Die Nahlische Erneuerung der SPD
23. April 2018Der fünfte Parteitag in 13 Monaten, inklusive zwei Vorstandswahlen; davon die erste mit dem besten Ergebnis in der Nachkriegszeit und die letzte mit dem zweitschlechtesten in den 155 Jahren der Parteigeschichte. Es war eine turbulente Zeit für die Sozialdemokratische Partei, doch Anlass zur innerparteilichen Entschleunigung ist kaum gegeben. Denn jetzt soll es erst richtig losgehen.
"Den Beweis dafür will ich ab morgen antreten", versprach Andrea Nahles in ihrer Bewerbungsrede für den Parteivorsitz. Ihre Aufgabe sei als Parteivorsitzende auch eine "inhaltliche Neuausrichtung an vielen Stellen für die SPD". Doch wohin soll die Reise für die SPD gehen? Drei Richtungen, in die Nahles ihre Partei - theoretisch - bugsieren könnte.
"En Marche" mit Macron: Die neue Europa-Partei
"Ein neuer Aufbruch für Europa" steht auf dem Deckblatt des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und der SPD, doch weniger als hundert Tage nach dem Regierungsantritt gehen die Vorstellungen innerhalb der Bundesregierung über Tempo und Ziel des Aufbruchs auseinander: Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seinen ambitionierten EU-Reformplänen vorgeprescht waren, zeigten sich Teile der Union zögerlich gegenüber Macrons Vorschlägen.
Nahles rügte die Skepsis des Koalitionspartners: "Es muss doch klar sein, dass wir Europa voranbringen wollen", sagte die Fraktionsvorsitzende der SPD vor Macrons Besuch vergangene Woche in Berlin. Die Ziele in der Europapolitik seien ihrer Meinung nach im Koalitionsvertrag klar benannt. "Und ich bestehe auch darauf, dass die eingehalten werden."
Tatsächlich ist aber selbst in der SPD kaum ein europäischer Fortschrittsgedanke zu spüren. "Ich bewundere wirklich den Mut von Emmanuel Macron", hieß es vor kurzem von Finanzminister Olaf Scholz. Zu einem größeren Lippenbekenntnis konnte sich der Vizekanzler bislang nicht durchringen, sondern signalisierte stattdessen, dass er an der Politik seines CDU-Vorgängers festhalten wolle. Das fehlende Europa-Profil der SPD sei so prägnant, dass die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock noch vergangene Woche deklarierte: "Mit Martin Schulz ist offensichtlich der letzte Europäer der GroKo von Bord gegangen."
Zurück zu den Wurzeln
Als einer der ersten Außenstehenden gratulierte der Linken-Parteichef Dietmar Bartsch Nahles zum Wahlsieg. Dass mit Nahles jemand aus dem linkeren Flügel der SPD gewählt sei, könnte der Partei gut tun. Es bestehe "innerhalb und außerhalb der SPD ein kleines Fünkchen Hoffnung auf die Resozialdemokratisierung der SPD", sagte Bartsch im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.
Auch innerhalb der Partei formiert sich ein neuer linker Flügel, vor allem unter den jüngeren Mitgliedern und unter der Führung des Vorsitzenden des SPD-Jugendverbands Jusos, Kevin Kühnert. Er forderte unter anderem "Maßnahmen zur Vermögensverteilung" in Deutschland, "die manchem wehtun werden". Nahles‘ Gegenkandidatin Simone Lange ging in ihrer Bewerbungsrede sogar so weit, sich für die Sozialreformen der Rot-Grün-Regierung bei den Betroffenen zu entschuldigen. Ein Drittel der Delegierten gaben der relativ unbekannten Bürgermeisterin von Flensburg beim Parteitag ihre Stimme - ein solider Ausgangspunkt für einen parteiinternen Kurswechsel.
#SPDerneuern, aber richtig
"Wann wir schreiten Seit an Seit, (...) mit uns zieht die neue Zeit!": Auch bei der Wahl der neuen Parteivorsitzenden blieb die SPD ihrem Hang zur Gesangseinlage auf Parteitagen treu. Der Text der diesmaligen Liedauswahl sollte zugleich als Symbol für die innerparteiliche Neuausrichtung dienen. Unter dem Hashtag #SPDerneuern wirbt die Partei seit einiger Zeit für diesen Prozess, Juso-Chef Kühnert steht an der Spitze des Projekts.
Ein ähnliches Projekt hat vor kurzem auch eine andere Partei gewagt: Bündnis 90/Die Grünen. Ihr neues Grundsatzprogramm soll in einem basisdemokratischen Prozess erarbeitet werden.
Dass die politische Neuerfindung nicht nur bei einer Nischenpartei, sondern auch bei den altehrwürdigen europäischen Sozialdemokraten funktionieren kann, bewies jüngst die Labour-Partei im Vereinigten Königreich. Doch die Grünen und Labour hatten einen Vorteil: Sie mussten nicht zeitgleich regieren.
Mit dieser Herausforderung wird die neue SPD-Chefin Andrea Nahles auf Grund ihrer Doppelfunktion als Fraktionsvorsitzende und Parteichefin umgehen müssen. Sie sitzt sie bei den Sozialdemokraten im Bundestag in der ersten Reihe. Von dort den Aufbruch zu wagen, könnte sich als schwierig gestalten.