Nach sieben Wahlen: Bulgarien hat eine neue Regierung
17. Januar 2025Endlich weißer Rauch! Seit 2020 haben die Bürgerinnen und Bürger Bulgariens sieben Mal gewählt. Nur zweimal kam dabei eine reguläre Regierung zustande - die in beiden Fällen schnell und spektakulär scheiterte.
Nach der jüngsten Wahl im Oktober 2024, die wieder keine klaren Ergebnisse gebracht hatte, bemühen sich drei Parteien darum, endlich eine stabile politische Führung für das NATO- und EU-Mitgliedsland auf den Weg zu bringen: die konservative GERB (Bewegung für ein europäisches Bulgarien - Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens) des ehemaligen Premierministers Boiko Borissow, die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) und die populistische Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN). Unterstützt werden sie von einem Teil der Partei der türkischen Minderheit "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DSP).
Am 16. Januar 2024 stimmten 125 Abgeordnete des bulgarischen Parlaments für die neue Koalitionsregierung - und 114 dagegen. Das Bündnis war zustande gekommen, nachdem der 65-jährige GERB-Chef Borissow seinen Anspruch auf das Amt des Regierungschefs zurückgezogen hatte. Stattdessen wurde Borissows enger Weggefährte, der 56-jährige Jurist Rossen Scheljaskow, Premierminister.
Hält die neue Regierung länger als ihre Vorgängerinnen? Und kann sie die großen Herausforderungen bewältigen, vor denen sich das ärmste EU-Land sieht? Politische Beobachter bezweifeln das - denn die jetzigen Koalitionspartner waren bis vor kurzem noch erbitterte Gegner.
Kampf gegen Korruption
Die politische Instabilität in Bulgarien begann im Jahr 2020. Damals gingen Hunderttausende auf die Straße, um gegen Korruption und Seilschaften in Justiz und Staat zu protestieren. Die Demonstrierenden forderten den Rücktritt sowohl von Ministerpräsident Borissow, der damals das Balkanland bereits zum dritten Mal regierte, als auch von Generalstaatsanwalt Ivan Geshev.
Beiden Politikern warfen die Protestierenden vor, von kriminellen Strukturen abhängig zu sein - insbesondere von dem Oligarchen und Politiker Deljan Peewski. Der Medienmogul wurde 2021 von den USA und dem Vereinigten Königreich wegen Korruption mit Sanktionen belegt.
Neue Parteien
Als Antwort auf die Proteste wurden mehrere Parteien und Parteienbündnisse gegründet, die ein gemeinsames Ziel verfolgten: die Abschaffung des Modells Peevski-Borisov-Geshev. Eine dieser Neugründungen war "Es gibt so ein Volk" (ITN) des TV-Moderators, Musikers und Produzenten Slavi Trifonov, die 2021 überraschend die Parlamentswahlen gewann.
Die Harvard-Absolventen Kiril Petkov und Assen Vassilev gründeten eine weitere neue Partei: "Wir setzen den Wandel fort" versprach ein Ende der Korruption und eine klare pro-europäische Zukunft für Bulgarien, gewann schnell an Zuspruch und bildete 2021 zusammen mit "Es gibt so ein Volk", den Sozialisten und dem liberalen Bündnis Demokratisches Bulgarien eine sogenannte Reformregierung.
Doch die zerbrach bereits im Jahr darauf. Damals stellte Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die starke pro-russische Propaganda in Bulgarien, die auch von der nationalistisch-populistischen Partei "Wiedergeburt" verbreitet wird, das EU-Land vor neue Herausforderungen. Nach erneuten Wahlen bildete "Wir setzen den Wandel fort" eine Koalition mit Borissows GERB - für viele Wähler ein Verrat an den Idealen und Versprechen der Reformer.
