Nachkriegskarriere des "Schlächters von Lyon"
4. Februar 2013Seine Opfer erkannten ihn vor Gericht an den flackernden, hellen Augen - ein Blick, den viele nicht vergessen konnten. Klaus Barbie befehligte zwischen 1942 und 1944 die Geheime Staatspolizei in Lyon. Dort hatte er eigenhändig im Hotel "Terminus" Männer, Frauen und sogar Kinder gefoltert.
Über 14.000 Juden und Widerstandskämpfer wurden auf Barbies Befehl in die Vernichtungslager der SS deportiert und ermordet, darunter die jüdischen Kinder aus dem Waisenhaus von Izieu und der Chef der Résistance, Jean Moulin. Dafür verurteilte ihn nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein französisches Gericht in Abwesenheit zum Tode.
Altnazis als Kommunistenjäger
Begonnen hatte Klaus Barbie seine NS-Karriere bereits im Alter von 21 Jahren: 1935 wurde er Mitglied des Sicherheitsdienstes, dem Elitekorps der SS. Innerhalb der NS-Hierarchie stieg er rasch zum SS-Obersturmführer auf. Im November 1942 wurde er nach Lyon versetzt, wo der 29-Jährige die Kommandantur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes übernahm.
Kurz vor Kriegsende tauchte Barbie in Deutschland unter. 1946 setzten die Alliierten den "Schlächter von Lyon" auf ihre Fahndungslisten. Doch schon ein Jahr später stand er auf den Gehaltslisten des Counter Intelligence Corps (CIC): Dem Geheimdienst der US-Armee war es gelungen, Barbie gefangenzunehmen. Trotz seiner NS-Vergangenheit stellte man ihn als Informanten ein. "Barbie war ein entschiedener Kommunistengegner", so sein US-amerikanischer Führungsoffizier beim CIC, Erhard Dabringhaus. Während des Kalten Krieges erschien es den US-Amerikanern opportun, Barbies Kenntnisse über kommunistische Aktivitäten in Europa zu nutzen.
"Altmann" und der BND
Seine US-amerikanischen Auftraggeber schützten Barbie auch dann noch, als er 1951 nach Südamerika floh – zunächst nach Bolivien, wo er sich unter dem Namen "Klaus Altmann" eine neue Existenz aufbaute. Hier stellte er rasch Kontakte zu Vertretern verschiedener Militärdiktaturen her. 1952 baute Hitlers einstiger Verhör- und Folterspezialist die politische Polizei Boliviens mit auf und wurde Eigentümer einer von ihm gegründeten Schifffahrtslinie mit Filiale in Hamburg. Nebenbei betätigte sich "Altmann-Barbie" als Waffenhändler und Berater im Anti-Guerilla-Kampf.
1966 verpflichtete ihn der deutsche Bundesnachrichtendienst, kurz BND, als Agenten: Deckname "Adler", Registriernummer V-43118. Akten des BND belegen, dass "Adler-Altmann-Barbie" sogar Leistungsprämien kassierte. Der Mainzer Historiker Peter Hammerschmidt hat belegt, dass Barbie "bis 1980 wiederholt in der Bundesrepublik operierte, neofaschistische Strukturen aufbaute und internationale Waffengeschäft abwickelte". Die Dokumente legen nahe, dass er "auf seinen Reisen in die BRD vom Verfassungsschutz direkt oder indirekt geschützt worden war", so Hammerschmidt. Nach seinen Recherchen war der westdeutsche Auslandsgeheimdienst in den 1960er Jahren noch viel enger mit ehemaligen SS- und NSDAP-Mitgliedern personell durchdrungen, als man bisher annahm. Demnach sind weitere Kontakte eines ganzen Netzes von Altnazis in Lateinamerika zum BND und einem Tarnunternehmen mit dem Namen "Merex" belegbar.
Vergangenheit im Reißwolf
Klaus Barbie war nicht der einzige überzeugte Nationalsozialist und SS-Mann, der für den BND tätig war. Unbestritten ist heute unter Historikern, dass nach 1949 ehemalige NS-Täter in den Sicherheitsbehörden der jungen Bundesrepublik Karriere machen konnten. In den Bundesbehörden und Verwaltungen erreichte der Anteil von NSDAP-Parteimitgliedern in den 1950er Jahren oftmals zwei Drittel der Beamtenschaft oder mehr. Die Politik des ersten Bundeskanzlers Adenauers zielte darauf ab, ehemaligen Parteigängern eine soziale und wirtschaftliche Reintegration zu ermöglichen.
Doch es dauerte über 60 Jahre, bis sich der BND dieser Vergangenheit stellte. Seit 2011 erforscht eine unabhängige Historikerkommission die Frühgeschichte des Nachrichtendienstes, seiner Vorläuferorganisationen sowie seines Personal- und Wirkungsprofils und des Umgangs mit dieser Vergangenheit. Die Aufarbeitung ist nicht ohne Tücken. Kürzlich wurde bekannt, dass noch 2007 Personalakten hauptamtlicher BND-Mitarbeiter mit Bezug zur NS-Zeit in den Reißwolf gewandert sind. Darunter befanden sich nachweislich Personen, die für die SS, den Sicherheitsdienst oder die Gestapo tätig waren.
Enttarnung und Prozess
Das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld hatte es sich zum Ziel gesetzt, NS-Täter aufzustöbern. Sie wollten nicht tatenlos zusehen, wie einstige Nazi-Größen unbehelligt davon kamen. 1972 stöberte das Ehepaar Klaus Barbie in Bolivien auf wurde. Danach folgte ein jahrelanges diplomatisches Tauziehen.
Denn auch in Bolivien waren die zweifelhaften Dienste Barbies geschätzt. Er unterstützte sogar noch 1980 einen rechtsgerichteten Militärputsch und half beim Aufbau einer in Spionage und Foltertechnik gut ausgebildeten Truppe. Barbie war in seiner neuen südamerikanischen Heimat nicht nur "Handlanger", sondern nach allem, was Überlebende aus Lyon und Südamerika über ihn berichteten, auch Sadist und perverser Folterer.
Am 4. Februar 1983 wurde Barbie von Bolivien an Frankreich ausgeliefert – ermöglicht von einer neuen, demokratisch gewählten bolivianischen Regierung. Vier Jahre später begann der Prozess gegen den Kriegsverbrecher in Lyon. Der Barbie-Prozess löste scharfe Kontroversen aus. Dabei ging es um die Kollaboration mit den Deutschen und das Entstehen einer neuen Welle des Antisemitismus. Historiker und Künstler waren es, die auf die braune Vergangenheit vieler französischer Polizisten hinwiesen – Personen, die nach Kriegsende in der Pariser Zentrale von Interpol arbeiteten. Diese hatten während der deutschen Besatzung als Handlanger des Vichy-Regimes mit dem Nationalsozialismus zusammengearbeitet. Der strafrechtlichen Aufarbeitung von NS-Verbrechen standen sie ablehnend gegenüber – aus Angst, die eigene Verstrickung könnte ans Tageslicht kommen. So trieben im Juli 1942 französische Polizisten im Stadion von Vélodrome d'Hiver 13.000 jüdische Pariser zusammen, um sie nach Auschwitz zu deportieren.
Barbie aber boykottierte das Verfahren, den Gerichtssaal betrat er nur, wenn Zeugen ihn identifizieren mussten. "Ich habe nichts zu sagen", ließ Barbie das Gericht wissen. Schließlich wurde er zu lebenslanger Haft wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verurteilt. 1991 starb er im Gefängniskrankenhaus an Krebs.