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PolitikIsrael

Netanjahu spricht von "zweiter Kriegsphase"

Veröffentlicht 28. Oktober 2023Zuletzt aktualisiert 28. Oktober 2023

Nach den Worten von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist mit langen Kampfhandlungen zu rechnen. Erneut ruft Israel die Bewohner des Gazastreifens auf, sich im Süden in Sicherheit zu bringen. Ein Überblick.

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Israel Netanjahu, Galant und Gantz in Tel Aviv
Benjamin Netanjahu (l.): Ziel ist, die Herrschaft der Hamas zu zerstören und deren Geiseln zu befreienBild: Abir Sultan via REUTERS

Das Wichtigste in Kürze:

  • Netanjahu verkündet "zweite Phase des Krieges"
  • Israels Militär drängt erneut zur Flucht in den südlichen Gazastreifen
  • Die UN rufen zu einer "humanitären Waffenruhe" in Gaza auf - Deutschland enthält sich bei der Abstimmung
  • Wieder pro-palästinensische Großdemo in London

Mit der Ausweitung der Bodeneinsätze des israelischen Militärs im Gazastreifen hat nach Angaben von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die "zweite Phase des Krieges gegen die Hamas begonnen". Ziel sei es, die militärischen Fähigkeiten sowie die Herrschaft der militant-islamistischen Organisation zu zerstören und die Geiseln nach Hause zurückzubringen, sagte er vor Journalisten in Tel Aviv.

"Der Krieg im Gazastreifen wird schwierig und lang", fügte Netanjahu hinzu. Trotz der derzeit laufenden Bodenoffensive würden die Kontakte zur Befreiung der von Hamas verschleppten Geiseln aufrecht erhalten, fügte Netanjahu hinzu.

Die Notstandsregierung habe die Entscheidung zur Ausweitung der Bodeneinsätze einstimmig getroffen. Dem Militär zufolge sollen vermehrt unterirdische Ziele und terroristische Infrastruktur angegriffen werden. Das israelische Militär hatte zuvor bereits vereinzelte, zeitlich eng begrenzte Vorstöße am Boden gemacht. 

Israel ruft zur Flucht nach Süd-Gaza auf

Erneut hat die israelische Armee Menschen, die sich noch im nördlichen Gazastreifen und in Gaza-Stadt befinden, zur Flucht in den Süden des Küstengebiets aufgerufen.

"Dies ist keine bloße Vorsichtsmaßnahme, sondern ein dringender Appell", sagte Armeesprecher Daniel Hagari in einer Ansprache. "Ihr Zeitfenster zum Handeln schließt sich." Der Aufruf diene der Sicherheit der Zivilbevölkerung, heißt es in einem im Kurzmitteilungsdienst X verbreiteten Video des israelischen Armeesprechers:

"Eine Rückkehr in den nördlichen Gazastreifen wird möglich sein, sobald die intensiven Feindseligkeiten beendet sind", sagte Hagari weiter. Einen konkreten Zeitrahmen nannte er jedoch nicht. Die israelische Armee hat die Bewohner im Norden des Gazastreifens bereits mehrfach aufgefordert, in den Süden des Küstenstreifens zu fliehen.

Dies haben nach Militärangaben bereits mindestens rund 700.000 Menschen getan. Die Vereinten Nationen sprechen sogar von 1,4 Millionen Binnenflüchtlingen. Insgesamt leben in dem dicht besiedelten Gebiet mehr als 2,2 Millionen Menschen.

Angriffe in Gaza verstärkt

Das israelische Militär hat seine Angriffe auf den Gazastreifen nach eigenen Angaben "erheblich" ausgeweitet und kommt damit einer Bodenoffensive im Gazastreifen einen Schritt näher. Militärsprecher Daniel Hagari sagte in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache: "Wir werden weiterhin in Gaza-Stadt und Umgebung angreifen". "Zusätzlich zu den in den letzten Tagen durchgeführten Angriffen weiten die Bodentruppen ihre Operationen heute Abend aus", fügte er hinzu.

