"Mut zur Selbstbestimmung"
7. September 2016Deutsche Welle: Herr Abgeordneter, wie geht es Ihnen jetzt als designiertes Mitglied des 70-köpfigen Parlaments?
Law: Ich war erleichtert, da ich den Erwartungen vieler Unterstützer gerecht geworden bin. Es war ein kleines Wunder, dass ich bei den Wahlen am Sonntag mehr als 50.000 Direktstimmen gewinnen und so auf Platz 2 des Wahlkreises "Hongkong Island" gewählt wurde.
Die erste Euphorie ist nun vorbei. Jetzt spüre die große Verantwortung. Viele Wähler haben mir einen Vertrauensvorschuss gewährt. Sie haben mir die Gestaltung ihrer Zukunft anvertraut. Das ist eine große Verpflichtung. Ich danke allen, die mir ihre Stimme gegeben haben, für den Vertrauensbeweis.
Die Meinungsumfragen vor den Wahlen sahen Sie nicht vorn. Wie konnten Sie die Wende schaffen?
Meine politischen Konkurrenten haben reichlich Erfahrung mit Wahlkämpfen. Sie werden von politischen Parteien unterstützt und sind im Wahlkreis sehr gut vernetzt. Dagegen bin ich ein unbeschriebenes Blatt, konnte nichts an politischen Erfolgen vorweisen. Viele Wähler kannten mich nicht. Ich sei zu jung, könne nur radikale Parolen rufen und keine Realpolitik gestalten, glauben sie. Mein Wahlkampf war denkbar schwer zu führen.
Erschwerend kam hinzu, dass die Wahlkommission mit meinen Wahlunterlagen nicht einverstanden war. Die Kernaussage meines Wahlkampfs war: "Den eigenen Weg selbst bestimmen". Für die Wahlaufsicht war sie zu heikel, so dass ich die Flyer nicht per Post an die Wähler verschicken durfte.
Um das wettzumachen, habe ich den Straßenwahlkampf mit noch größerem Engagement geführt. In meinem Wahlkreis war ich an jedem Ort, um von 7 Uhr morgens bis tief in die Nacht, trotz Wind und Regen, Wahlkampf zu machen. Nur so konnte ich die Menschen von meiner Position überzeugen. Vor allem die jungen Wähler.
Die Wahlbeteiligung in diesem Jahr war mit knapp 58 Prozent sehr hoch. Auch andere Kandidaten, die ähnliche politische Positionen wie Sie vertreten, wurden ebenfalls gewählt. Dagegen schieden einige altgediente Demokraten, aber auch pekingfreundliche Abgeordnete aus dem Parlament aus. Warum?
Die Wahlbeteiligung war beeindruckend hoch. Einige Wähler mussten bis 2 Uhr nachts in der Schlange stehen, bis sie ihre Stimme abgeben konnten. (Die Wahllokale schlossen regulär um 22:30 Uhr. Die Wahlberechtigten, die rechtzeitig dort warteten, durften dennoch wählen. Anm. d. Red.) Das hat mich sehr bewegt, denn es zeigt, dass Veränderung ein Herzensanliegen der Wähler ist. Sie, insbesondere die junge Generation und vor allem die Erstwähler, wünschen sich mehr Raum für Selbstbestimmung und die Gestaltung der Zukunft unserer Heimat.
Die jungen Menschen lieben Hongkong und sind sehr besorgt um ihre Zukunft. Dass wir als bodenständige Abgeordnete den Durchbruch geschafft hatten, stellt noch einmal unter Beweis, dass die junge Generation, zu der ich auch zähle, eine demokratische Gesellschaft mitgestalten will und Mut zur Selbstbestimmung hat.
Nach der Studentenbewegung, der sogenannten "Regenschirmbewegung", sind viele Menschen enttäuscht. In ihrer Sicht hat die Bewegung nichts gebracht. Wie bewerten Sie das als ehemaliger Studentenführer?
In der Tat ist es nach der Regenschirmbewegung viel ruhiger geworden. Dass sie gescheitert wäre, das sehe ich nicht so. Die Bewegung hat viele junge Menschen mobilisiert, sich auf unterschiedlichste Art und Weise an der Politik zu beteiligen, wie zum Beispiel durch die Gründung einer politischen Partei.
Die Regenschirmbewegung hat gesät. Die Früchte sieht man heute an der hohen Wahlbeteiligung und an der Kandidatur junger Menschen in verschiedenen Konstellationen. Wir wollen erreichen, dass die Stimme der jungen Generation im Parlament gehört wird. Dort lebt der Geist der "Regenschirmbewegung" weiter.
Mit wem wollen Sie denn in der neuen Legislaturperiode, die am 1. Oktober beginnt, koalieren?
Es liegt auf der Hand, dass ich mit den demokratischen Abgeordneten viele Gemeinsamkeiten teile. Wir müssen uns neu formieren und an einem Strang ziehen. Nur so können wir Hongkongs Prosperität nachhaltig sicherstellen.
Das Interview führte Vivien Wong in Hongkong.
Der prominente Aktivist Nathan Law war einer der Anführer der prodemokratischen Massenproteste von 2014. Der 23-Jährige forderte im Wahlkampf ein Referendum über die Loslösung Hongkongs von China. Vor zwei Jahren legten Demonstranten mit friedlichen Protesten Hongkong lahm. Ein Gericht verurteilte ihn, zusammen mit anderen Studentenführern, wegen "illegaler Versammlungen" zu 120 Stunden Sozialdienst.