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Nachtzüge in Europa immer beliebter

Lisa Stüve
11. Juli 2023

Wer von Berlin nach Brüssel reisen will, kann wieder den Nachtzug nehmen, betrieben vom Startup European Sleeper. Tragen solche Firmen zur Wiederbelebung des Reisens über Nacht bei oder verzweifeln sie an EU-Regularien?

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Deutschland | Berlin Hbf | Nachtzug European Sleeper
Bild: Lisa Stüve/DW

Berlin Hauptbahnhof an einem Sonntag kurz vor 23 Uhr. Auf Gleis 14 warten Reisende auf den nächsten Zug, den neuen Nachtzug nach Brüssel. Am Gleis stehen vor allem Menschen mit Rucksäcken, einige haben Fahrräder dabei. "Aufgeregt bin ich nicht, dafür bin ich schon zu oft mit dem Nachtzug gereist, aber neugierig auf den Zug", sagt Eugenio aus Italien. Er hofft durch die kleinen Unternehmen auf mehr Dynamik im Nachtzugmarkt.

EU Kommission will Zugverkehr fördern

Jedes Jahr gibt es neue Verbindungen zwischen Europas Städten. Führend ist die Österreichische Bundesbahn (ÖBB), aber auch kleinere Unternehmen steigen in den Markt ein: von BTE BahnTouristikExpress, Snälltaget und RegioJet über Flixtrain und WestBahn bis hin zu ILSA und European Sleeper. Die vielen kleinen Initiativen und Unternehmen beleben den Markt. Davon geht zumindest Josef Doppelbauer, Chef der Europäischen Bahnagentur (ERA), aus.

Das ist ganz im Sinne der Europäischen Kommission, die mit dem Green Deal erreichen will, dass Europa bis 2050 weitestgehend klimaneutral wird. 

Für den Transportsektor ist explizit der Ausbau und die Verbesserung des Schienenverkehrs vorgesehen, auch in der Nacht und vor allem grenzüberschreitend. European Sleeper ist eines von 10 Pilotprojekten, die die Kommission im Rahmen des Aktionsplans zur Förderung des grenzüberschreitenden Zugverkehrs gezielt unterstützen will.

Blick ins Innere eines Schlafwagenabteils des European Sleeper-Nachtzugs
Blick ins Innere eines Schlafwagenabteils des European Sleeper-Nachtzugs Bild: James Arthur Gekiere/Belga/dpa/picture alliance

Alte Wagen, neue Strecken

Die Idee dahinter klingt wie eine Selbstverständlichkeit: Ein Schienennetz, das Europas Städte miteinander verbindet, wem sollte das nicht einleuchten. Aber "Connecting Europe by train" klingt einfacher, als es wirklich ist. Denn es gibt eine Menge Herausforderungen, weiß Chris Engelsman zu berichten, einer der Gründer von European Sleeper. Die Beschaffung der Liege- und Schlafwagen ist nur eine davon.

Jahrelang wurden Nachtzüge links liegen gelassen, die Produktion neuer Wagen wurde entsprechend heruntergefahren. Was jetzt an Nachtzug-Wagen auf der Schiene fährt, ist 30 Jahre alt. Das Angebot an Wagentypen aus diesem Segment ist in ganz Europa sehr überschaubar. Und es gebe einen regelrechten Ansturm auf die alten, billigen Altbauwagen, sagt der Verkehrsexperte Christian Böttger.

Am Hauptbahnhof in Berlin fährt dann auch, anders als erwartet, kein brandneuer Nachtzug ein. Die Wagen wirken, nun ja, etwas aus der Mode gekommen. Moderner, transeuropäischer Zugverkehr - das hatte andere Erwartungen geweckt.

Länger warten ist keine Option

European Sleeper will unbedingt in neue und modern ausgestattete Schlaf- und Liegewagen investieren, erzählt Chris Engelsman im Gespräch mit der DW. Solche Züge sind aber teuer. Statt jahrelang an der Investition neuer Wagen zu arbeiten, hat sich das Unternehmen für den pragmatischen Weg entschieden: "Es ist was es ist, im Moment. Es ist nichts anderes verfügbar. Wir hatten das Gefühl, der Nachtzug muss jetzt auf die Schiene, wir müssen jetzt starten," so Engelsman. Und das Unternehmen will wachsen, schon bald sollen neue Verbindungen hinzukommen, 2025 Barcelona etwa. Doch das steht und fällt mit den Nachtzugwagen.