Hamas – die Organisation hinter den Angriffen auf Israel

Der bewaffnete Arm der Hamas erklärte, er habe mit "Salven" von Raketen auf Israel geantwortet. In einer Erklärung vom Samstag fügte er hinzu, seine Kämpfer seien "voll und ganz bereit", Israels "Aggression mit voller Kraft" zu begegnen. Die Hamas wird unter anderem von den USA und der EU als terroristische Vereinigung betrachtet. Sie verwaltet den Gazastreifen. 

Familien von Geiseln fordern Erklärung von Regierung

Nach den verstärkten Angriffen auf den Gazastreifen haben Familien der Geiseln, die von der radikalislamischen Hamas festgehalten werden, eine Erklärung der israelischen Regierung gefordert. "Die Familien machen sich Sorgen um das Schicksal ihrer Angehörigen und warten auf Erklärungen", hieß es von einer Gruppe, in der sich einige der Familien zusammengeschlossen haben. "Jede Minute scheint eine Ewigkeit zu sein." 

Rund 200 Kunststoffstühle - jeweils mit Fotos der Hamas-Geiseln
Deutliche Mahnung: Rund 200 Gartenstühle mit den Fotos der Hamas-Geiseln vor dem europäischen UN-Hauptsitz in Genf Bild: Martial Trezzini/KEYSTONE/picture alliance

Nach einer "Nacht voller Angst" forderte die Gruppe den israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant und die anderen Mitglieder des Kriegskabinetts zu einem Treffen noch an diesem Samstag auf. Die Mitglieder brachten ihre "große Verärgerung" darüber zum Ausdruck, dass keines der Mitglieder des Kriegskabinetts sich die Mühe gemacht habe, sich mit ihnen zu treffen und ihnen zu erklären, "ob die israelischen Bodeneinsätze eine Gefahr für die 229 von den Behörden identifizierten Geiseln darstellen".

UN-Resolution mit Forderung nach Waffenruhe

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat mit überwältigender Mehrheit eine nicht bindende Resolution angenommen, in der eine "sofortige, dauerhafte und anhaltende humanitäre Waffenruhe" im Gazastreifen gefordert wird. Die Resolution wurde von arabischen Ländern eingebracht. Dafür stimmten 120 Länder.

Abstimmung in der UN-Generalversammlung: Plenum und Abstimmungsergebnisse auf Anzeigetafeln
Abstimmung in der UN-GeneralversammlungBild: Bebeto Matthews/AP Photo/picture alliance

Der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan kritisierte die Abstimmung scharf und erklärte, dass diejenigen, die für die Resolution stimmten, "Nazi-Terroristen" verteidigten, anstatt Israel zu unterstützen. "Diese lächerliche Resolution hat die Dreistigkeit, zu einer Waffenruhe aufzurufen. Das Ziel dieser Resolution ist es, dass Israel aufhört, sich gegen die Hamas zu verteidigen, damit die Hamas uns in Brand setzen kann", sagte Erdan nach der Abstimmung.

Der palästinensische UN-Botschafter Riyad Mansour sagte Reportern nach der Abstimmung, dass dies "die Botschaft an alle sendet, genug ist genug". "Dieser Krieg muss aufhören, das Gemetzel an unserem Volk muss aufhören und humanitäre Hilfe muss in den Gazastreifen gelangen", verlangte Mansour.

Gegen die Resolution votierten 14 Länder, darunter Israel und die Vereinigten Staaten. Insgesamt 45 Länder, darunter Deutschland, enthielten sich der Stimme.

Ein kanadischer Änderungsantrag zur Resolution, der von den USA unterstützt wurde, scheiterte bei der Abstimmung. Er erhielt nur 88 Stimmen und damit weniger als die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Der Änderungsantrag hätte eine Verurteilung der "terroristischen Angriffe der Hamas ... und der Geiselnahme" hinzugefügt. In dem Antrag wird die sofortige Freilassung dieser Geiseln gefordert.

Offenbar Kommunikation und Internet gekappt

Die Hamas hat erklärt, Israel habe "die Kommunikation und den größten Teil des Internets" im gesamten Gazastreifen gekappt. Die Internet-Watchdog-Organisation NetBlocks meldete am Freitagabend, dass es beim letzten verbliebenen großen palästinensischen Telekommunikationsunternehmen Paltel stark gestörte Kommunikationsleitungen gebe.

