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Nahost-Konflikt: Ist die deutsche Wirtschaft betroffen?

Nik Martin
30. Oktober 2023

Auch abgesehen von der Abhängigkeit bei Öl- und Gasversorgung ist der Nahe Osten ein wichtiger Markt für Deutschland. Firmen aus dieser Region investieren auch hierzulande.

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Israelische, deutschen und EU-Flagge bei Besuch von Außenministerin Baerbock in Israel
Flaggen und Bundeswehrmaschine bei der Ankunft von Außenministerin Baerbock in IsraelBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Während die meisten Menschen bei einer Eskalation des aktuellen Konfliktes im Nahen Osten eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe befürchten, sorgen sich Politiker und Wirtschaftsführer zunehmend auch wegen der wirtschaftlichen Folgen der Auseinandersetzungen zwischen der Hamas, Israel und möglicherweise noch anderer Kräfte in der Krisenregion.

Obwohl Deutschlands Exporte nach Israel - hauptsächlich Autos, Maschinen, Chemikalien und Pharmaprodukte - nur 0,4  Prozent aller deutschen Ausfuhren ausmachen, ist das Land am östlichen Mittelmeer schon seit Langem ein wichtiger wirtschaftlicher Partner.

Handel und Direktinvestitionen zwischen den beiden Ländern hätten zwar keinen großen Umfang, bestätigt Rolf Langhammer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) der DW, doch sei Israel für den Technologietransfer und für die Zusammenarbeit bei Naturwissenschaften und Medizin schon seit den 1960er Jahren extrem wichtig.

In den vergangenen Jahren haben deutsche Firmen viele Verbindungen zu israelischen Startups aufgebaut. Nach Angaben auf den Webseiten der deutschen Regierung haben große Firmen wie Merck und Siemens Top-Ingenieure aus Israel eingestellt. Die Telekom, Bosch, Daimler, Volkswagen und BMW unterhalten Forschungs- und Entwicklungszentren in Israel oder haben in aufstrebende Firmen investiert.

Kräne im Containerhafen von Haifa
Der Hafen von Haifa - der Konflikt schadet auch den deutsch-israelischen WirtschaftsbeziehungenBild: Schöning/IMAGO

Angst vor Eskalation

Viele Firmenchefs erwarten, dass die Beziehungen beider Länder eng bleiben werden, auch weil Israel führend ist bei den Themen Cybersicherheit, Biotechnologie, Gesundheit und Erneuerbarer Energien und auch bei der Lebensmittelproduktion. Kurzfristig jedoch könnte es zu einer Stagnation kommen, angesichts der Unsicherheiten über die Entwicklungen im Israel-Hamas-Konflikt.

"Es gibt bei deutschen Firmen eine große Angst vor einer Eskalation, besonders wenn der Iran oder andere Länder eingreifen würden", sagt Charme Rykower, Direktorin bei der Deutsch-Israelischen Handelskammer (AHK Israel) zur DW. "Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert, wenn wir einen langen und blutigen Konflikt vor uns haben." Deutsche Firmen, die in Israel arbeiten, agierten derzeit abwartend, fährt er fort. Doch auch sie sähen, wie die israelische Wirtschaft bereits jetzt unter den Auswirkungen der Attacken der Hamas - die von der EU wie auch von den USA als Terrororganisation eingestuft wird - leide.

Der Schekel ist auf ein seit Jahren nicht gesehenes Tief zum US-Dollar gefallen und Hunderttausende sind zum Wehrdienst einberufen worden und fehlen nun an ihren Arbeitsplätzen. Tausende andere sind in einen unbezahlten Urlaub geschickt worden, weil viele Kunden wegen der unklaren Sicherheitslage zu Hause bleiben. "Wir müssen geduldig bleiben", so Rykower weiter. "Wir müssen hoffen, dass der Konflikt nicht eskaliert und dass sich die Lage in ein paar Wochen wieder normalisiert."

