Nasser Sommer: Baby-Störche erfrieren im Nest
16. August 2017130 Liter Niederschlag pro Quadratmeter - der Juli war dieses Jahr in Deutschland ungewöhnlich nass. Normalerweise fallen im Juli laut Deutschem Wetterdienst durchschnittlich nur 78 Liter Regen.
Zum Verhängnis wurde das nasse Wetter den Weißstörchenküken in ihren Nestern - viele sind in ihren Nestern erfroren. "Das kommt immer mal wieder vor, aber so extrem wie in diesem Jahr nicht", sagt Kai-Michael Thomsen, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Storchenexperte am Michael-Otto-Institut des Naturschutzbund Deutschlands (NABU) in Bergenhusen. In Schleswig-Holstein etwa ist im Durchschnitt nur ein Junges pro Nest groß geworden. Dabei kann ein Weißstorchenpaar in guten Zeiten sogar drei bis fünf Junge aufziehen.
Das Problem: Wenn die Küken drei bis vier Wochen alt sind, sind sie zu groß, um noch von ihren Eltern gewärmt zu werden. Sie haben aber auch noch kein wasserabweisendes Federkleid, sind hauptsächlich von Daunen bedeckt. "Sie sind dann schutzlos dem Wetter ausgesetzt", sagt Thomsen der DW. "Sie unterkühlen schnell und können sterben."
In Schleswig-Holstein traf es die Vögel besonders hart. Die etwa 278 Brutpaare dürften rund 1400 Eier gehabt haben, schätzt der NABU - nur aus jedem vierten Ei ging am Ende ein flugfähiger Storch hervor.
Weißstörche haben es im Gegensatz zu vielen anderen Vogelarten besonders schwer, sagt Thomsen: Sie brüten relativ spät und nur einmal im Jahr. Viele kleinere Vögel etwa können mit einer zweiten Brut etwaige Misserfolge wieder wettmachen.
"Keine Katastrophe"
Sorgen um den Storchenbestand in Deutschland mache er sich wegen der vielen gestorbenen Küken trotzdem nicht, sagt NABU-Experte Thomsen. "Das ist keine Katastrophe." Solche Einbrüche gebe es immer wieder mal. "Das kann sich mit einem guten Bruterfolg im nächsten Jahr wieder ausgleichen."
Denn im Grunde geht es der Art ganz gut: Im Jahr 1991 gab es 2950 Storchenpaare in Deutschland. Inzwischen sind es wieder über 6300. Weltweit gilt die Art als nicht gefährdet.
Traurig seien die Todesfälle aber für die freiwilligen Helfer des NABU, sagt Thomsen. "Sie freuen sich, wenn viele Storchenjunge im Nest sitzen - es ist natürlich frustrierend, wenn dann so viele sterben."
Wolfgang Fiedler, Vogelforscher am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell, erinnert sich an das Jahr 2013, in dem in Süddeutschland viele Storchenküken im Nest gestorben sind. Aber auch er sagt: "Schlechtwetterjahre sind nicht das Problem."
Lebensraumzerstörung sei eine weitaus größere Gefahr für Weißstörche. "Todesursache Nummer Eins bei erwachsenen Störchen sind zudem Strommasten", fügt Fiedler hinzu. Da Störche so groß sind, schaffen sie es, gleichzeitig mehrere stromführende Kabel zu berühren - ein tödlicher Stromschlag ist die Folge. In Deutschland seien Strommasten inzwischen so konzipiert, dass sie Störchen nicht zur Gefahr werden können, aber in vielen anderen Ländern sei das nicht der Fall.
Gefahr droht dem Weißstorch laut WWF auch während des Zuges und in den Winterquartieren, da Weißstörche in einigen Ländern gejagt werden.
Nass und kalt ist schlecht für Vögel
Nasse Sommer und Starkregen können möglicherweise aber dann problematisch werden, wenn sie aufgrund des Klimawandels in Zukunft gehäuft auftreten, sagt Thomsen. "Das gilt für viele andere Tiere auch - und den Menschen."
Nicht nur junge Weißstörche können sterben, wenn sie zu lange im Regen stehen. Im Sommer 2013/14 überlebte in einer Kolonie von Adeliepinguinen in der Antarktis nicht ein einziges Junges. "Ungewöhnlich schwere Niederschläge töteten Küken en masse", berichtete ein französisch-australisches Forscherteam. Gleichzeitig war das Meereseis in dem Jahr so ausufernd, dass die Eltern Schwierigkeiten hatten, ihren Jungen an Land Fressen zu bringen. Der Regen tötete etwa die Hälfte der Pinguinküken - die andere Hälfte verhungerte oder wurde von Raubtieren gefressen.
Auch Schwalben leiden, wenn das Wetter zu nass und kalt ist. Dann fliegen keine Insekten und die Schwalben verhungern, erklärt Wolfgang Fiedler.
Der Zwiespalt der Schwalben: Sie müssen so früh wie möglich aus ihrem Winterquartier zurückkehren, um viel Zeit fürs Brüten zu haben - aber nicht zu früh, denn dann gibt es noch keine Insekten und damit keine Nahrung. "Manchmal hauen sie halt daneben", sagt Fiedler. Ist dann auch noch der Sommer ungewöhnlich nass, sterben zusätzlich viele Jungvögel. In den Jahren 1953 und 1974 kamen dem NABU zufolge aufgrund nasskalter Witterung Hunderttausende von Schwalben um.
Raubvögel wie Schleiereulen wiederum füttern ihre Jungen mit Mäusen. Und auch die vermehren sich besser in warmen, trockenen Witterungen, sagt Thomsen. "Bei Dauerregen laufen denen die Baue voll."
Gewinner und Verlierer
Weißstörche und andere Vögel können von viel Niederschlag aber auch profitieren. Es ist immer nur die Frage, wann er einsetzt. Regnet es beispielsweise, bevor die Küken ungeschützt im Nest sitzen, freuen sie sich über viel Frösche als Nahrung. Was Nachteile für die eine Art bringt, ist möglicherweise gut für die andere.
Vor allem für einige Zugvögelarten bringt der Klimawandel sogar Vorteile, sagt Vogelforscher Wolfgang Fiedler. Wenn es im Winter wärmer wird, müssen sie weniger weit fliegen - oder können gleich zu Hause überwintern.
Bei den Weißstörchen etwa profitieren die Tiere, die im Winter nach Westen ziehen statt nach Osten, sagt Kai-Michael Thomsen. Denn diese Westzieher machen sich nicht mehr die Mühe, bis Afrika zu fliegen, sondern überwintern in Spanien - etwa auf den Müllhalden dort. "Die Überlebenschancen dieser Vögel sind höher und ihre Population nimmt zu." Ostzieher hingegen ziehen über die Türkei bis nach Afrika und haben einen viel weiteren Weg.
Manchmal gibt es Probleme, wenn die Ostzieher in die Heimat zurückkehren und in ihren angestammten Nestern bereits Westzieher sitzen und brüten. "Dann kommt es zu Kämpfen - und zu Verlusten", sagt Thomsen. Eine Gefährdung für die Art bedeute aber auch das nicht.
Schlechte Zeiten bedeutet der Klimawandel für Zugvögelarten, die weite Reisen unternehmen. "Sie werden in Zukunft im Bestand abnehmen", prognostiziert Fiedler. Dazu gehören etwa Rauchschwalben, Teichrohrsänger und Dorngrasmücken. Sie wandern über viele Klimazonen hinweg und können sich auf neue Klimaverhältnisse so gut wie nicht einstellen.