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PolitikBulgarien

Nach sieben Wahlen: Bulgarien hat eine neue Regierung

Alexandar Detev aus Sofia
17. Januar 2025

Bulgarien hat endlich eine neue Regierung. Kann sie die notorischen Probleme des Landes lösen, die Korruption bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen? Experten sind skeptisch.

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Männer und Frauen stehen mit dem Rücken zu den Betrachtenden und blicken auf mehrere Ränge, auf denen ebenfalls Männer und Frauen stehen, im Hintergrund sind eine blau-weiß-rote und eine blaue Fahne mit goldenen Sternen darauf zu sehen
Vereidigung der neuen Regierung am 16.01.2025 in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, am Pult in der Mitte der neue Premier Rossen ScheljaskowBild: BGNES

Endlich weißer Rauch! Seit 2020 haben die Bürgerinnen und Bürger Bulgariens sieben Mal gewählt. Nur zweimal kam dabei eine reguläre Regierung zustande - die in beiden Fällen schnell und spektakulär scheiterte.

Nach der jüngsten Wahl im Oktober 2024, die wieder keine klaren Ergebnisse gebracht hatte, bemühen sich drei Parteien darum, endlich eine stabile politische Führung für das NATO- und EU-Mitgliedsland auf den Weg zu bringen: die konservative GERB (Bewegung für ein europäisches Bulgarien - Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens) des ehemaligen Premierministers Boiko Borissow, die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) und die populistische Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN). Unterstützt werden sie von einem Teil der Partei der türkischen Minderheit "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DSP).

Am 16. Januar 2024 stimmten 125 Abgeordnete des bulgarischen Parlaments für die neue Koalitionsregierung - und 114 dagegen. Das Bündnis war zustande gekommen, nachdem der 65-jährige GERB-Chef Borissow seinen Anspruch auf das Amt des Regierungschefs zurückgezogen hatte. Stattdessen wurde Borissows enger Weggefährte, der 56-jährige Jurist Rossen Scheljaskow, Premierminister.

Hält die neue Regierung länger als ihre Vorgängerinnen? Und kann sie die großen Herausforderungen bewältigen, vor denen sich das ärmste EU-Land sieht? Politische Beobachter bezweifeln das - denn die jetzigen Koalitionspartner waren bis vor kurzem noch erbitterte Gegner.

Kampf gegen Korruption

Die politische Instabilität in Bulgarien begann im Jahr 2020. Damals gingen Hunderttausende auf die Straße, um gegen Korruption und Seilschaften in Justiz und Staat zu protestieren. Die Demonstrierenden forderten den Rücktritt sowohl von Ministerpräsident Borissow, der damals das Balkanland bereits zum dritten Mal regierte, als auch von Generalstaatsanwalt Ivan Geshev.

Ein Mann in blauem Mantel hält einen Stapel Papier in der ausgestreckten Hand, davor steht auf einem Tisch eine durchsichtige Plastikkiste - die Wahlurne
GERB-Chef und Ex-Premier Boiko Borissow bei der Stimmabgabe in SofiaBild: Valentina Petrova/AP/dpa/picture alliance

Beiden Politikern warfen die Protestierenden vor, von kriminellen Strukturen abhängig zu sein - insbesondere von dem Oligarchen und Politiker Deljan Peewski. Der Medienmogul wurde 2021 von den USA und dem Vereinigten Königreich wegen Korruption mit Sanktionen belegt.

Neue Parteien

Als Antwort auf die Proteste wurden mehrere Parteien und Parteienbündnisse gegründet, die ein gemeinsames Ziel verfolgten: die Abschaffung des Modells Peevski-Borisov-Geshev. Eine dieser Neugründungen war "Es gibt so ein Volk" (ITN) des TV-Moderators, Musikers und Produzenten Slavi Trifonov, die 2021 überraschend die Parlamentswahlen gewann.

Portrait eines Manns mit Glatze und Ohrring, der eine Lederjacke trägt
Slavi TrifonovBild: BGNES

Die Harvard-Absolventen Kiril Petkov und Assen Vassilev gründeten eine weitere neue Partei: "Wir setzen den Wandel fort" versprach ein Ende der Korruption und eine klare pro-europäische Zukunft für Bulgarien, gewann schnell an Zuspruch und bildete 2021 zusammen mit "Es gibt so ein Volk", den Sozialisten und dem liberalen Bündnis Demokratisches Bulgarien eine sogenannte Reformregierung.

Portrait zweier Männer, die Jackets tragen
Kiril Petkov und Assen Vassilev im November 2024Bild: ANTON STANKOV/BGNES

Doch die zerbrach bereits im Jahr darauf. Damals stellte Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die starke pro-russische Propaganda in Bulgarien, die auch von der nationalistisch-populistischen Partei "Wiedergeburt" verbreitet wird, das EU-Land vor neue Herausforderungen. Nach erneuten Wahlen bildete "Wir setzen den Wandel fort" eine Koalition mit Borissows GERB - für viele Wähler ein Verrat an den Idealen und Versprechen der Reformer.