Schlafkoje mit Kissen und Decke im Nachtzug European Sleeper nach Brüssel
Alternative zum Flugzeug und Nostalgie pur: Schlafkoje im Nachtzug nach BrüsselBild: James Arthur Gekiere/Belga/dpa/picture alliance

Europäischer Nachtzugmarkt, nationale Regeln

Der Mangel an Nachtzug-Wagenmaterial ist das eine, hinzu kommt ein durch nationale Regeln und Vorschriften zerstückeltes Eisenbahnnetz in der EU. Der neue Nachtzug fährt von Deutschland über die Niederlande nach Belgien. Drei Länder, drei unterschiedliche Herangehensweisen und Regeln. Was allen aber gemein ist: "Sie sind national orientiert, denken also immer in nationalen Kategorien," sagt der Gründer von European Sleeper. Die Koordinierung bis zur eigenen Landesgrenze erschwere vieles.

Europäisches Mindset und politischer Wille - das ist es, was den Bahnverkehr in Europa wirklich verbinden kann, sagt EU-Bahnagentur-Chef Doppelbauer. Hier arbeitet man seit Jahren daran, die Anzahl der nationalen Vorschriften zu reduzieren. Die technischen Regeln konnten bereits von 14.000 auf 600 verringert werden. Das große Manko der Eisenbahn, sagt Doppelbauer: "Anders als bei der Luft- oder Schifffahrt gibt es keine global gültigen Regeln."

Grenzüberschreitendes Reisen wird einfacher

Immerhin: Das grenzüberschreitende Reisen per Nachtzug wird, bei allen Vorschriften, einfacher. Personen- und Nachtzugwagen können bald in jedem EU-Land fahren und nicht mehr nur dort, wo sie erstmalig genehmigt wurden. Das heißt, es wird nicht nur einfacher für die Betreiber, auch der Wiederverkaufswert der Wagen steigt. Damit erhofft sich der Chef der ERA ein attraktiveres Geschäft für kleinere Nachtzuganbieter. Für die Reisenden plant die EU bald eine Plattform über die europaweit Nachtzugtickets erworben werden können.

Doch um kleinen und auch großen Unternehmen den Betrieb zu erleichtern, müssten in Europa nicht nur nationale Regeln wegfallen, sondern auch faire Bedingungen zwischen Luftfahrt und der Bahn geschaffen werden, sagt Verkehrsexperte Böttger. Denn anders als die Bahn, so Böttger, werde der Luftverkehr subventioniert.

Flugzeug im Landeanflug auf den Flughafen Berlin Brandenburg  (BER)
Konkurrenz für die Bahn: Flugzeug im Landeanflug auf den Flughafen Berlin Brandenburg Bild: Rainer Keuenhof/picture alliance

Flugzeug vs. Eisenbahn

Die Organisationen Back-on-Track Europe und Transport & Environment etwa haben ausgerechnet, dass Reisen mit der Bahn zwischen sieben und 48 Prozent günstiger sein könnten, wenn die Mehrwertsteuer bei grenzüberschreitenden Bahnverbindungen wegfiele und die Zugbetreiber keine oder nur geringe Trassengebühren zahlen müssten.

Mit der Strecke Brüssel - Berlin ist der Europäische Nachtzugmarkt um eine Verbindung reicher. "Wir hoffen wirklich, auch andere Initiativen jetzt sehen, dass es möglich ist, als sehr kleiner Akteur zwischen den großen Eisenbahngesellschaften zu stehen und eine neue Strecke zu starten", sagt Chris Engelsman am Ende des Gesprächs mit der DW. Denn trotz vieler Herausforderungen: Der neue Nachtzug fährt und verbindet zwei weitere Hauptstädte in Europa. Und damit bietet er allen, die es wollen, eine Alternative zum Flugzeug.

Umweltfreundlicher reisen: Nachtzug statt Flugzeug