Der Oligarch im Hintergrund
"Das Schlimmste, was die Reformparteien getan haben, ist, dass sie sich mit dem zwielichtigsten Teil des politischen Spektrums verbündet haben - mit Borissows Leuten", urteilt Velislav Velichkov, Leiter der Bürgerinitiative "Gerechtigkeit für alle", gegenüber der DW. Unterstützt wurde die Koalition wieder von dem Oligarchen Peewski und der nominell liberalen Partei, der dieser angehört: die "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS), die in erster Linie die Interessen der türkischen Minderheit in Bulgarien vertritt.
Türkinnen und Türken machen rund neun Prozent der bulgarischen Bevölkerung aus. Deljan Peevski selbst gehört der Minderheit nicht an. Er ist orthodoxer Christ. Mit fragwürdigen Methoden gelang es ihm, im Herbst 2023 die Kontrolle über den Namen der Partei und über die staatliche Finanzierung zu übernehmen. Nachdem er im Dezember 2024 zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, forderte die Europäische Liberale Partei ALDE den Ausschluss der DPS. Dem kam Peevskis Partei zuvor, indem sie das liberale Parteienbündnis verließ.
Kultur der Ehrfurcht vor den Mächtigen
Neben der zersplitterten Parteienlandschaft bleiben auch die Seilschaften im bulgarischen Justizsystem ein großes Problem, das die Reformfähigkeit Bulgariens weiter in Frage stellt. Im Jahr 2023 wurde Ivan Geshev zwar aus dem Amt des Generalstaatsanwalts entfernt. Doch auch sein mittlerweile ebenfalls abgesetzter Stellvertreter Borislav Sarafov wird verdächtigt, Verbindungen zu kriminellen Gruppierungen zu unterhalten, die auf das Justizwesen einwirken.
Spektakulär war der Fall von Martin Bojanow, einem Kriminellen mit dem Spitznamen "Der Notar", der im Januar 2024 ermordet wurde. Die Richterin Vladislava Tsarigradska erzählte damals in Interviews und auch im Parlament, dass Bojanow jahrelang die Justiz beeinflusst, sie und ihre Kollegen bedroht - und dabei auf seine guten Kontakte zu Oligarch Peewski verwiesen habe.
"Offensichtlich ist die aus der Zeit der kommunistischen Diktatur stammende Kultur der Ehrfurcht vor den Mächtigen in der bulgarischen Justiz nicht verschwunden. Diese Angst, gepaart mit einem unerklärlichen Reichtum von Richtern und dem Fehlen institutioneller Antworten, untergräbt die Autorität der Justiz", so Tsarigradska zur DW.
Größere Reformen unwahrscheinlich
"Es ist nur logisch, zu erwarten, dass die neue Regierung sehr sorgfältig ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Hintermänner und der öffentlichen Legitimation durch scheinbare institutionelle Reformen anstreben wird", meint der politische Journalist Veselin Stoynev. Dabei hat die neue Regierung wichtige Aufgaben vor sich: Bulgarien könnte aufgrund fehlender Gesetzesänderungen Milliarden von Euro aus den Aufbaufonds der Europäischen Union verlieren.
In der Koalitionsvereinbarung nennt die neue politische Führung als Prioritäten die Fortsetzung der Bemühungen um Bulgariens Mitgliedschaft in der Eurozone, die Beschleunigung der Umsetzung des Wiederaufbau- und Resilienzplans der EU sowie die Modernisierung der bulgarischen Armee. Auch Korruptionsbekämpfung und Justizreform werden im Abkommen zwischen den Regierungsparteien erwähnt.
Experten sind jedoch der Meinung, dass in dieser heterogenen Koalition, die ernsthaft verdächtigt wird, in tiefen Abhängigkeiten versunken zu sein, keine großen Reformen zu erwarten sind. "Das größte Risiko besteht darin, dass sich die Abhängigkeiten in dieser Regierung als so unüberwindlich erweisen, dass sie jeden ihrer Schritte kompromittieren", meint Veselin Stoynev.