Luftbild aus einiger Entfernung: heller roter Lichtschein am Horizont, der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen
Explosion an der Grenze zwischen Israel und dem GazastreifenBild: REUTERS TV via REUTERS

Paltel sagte später in einem Beitrag auf der Nachrichtenplattform X, dass "alle Telekommunikationsdienste, einschließlich Festnetz, Mobilfunk und Internet" als Folge des israelischen Bombardements unterbrochen wurden." Das Komitee zum Schutz von Journalisten (Committee to Protect Journalists, CPJ) erklärte, es sei "höchst beunruhigt" über die Berichte über einen Stromausfall in Gaza.

Ägypten sichert Luftraum nach Raketenbeschuss an der Grenze

Die ägyptischen Streitkräfte haben angekündigt, den Luftraum des Landes "in allen strategischen Richtungen" zu sichern, nachdem ein Raketenangriff eine medizinische Einrichtung in einer Stadt nahe der israelischen Grenze getroffen hat. Laufende Ermittlungen ergaben offenbar, dass zwei Drohnen aus dem Süden des Roten Meeres in den Norden kamen, teilte das Militär in einer Erklärung in den sozialen Medien mit. 

Eine Rakete sei außerhalb des ägyptischen Luftraums im Golf von Akaba abgeschossen worden, so ein Militärsprecher. Einige Wrackteile einer Drohne seien in ein unbewohntes Gebiet in der Stadt Nuweiba im Südsinai gefallen.

Hunderte Festnahmen bei jüdischem Anti-Kriegs-Protest

Bei einer von einer jüdischen Gruppe organisierten Demonstration in New York gegen die israelischen Angriffe in Gazastreifen sind mehrere hundert Menschen festgenommen worden. Die Polizei meldete am Freitag (Ortszeit) mindestens 200 Festnahmen. Die Organisatoren erklärten, dass bei der Auflösung der Versammlung im New Yorker Bahnhof Grand Central mehr als 300 Menschen in Gewahrsam genommen worden seien. Auf Fotos waren lange Reihen von jungen Menschen in Handschellen zu sehen, auf deren T-Shirts unter anderem die Worte "Not in our name" ("Nicht in unserem Namen") oder die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe zu lesen waren.

"Waffenstilstand jetzt!" fordern Demonstranten auf einem Transparent
"Waffenstilstand jetzt!" fordern die Demonstranten an der Grand Central Station in New YorkBild: Jeenah Moon/AP Photo/picture alliance

Organisiert hatte den Protest die New Yorker Gruppe Jewish Voice for Peace (Jüdische Stimme für Frieden). Ihren Angaben zufolge hatten mehrere tausend Menschen an der Demonstration teilgenommen und die volle Bahnhofshalle blockiert. Die Organisatoren sprachen vom "größten zivilen Ungehorsam, den New York City in den vergangenen 20 Jahren erlebt hat".

Weltweit pro-palästinensische Demos

Weltweit haben Hunderttausende Menschen für Solidarität mit Palästinensern demonstriert. Eine der größten Kundgebungen gab es in London, wo sich nach Polizeiangaben zwischen 50.000 und 70.000 Menschen einer Pro-Palästina-Demonstration angeschlossen hatten. 

Bereits am vergangenen Samstag hatten sich nach Schätzungen der Polizei bis zu 100.000 Menschen an einer pro-palästinensischen Demonstration in London beteiligt. 

Auch in Paris und Hamburg kamen an diesem Samstag Menschen zu pro-palästinensischen Demonstrationen zusammen. Weil beide Versammlungen im Vorfeld verboten worden waren, wurden sie von der Polizei aufgelöst. 

In Berlin hatten sich nach Polizeiangaben rund 4000 Demonstranten zu einer Kundgebung zusammengefunden. Mehrere Teilnehmer führten palästinensische Flaggen mit sich. In der neuseeländischen Hauptstadt Wellington marschierten Tausende von Menschen zum Parlamentsgebäude.

rm, rmt/wd, gri/mak/ack/sti/uh/AR/apo (rtr, ap, afp, dpa)