Ein deutscher Balanceakt

Die deutsche Regierung hat ihre Unterstützung für das Selbstverteidigungsrecht Israels ganz entschieden deutlich gemacht. Doch gleichzeitig führt das Land einen heiklen Balanceakt vor, weil andere Staaten im Nahen Osten das israelische Vorgehen im Kampf gegen die Hamas verurteilen. Und viele dieser Länder sind  - oder haben wenigsten das Potential dazu - noch wirtschaftskräftigere Partner für Deutschland.

Katar beispielsweise nimmt eine Mittlerrolle ein beim Versuch, einige der 220 von der Hamas am 7. Oktober aus Israel entführten Geiseln zu befreien. Gleichzeitig kritisiert der Golfstaat aber ganz entschieden Israels Kampf gegen die Hamas, der bislang bereits 8000 Tote gefordert haben soll, wie das Hamas-geführte Gesundheitsministerium behauptet. In dieser Woche hat der katarische Emir Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani gesagt, "Israel dürfe kein bedingungsloses 'grünes Licht' und unbegrenzte Autorisierung, Palästinenser zu töten" erhalten.

Rolf Langhammer vom Kieler IfW weist darauf hin, dass Katar der bedeutendste Investor aus dem Nahen Osten in Deutschland ist. Das Land halte Anteile bei Unternehmen wie Volkswagen, Siemens oder der Deutschen Bank. Außerdem habe Deutschland im vergangenen Jahr, als wegen der europäischen Gaskrise der Preis für Erdgas durch die Decke ging, einen Vertrag mit Katar geschlossen, um die Versorgung mit Flüssiggas ab 2026 zu sichern.

Bundeswirtschaftsminister Habeck verhandelt 2022 mit dem Energieminister von Katar
Bundeswirtschaftsminister Habeck verhandelte 2022 in Katar über Gas-Lieferungen - erfolgreichBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Jede Form einer Eskalation des Konfliktes werde Deutschland hart treffen, wegen seiner Abhängigkeit von Energielieferungen aus dieser Region. Aber gleichzeitig, so Langhammer, würde auch ein Land wie Katar es nicht gerne sehen, wenn seine Investitionen in deutsche Unternehmen den Bach hinuntergingen. Da stelle der Iran natürlich die größere Sorge dar.

Iran, das Land unterstützt neben der Hamas auch die militante libanesische Hisbollah, die Israel ebenfalls bereits angegriffen hat. Teheran hat kürzlich gedroht, die Straße von Hormus zu sperren. Dieser Seeweg ist das weltweit wichtigste Nadelöhr im Öl- und Gastransport, allein wegen der Menge des dort transportierten Erdöls. Der Iran ist vom Handel mit dem Westen ausgeschlossen, denn wegen seines umstrittenen Atomprogramms unterliegt das Land harten Sanktion der USA und der EU.

Es steht viel auf dem Spiel

Andere Länder der Region, unter ihnen Ägypten und Saudi-Arabien mit deren Bevölkerungen von 109 beziehungsweise 36 Millionen Menschen, sind für deutsche Exporteure ebenfalls immer wichtiger werdende Märkte. Die wirtschaftlichen Bande mit der Nahost-Region seien von strategischer Bedeutung, erklärt Helene Rang, Vorsitzende der Deutschen Nah- und Mittelostvereinigung (NUMOV) der DW. Sie zählt als wichtige Faktoren die geografische Lage auf sowie die wachsenden Verkaufs- und Konsumentenmärkte - wegen der vielköpfigen Bevölkerung.

Rang verweist dabei auf künftige riesige Infrastrukturprojekte - darunter das saudi-arabische Neom-Projekt, eine Stadt, die entlang des Roten Meeres entstehen und rund eine halbe Billion US-Dollar kosten soll. Das eröffne der deutschen Industrie gewaltige Möglichkeiten. Die NUMOV-Chefin hofft, dass der Konflikt keinen allzu großen Einfluss auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit haben wird und dass bald eine diplomatische Lösung gefunden werden kann. Dazu sei das Friedenstreffen kürzlich in Ägypten ein wichtiger erste Schritt gewesen.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

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