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Bluttat in Solingen: Folgen Messerverbote und Abschiebungen?

25. August 2024

Trauer und Entsetzen in ganz Deutschland über die Bluttat von Solingen: Die politische Debatte über schärfere Waffen- und Ausländergesetzte hat bereits begonnen.

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Deutschland, Solingen | Nach der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest
Solingen am Sonntag: Ein Tatverdächtiger wird von Polizisten abgeführt Bild: Christoph Reichwein/dpa/picture alliance

"Es reicht", schreibt der Vorsitzende der konservativen CDU, Friedrich Merz,  nach der Mordtat von Solingen auf seiner Website. Merz wird ein eher unterkühltes Verhältnis zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nachgesagt, aber jetzt wendet sich der Chef der stärksten Oppositionspartei im Bundestag direkt an den Regierungschef: "Ich fordere Sie auf, mit uns zusammen schnell und ohne weitere Verzögerungen Entscheidungen zu treffen, die konsequent darauf ausgerichtet sind, weitere Terroranschläge wie den vom letzten Freitag in unserem Land zu verhindern."

Merz regte ein Treffen schon in den nächsten Tagen an und präsentierte gleich einen ganzen Katalog von zum Teil drastischen Maßnahmen: "Nach Syrien  und Afghanistan kann abgeschoben werden, weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern nehmen wir nicht auf. Wer als Flüchtling aus Deutschland in sein Heimatland reist, verliert in Deutschland umgehend jeden Aufenthaltsstatus."

Schwierige Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan

Abschiebungen etwa nach Syrien oder Afghanistan prüft auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schon seit einigen Wochen. Gleichzeitig weist sie immer wieder darauf hin, dass die nicht so einfach zu bewerkstelligen seien: Zu den in Afghanistan herrschenden Taliban etwa bestehen keinerlei diplomatische Verbindung. Eigentlich gilt für das Land ein Abschiebestopp, seit die radikalen Islamisten im September 2021 an die Macht kamen.

Schon eher könnten die drei Ampel-Parteien der Regierung - SPD, Grüne und FDP - mit einer anderen Forderung von Merz mitgehen. Er schreibt: "Wir kontrollieren dauerhaft an den deutschen Grenzen, weisen dort konsequent zurück und setzen die Regeln der Dublin-Verordnungen wieder in Kraft. Danach hat in Deutschland niemand ein Bleiberecht, der aus einem sicheren Drittstaat einreist."

Nach der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest stellt ein Mann am Sonntag am Tatort eine Kerze zwischen zahlreiche Blumen und Grablichter
Am Sonntag in Solingen: Tiefe Trauer nach der Mordtat von FreitagabendBild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Nach dem Messerangriff von Solingen hatte sich ein 26-jähriger Syrer als Täter gestellt. Laut Zeitungsberichten war der Mann über Bulgarien in die EU eingereist und hätte nach den Dublin-Verordnungen dort Asyl beantragen müssen. Nachdem sein Asylantrag in Deutschland 2023 ablehnt worden war, hätte er nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Aber dazu sei es nicht gekommen, weil er untergetaucht sei. Am Sonntagnachmittag hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen erlassen. Das oberste deutsche Gericht ist zuständig, weil die Tat als Terrorakt eingestuft wird.

Faeser will Grenzkontrollen weiter verlängern

Immer wieder hat auch Innenministerin Faeser beklagt, dass viele EU-Länder wie etwa Bulgarien oder Rumänien Asylsuchende, die dort europäischen Boden betreten, einfach nach Deutschland weiterreisen lassen. An mehreren Grenzen - etwa nach Polen, Tschechien und Österreich - führt die Bundespolizei derzeit Stichproben durch. Bisher sollen sie im Dezember enden, doch Faeser hat erst vor wenigen Tagen in Aussicht gestellt, die Grenzkontrollen zumindest um ein halbes Jahr zu verlängern. Faeser weiß aber auch, dass die mit den Grenzkontrollen betraute Bundespolizei dafür dringend mehr Personal bräuchte als die bisher rund 56.000 Beamten. Doch eine gebotene Aufstockung ist angesichts knapper Kassen kaum leistbar.

