten die Staaten ihre klimaschädlichen Emissionen um immerhin noch 30 Prozent oder 13 GtCO2e verringern.
"Um es klar zu sagen: Wir haben acht Jahre Zeit, um Pläne zu machen, Maßnahmen umzusetzen, sie zu implementieren und schließlich die Reduktionen zu erreichen - die Uhr tickt laut", so fasst es Inger Andersen, die Exekutivdirektorin des UNEP zusammen.
Halten sich die Länder dagegen lediglich an ihre Nationalen Klimaziele, die sie laut dem Pariser Abkommen individuell festlegen dürfen, steuert die Welt auf eine Erhitzung von 2,7 Grad zu. "Das hätte katastrophale Klimaveränderungen zur Folge, mit denen wir überhaupt nicht mehr umgehen können - das gilt es unbedingt zu vermeiden", erklärt Niklas Höhne, Leiter des gemeinnützigen Forschungsinstituts New Climate Institute in Köln und Professor für Klimaschutz an der niederländischen Wageningen Universität, der DW.
Verpasste "COVID-19-Chance"
Enttäuschend ist laut UNEP-Bericht auch, dass Wirtschaftsförderung im Rahmen der Corona-Pandemie den Klimaschutz kaum berücksichtigt. Weniger als ein Fünftel dieser Investitionen tragen demnach zu einer Verringerung der Treibhausgas-Emissionen bei.
Zwar führte die Corona-Pandemie 2020 zu einem Rückgang der weltweiten Neu-Emissionen um 5,4 Prozent. Gleichzeitig aber erreichte die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre einen neuen Höchstwert, das zeigt der neueste Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO).
Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr sei noch höher ausgefallen als die durchschnittliche Zunahme in den vergangenen zehn Jahren. Und: "Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist höher als jemals zuvor in den letzten zwei Millionen Jahren", so die UNEP Autoren.
Hoffnung durch Netto-Null-Ziele?
Eine Chance, dass die globale Durchschnittstemperatur zumindest nur etwas über zwei Grad steigt, könnte es laut UNEP durch die angestrebten Netto-Null-Ziele geben. Solche Ziele haben die EU und weitere Staaten, darunter die USA, Japan, China und andere, im Rahmen des Pariser Abkommens gefasst.
Netto-Null bedeutet, dass alle durch den Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen der Atmosphäre an anderer Stelle wieder entzogen werden müssen. Dabei können künstliche und natürliche Treibhausgas-Senken, wie etwa Moore oder Wälder, mit den noch emittierten Treibhausgasen verrechnet werden.
"Vollständig umgesetzt, könnten die Netto-Null-Ziele die globale Erwärmung um weitere 0,5 Grad verringern und damit den prognostizierten Temperaturanstieg auf 2,2 Grad Celsius senken", heißt es im UNEP-Bericht. Kritisch sieht der Bericht allerdings, dass viele Staaten erst nach 2030 auf netto null kommen wollen.
Eine extreme Welt - auch bei "nur" zwei Grad mehr
Die Staaten müssten ihre langfristigen Netto-Null-Ziele mit den laufenden Nationalen Klimaschutzzielen verknüpfen und schnell voranbringen, fordert UNEP-Exekutivdirektorin Andersen. "Das kann nicht erst in fünf Jahren geschehen, oder in drei Jahren - wir müssen jetzt damit beginnen", so Andersen.
Denn auch bei einem Stopp der globalen Erderhitzung auf zwei Grad Celsius werde die Welt kein beschaulicher Ort sein, sagt Niklas Höhne vom New Climate Institute. "Wir sind derzeit bei einer Temperaturerhöhung von einem Grad. Und wir sehen Dürren, Waldsterben, Fluten, wie im Ahrtal, und Brände überall auf der Welt. Zwei Grad Erhöhung bedeutet in erster Näherung doppelt so viele Fluten, doppelt so viele Extremwetterereignisse."
Mit Methan und CO2-Handel starten
Eine weitere Chance, die klaffende Lücke zwischen dem Ziel und dem Ist-Zustand in Sachen Emissions-Verringerung zu schließen, sieht der UNEP-Bericht beim Treibhausgas Methan. Methan entweicht etwa bei der Förderung fossiler Brennstoffe, es entsteht bei der Verrottung von organischem Abfall, der Abwasseraufbereitung sowie in der Landwirtschaft, vor allem in der Viehwirtschaft oder beim Reisanbau.
Das Gas baut sich in der Atmosphäre nach zwölf Jahren ab, gleichzeitig ist es in seiner relativ kurzen Lebensdauer um ein Vielfaches klimaschädlicher als Kohlendioxid. Daher könne eine rasche Reduzierung von Methan-Emissionen den Temperaturanstieg kurzfristig schneller begrenzen, als eine Reduzierung von CO2, so der Bericht.
Auch Mechanismen wie etwa Ausgleichszahlungen an ärmere Länder oder der Handel mit CO2-Zertifikaten könnten bei richtiger Ausgestaltung dazu führen, dass Staaten ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen ergriffen, schreiben die UNEP-Autoren.
"Wir sind so spät dran mit dem Klimaschutz, dass die Industrieländer zusätzlich zu Anstrengungen zuhause auch unbedingt den Entwicklungsländern helfen müssen, so schnell wie möglich die Emissionen zu reduzieren. Die Emissionslücke ist so groß, dass sich kein Land zurücklehnen kann," meint Niklas Höhne.
Der diesjährige Bericht über die Emissionslücke zeige nicht nur Versäumnisse sondern auch, dass es noch enormes Potential für mehr Klimaschutz gebe, so UNEP-Exekutivdirektorin Inger Andersen. So würden durch Klimamaßnahmen, die zwischen 2010 und 2021 ergriffen wurden, bis 2030 jährlich elf Gigatonnen CO2-Emissionen eingespart.
"Wir sollten nicht verzweifeln. Aber die Welt muss aufwachen und sich der drohenden Gefahr bewusst werden, der wir als Spezies ausgesetzt sind. Wir müssen entschlossen handeln. Wir müssen schnell handeln. Und wir müssen es jetzt tun."