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Politik

Indonesien am Wendepunkt

Christina Schott
19. April 2017

Machtwechsel in Indonesiens Hauptstadt Jakarta. Der christliche Gouverneur Ahok gestand seine Niederlage ein. Die Stichwahl galt als Stimmungstest für die tolerante Gesellschaft. Aus Jakarta Christina Schott.

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Indonesien Jakarta Wahlen
Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Syuflana

"Ich wusste ehrlich nicht, wen ich noch wählen sollte", sagt Ivana Lee. Die 32-jährige Lehrerin ist unentschlossen, wer ihr Wunschkandidat für den Posten des Gouverneurs von Jakarta ist. "Der eine Kandidat lässt sich von den Islamisten unterstützen. Der andere vertreibt die Armen aus ihren Häusern. Deswegen bin ich heute zu Hause geblieben." Gewählt hat sie nicht.

Indenosien Wahlen Anies Baswedan
Wahlsieger Anies Baswedan (m)Bild: picture alliance/Zumapress/D. Pohan

Lee hat sich jahrelang im Gemeindezentrum "Ciliwung Merdeka" im Armenviertel Bukit Duri engagiert, das sich am Ufer des völlig vermüllten Flusses Ciliwung drängt. Gleichzeitig mit den Behausungen von 440 Familien musste das zweistöckige Haus im vergangenen August einem massiven Betonwall weichen. Mit solchen Flussbegradigungen will Jakartas amtierender Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, die notorischen Überschwemmungen in Indonesiens Hauptstadt eindämmen. Dabei hat er sich bei den unteren Schichten der Bevölkerung nicht gerade beliebt gemacht. "Viele Leute hier haben bis heute keine der versprochenen Ersatzwohnungen erhalten. Sie haben daher Ahoks Gegner gewählt", sagt sie.

Ahoks Gegner heißt Anies Baswedan. Und er wird sein Nachfolger werden: ersten Hochrechnungen zufolge haben 55 Prozent der Bewohner von Jakarta den ehemaligen Bildungsminister zu ihrem neuen Gouverneur gewählt.

Im Wahlkampf allerdings spielten die Vertreibungen aus Armenvierteln nur eine untergeordnete Rolle, genauso wie die durchaus beachtlichen Erfolge des amtierenden Gouverneurs, der hart gegen korrupte Beamte vorging, wichtige Infrastrukturprojekte anstieß und den Zugang zu Bildungs- und Gesundheitswesen verbesserte.

Jakarta Muslime protestieren gegen christlichen Gouverneur  Basuki Tjahaja Purnama
Muslime protestieren gegen christlichen Gouverneur AhokBild: Reuters/D. Whiteside

Herkunft und Glaube

Stattdessen ging es vor allem um Ahoks Glauben und seine Herkunft: Ein Christ, der noch dazu der unbeliebten chinesischen Minderheit angehört, könne unmöglich die Hauptstadt des Landes mit der weltgrößten muslimischen Bevölkerung führen, so die einhellige Meinung islamischer Massenorganisationen.

"Diese Wahl ist ein Testfall für den indonesischen Pluralismus, ob wir dem Druck der religiösen Gruppen und Populisten widerstehen können", sagte Wimar Witoelar, ein angesehener politischer Analyst und Berater des früheren Präsidenten Abdurrahman Wahid vor der Wahl: "Indonesien steht an einem Wendepunkt. Und ich meine Indonesien, nicht nur Jakarta."

Der Vielvölkerstatt in Südostasien galt lange als Musterbeispiel für religiöse Toleranz. Doch seit Beginn der Demokratisierung 1998 hat der Einfluss radikal-islamischer Gruppen stark zugenommen, in den vergangenen Jahren zunehmend auch auf politische Entscheidungen. Immer mehr Provinzen erlassen islamische Scharia-Verordnungen, religiöse Minderheiten werden unterdrückt. Bereits bei der letzten Wahl in Jakarta 2012 gab es Proteste der radikalen "Front der Verteidiger des Islams" (FPI), weil der christliche Ahok damals lediglich als Stellvertreter von Joko Widodo, genannt Jokowi, angetreten war. Als Jokowi 2014 zum Präsidenten des Landes gewählt wurde, übernahm Ahok dessen Amt als Gouverneur der Hauptstadt.

Indonesien Jakarta Demonstration von Islamisten
Massendemonstration in Jakarta 2016Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Ibrahim

Prozess wegen Blasphemie

Mittlerweile steht der Politiker der Regierungspartei PDI-P wegen Gotteslästerung vor Gericht. Im vergangenen September sagte Ahok bei einer Veranstaltung, dass sich die Wähler nicht in die Irre führen lassen sollten, wenn jemand mit einem Koranvers belegen wollte, dass Muslime keinen Nicht-Muslim als Anführer wählen dürften. Ein gefundenes Fresser für alle Ahok-Gegner und konservativen Muslime.

Mit Hilfe einiger Verdrehungen und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien beschuldigte die FPI den amtierenden Gouverneur, den Koran beleidigt zu haben. Es kam zu Massendemonstrationen der Islamisten, die selbst für Jakartas Verhältnisse beängstigende Ausmaße annahmen. Ihm wird nun ausgerechnet im Wahlkampf der Prozess gemacht.

Seine politischen Gegner erkannten ihre Chance, den bis dahin mehrheitlich beliebten Ahok zu bezwingen. Der ehemalige Universitätsdirektor Anies Baswedan, der sich zuvor als moderater Intellektueller einen Namen gemacht hatte, erschien auf einmal nur noch mit muslimischer Kopfbedeckung und schreckte auch nicht davor zurück, den mehrfach wegen Volksverhetzung und anderer Vergehen verurteilten Führer der FPI, Habib Rizieq, zu hofieren.

Agus Harimurti Yudhoyono, Sohn des früheren Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono, unterstützte die Kampagne gegen den amtierenden Gouverneur ebenfalls, bevor er bei der ersten Wahlrunde im Februar mit nur 16,9 Prozent der Stimmen ausschied.

"Risiko für Staatsführung"

Jakarta Muslime protestieren gegen christlichen Gouverneur  Basuki Tjahaja Purnama
Ahok stand Ende 2016 wegen Blasphemie vor Gericht Bild: Reuters/B. Indahono/Pool

Als sich sein Wahlsieg nach den ersten Hochrechnungen abzeichnete, fuhr Anies Baswedan zum Haus seines Parteichefs Prabowo Subianto, wo sich bereits die Parteiführer von dessen nationalistisch-islamischer Koalition zum Feiern eingefunden hatten. 2014 noch unterstützte Baswedan Ahoks Amtsvorgänger und engen Vertrauten Joko Widodo, den jetzigen indonesischen Präsidenten. Als Dank wurde er zum Bildungsminister ernannt. Doch nach einer wenig überzeugenden Vorstellung inklusive Korruptionsvorwürfen verlor er 2016 seinen Posten und wechselte das politische Lager.

Der Ausgang der Gouverneurswahl von Jakarta gilt nun als wichtiger Indikator für die nächste Präsidentschaftswahl 2019: "Der Sieg von Baswedan wäre ein Risiko für die Staatsregierung", erklärt Tobias Basuki vom Centre for Strategic and International Studies in Jakarta. "Er repräsentiert jetzt Gerindra, die Partei von Jokowis Rivalen Prabowo Subianto, der vermutlich 2019 wieder antreten will. Wenn sie Jakarta kontrollieren, können sie jeden Schritt Jokowis behindern."