Habeck fordert Verbote, an deren Wirkung er zweifelt

Dass eine wirksame Bekämpfung der islamistischen Kriminalität in Deutschland vor allem viel Geld kostet, klingt auch bei Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) an, der sich von seinem Wohnort Flensburg an der deutsch-dänischen Grenze zu Wort meldete: "Ob die schreckliche Tat von Solingen mit strengeren Gesetzen hätte verhindert werden können, das weiß man nicht", so der Wirtschaftsminister. In einem Post auf der Nacrichtenplattform X, ehemals Twitter forderte er dennoch: "Mehr Waffenverbotszonen und strengere Waffengesetze- Hieb- und Stichwaffen braucht niemand in Deutschland in der Öffentlichkeit. Wir leben nicht mehr im Mittelalter."

Tatsächlich ist das Mitführen von Messern und anderen Waffen auf öffentlichen Festen seit Inkrafttreten des Waffengesetzes 1973 verboten. Gegen schärfere Gesetze zum Mitführen etwa von Messern hatte sich in der Koalition zuletzt vor allem die liberale FDP ausgesprochen, jetzt sagte Justizminister Marco Buschmann, der der FDP angehört, in der "Bild-Zeitung": "Wir werden in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen die Messer-Kriminalität weiter voranbringen."

Polizei-Gewerkschaft mahnt zu Besonnenheit

Zu Besonnenheit auch in dieser aufgewühlten Situation rät derweil der "Bund Deutscher Kriminalbeamter". Deren Vorsitzender Dirk Peglow sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" über die Tat von Solingen: "Der Täter hätte sich von Messerverbotszonen und von einem generellen Messerverbot nicht aufhalten lassen." Gleichzeitig plädierte Peglow, der Polizei zu erlauben, ohne besonderen Anlass nach Messern zu suchen. Eine Debatte über ein generelles Messerverbot in der Öffentlichkeit - mit gebotenen Ausnahmen - halte er für erforderlich.

Solingen, eine Woche vor zwei brisanten Wahlen im Osten

Die Diskussion nach der Mordtat von Solingen ist auch deshalb so intensiv, weil sie gut eine Woche vor den brisanten Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen stattfand. Dort liegt die in Teilen rechtsextreme "Alternative für Deutschland" (AfD) in den Umfragen zwischen 30 und 34 Prozent und könnte in beiden Ländern stärkste politische Kraft werden. Auch das erst zu Jahresbeginn gegründete "Bündnis Sahra Wagenknecht" mit der früheren Linken-Politikerin an der Spitze hat starke Zustimmungswerte in den Umfragen. Beide fordern eine radikale Verschärfung der Asyl- und Ausländerpolitik.

Im Bundestag spricht CDU-Chef Friedrich Merz, im Hintergrund ist unscharf Bundeskanzler Olaf Scholz zu sehen
CDU-Chef Friedrich Merz bietet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, im Hintergrund) Gespräche schon in den nächsten Tagen an (Archivbild)Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Merz: Scholz soll seine Richtlinienkompetenz nutzen

Mit diesen Positionen sichern sich AfD und BSW wohl ihren erheblichen Zulauf. Während sich die Regierungsparteien davon weitgehend unbeeindruckt zeigen, rät Oppositionsführer Merz dem Bundeskanzler zu einem selten bemühten Instrument, wenn er sich mit einer schärferen Ausländerpolitik in den eigenen Reihen nicht durchsetzen könne: "Geben Sie mit Ihrer Richtlinienkompetenz die Abstimmung im Bundestag über die notwendigen Gesetze frei, wer bei den Grünen oder der FDP oder in Ihren eigenen Reihen nicht mitmacht, der bleibt dann am Wegesrand stehen."

Mit der Richtlinienkompetenz ist das Recht des Bundeskanzlers gemeint, sich im Streitfall bei allen Fragen über die Meinungen seiner Ministerinnen und Minister hinwegzusetzen und den Kurs der Regierung zu bestimmen. Merz deutet damit an, dass seine Partei, die CDU, einem entsprechenden Gesetzesvorschlag zustimmen würde.