Nach Prigoschins Tod: Wackelt Putins Thron?
31. August 2023Auf keinen größeren Widerstand trafen Tausende Söldner der Wagner-Gruppe, als sie vor gut zwei Monaten gen Moskau marschierten. Ihr inzwischen ums Leben gekommener Chef Jewgenij Prigoschin brach den Putsch zwar ab und der Kampf um die Macht im Kreml blieb aus. Doch in Erinnerung bleibt: Damals wirkte Präsident Wladimir Putin schwach.
Nachdem der Aufstand abgeblasen worden war, begann etwa im Baltikum eine Debatte über die Stabilität Russlands. Jānis Sārts, Direktor beim Kompetenzzentrum für Strategische Kommunikation bei der NATO in Riga glaubt, dass der Marsch auf Moskau die Macht im Kreml erschütterte. Ins gleiche Horn bläst Mārtiņš Vargulis, der stellvertretende Leiter des Lettischen Instituts für Außenpolitik. Putins Macht werde bedroht von Kräften innerhalb Russlands, erklärt er.
Inzwischen steigt die Inflation in Russland weiter, der Wert des Rubels gegenüber Dollar und Euro fällt. Moskaus regierungstreues Propagandablatt "Iswestija" beklagt, dass es in den Regionen zu Schlangen vor Tankstellen kommt; wohlgemerkt beim weltweit drittgrößten Ölproduzenten. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stockt. In den letzten Wochen sind es vor allem die Ukrainer, die kleinere Geländegewinne vermelden.
Wackelt also Putins Thron im Kreml?
Davon sei derzeit überhaupt nicht auszugehen, so Stefan Meister von der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" (DGAP) gegenüber der Deutschen Welle. Putins Regime habe es mit Repression und Propaganda geschafft, einen Großteil der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Die westlichen Sanktionen würden in Teilen umgangen. Viele Unternehmen, auch solche aus dem Westen, seien weiterhin in Russland aktiv. Stefan Meister beobachtet zwar einen Wohlstandsverlust bei der russischen Bevölkerung. Aber von einem Zerfall des Landes oder einer Schwäche Putins könne nicht die Rede sein, sagt er. Wenn Putin eines Tages überhaupt herausgefordert werden könne, dann von jemandem aus dem Sicherheitsapparat, meint der ausgewiesene Russlandkenner. Doch derzeit sitze Putin "fest im Sattel". Er verfüge über genügend Ressourcen, um seinen Krieg gegen die Ukraine noch zwei, drei Jahre fortsetzen zu können.
Auch Tobias Fella, wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik" (IFSH), glaubt nicht, dass derzeit "in Russland die große Instabilität" droht. Zu einem Problem für den Kreml könnte es kommen, wenn die Regierung weitere Truppen mobilisieren müsste oder die wirtschaftliche Lage sich dramatisch verschlechtere. Nach den jüngsten Geländegewinnen der Ukrainer an der Front würde sich Russland "militärisch lernfähig erweisen."
Unter westlichen Experten wird spekuliert, ob nicht der Kreml selbst das Narrativ verbreite, dass in Russland Chaos drohe. Ziel dieses Narratives wäre es, die Unterstützung des Westens für die Ukraine zu schwächen, denn der Westen könne es durchaus verschmerzen, wenn die Ukraine Land abtreten müsste, nicht aber umhervagabundierende russische Atomraketen.
Stefan Meister glaubt nicht an derartige Theorien. Vielmehr demonstriere das System Putin Stärke, so der Experte - auch mit dem Tod Prigoschins. Es seien weder die Oligarchen, noch die Gesellschaft, noch das Militär oder die Personen, die Putin umgeben und von ihm abhängig sind, die seine Macht infrage stellen könnten, glaubt er. Möglicherweise könne dies eines Tages anders sein bei den Geheimdiensten oder den Sicherheitsapparaten. Kleinere militärische Niederlagen in der Ukraine gefährdeten nicht Putins Macht. Möglicherweise anders wäre das erst, wenn es der Ukraine beispielsweise gelingen würde, die Krim und alle von Russland besetzen Gebiete zurückzuerobern.