Der Oligarch im Hintergrund

"Das Schlimmste, was die Reformparteien getan haben, ist, dass sie sich mit dem zwielichtigsten Teil des politischen Spektrums verbündet haben - mit Borissows Leuten", urteilt Velislav Velichkov, Leiter der Bürgerinitiative "Gerechtigkeit für alle", gegenüber der DW. Unterstützt wurde die Koalition wieder von dem Oligarchen Peewski und der nominell liberalen Partei, der dieser angehört: die "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS), die in erster Linie die Interessen der türkischen Minderheit in Bulgarien vertritt.

Ein Mann mit Bart und roter Krawatte spricht in Mikrofone
Der Medienmogul und Politiker Deljan PeewskiBild: BGNES

Türkinnen und Türken machen rund neun Prozent der bulgarischen Bevölkerung aus. Deljan Peevski selbst gehört der Minderheit nicht an. Er ist orthodoxer Christ. Mit fragwürdigen Methoden gelang es ihm, im Herbst 2023 die Kontrolle über den Namen der Partei und über die staatliche Finanzierung zu übernehmen. Nachdem er im Dezember 2024 zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, forderte die Europäische Liberale Partei ALDE den Ausschluss der DPS. Dem kam Peevskis Partei zuvor, indem sie das liberale Parteienbündnis verließ.

Kultur der Ehrfurcht vor den Mächtigen

Neben der zersplitterten Parteienlandschaft bleiben auch die Seilschaften im bulgarischen Justizsystem ein großes Problem, das die Reformfähigkeit Bulgariens weiter in Frage stellt. Im Jahr 2023 wurde Ivan Geshev zwar aus dem Amt des Generalstaatsanwalts entfernt. Doch auch sein mittlerweile ebenfalls abgesetzter Stellvertreter Borislav Sarafov wird verdächtigt, Verbindungen zu kriminellen Gruppierungen zu unterhalten, die auf das Justizwesen einwirken.

Männer und Frauen halten Schilder mit kyrillischen Aufschriften darauf hoch
Protest gegen die Nominierung von Borislav Sarafov zum Generalstaatsanwalt Bulgariens am 15.10.2024Bild: BGNES

Spektakulär war der Fall von Martin Bojanow, einem Kriminellen mit dem Spitznamen "Der Notar", der im Januar 2024 ermordet wurde. Die Richterin Vladislava Tsarigradska erzählte damals in Interviews und auch im Parlament, dass Bojanow jahrelang die Justiz beeinflusst, sie und ihre Kollegen bedroht - und dabei auf seine guten Kontakte zu Oligarch Peewski verwiesen habe.

Porträt einer blonden Frau in einem blauen Blazer, sie trägt ein buntes Halstuch
Richterin Vladislava Tsarigradska während einer Anhörung im Parlament in SofiaBild: Nadezhda Peeva/BGNES

"Offensichtlich ist die aus der Zeit der kommunistischen Diktatur stammende Kultur der Ehrfurcht vor den Mächtigen in der bulgarischen Justiz nicht verschwunden. Diese Angst, gepaart mit einem unerklärlichen Reichtum von Richtern und dem Fehlen institutioneller Antworten, untergräbt die Autorität der Justiz", so Tsarigradska zur DW.

Größere Reformen unwahrscheinlich

"Es ist nur logisch, zu erwarten, dass die neue Regierung sehr sorgfältig ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Hintermänner und der öffentlichen Legitimation durch scheinbare institutionelle Reformen anstreben wird", meint der politische Journalist Veselin Stoynev. Dabei hat die neue Regierung wichtige Aufgaben vor sich: Bulgarien könnte aufgrund fehlender Gesetzesänderungen Milliarden von Euro aus den Aufbaufonds der Europäischen Union verlieren.

In der Koalitionsvereinbarung nennt die neue politische Führung als Prioritäten die Fortsetzung der Bemühungen um Bulgariens Mitgliedschaft in der Eurozone, die Beschleunigung der Umsetzung des Wiederaufbau- und Resilienzplans der EU sowie die Modernisierung der bulgarischen Armee. Auch Korruptionsbekämpfung und Justizreform werden im Abkommen zwischen den Regierungsparteien erwähnt.

Experten sind jedoch der Meinung, dass in dieser heterogenen Koalition, die ernsthaft verdächtigt wird, in tiefen Abhängigkeiten versunken zu sein, keine großen Reformen zu erwarten sind. "Das größte Risiko besteht darin, dass sich die Abhängigkeiten in dieser Regierung als so unüberwindlich erweisen, dass sie jeden ihrer Schritte kompromittieren", meint Veselin Stoynev.

 

Im Mausoleum des kommunistischen Diktators Georgi Dimitroff

Ein junger Mann mit Bart blickt lächelnd in die Kamera. Er trägt ein weißes Hemd und einen dunklen Blazer
Alexandar Detev Autor, Korrespondent und Redakteur