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Krachender Streit im Bundestag: Corona-Impfpflicht scheitert

7. April 2022

Niederlage für die Befürworter: In Deutschland wird es weiterhin keine Corona-Impfpflicht geben. Im Bundestag fand der von Kanzler Scholz favorisierte Gesetzentwurf für eine Impfpflicht ab 60 Jahren keine Mehrheit.

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Deutschland | Debatte über Impfpflicht im Bundestag
Debatte über Impfpflicht im Bundestag am 7. AprilBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie geht es in Deutschland weiter wie bisher. Nach hitziger Debatte lehnte der Bundestag einen Gesetzentwurf für eine "Impfpflicht ab 60" ab. Dabei wurde dieses Konzept von einem Großteil der Abgeordneten der sogenannten Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP favorisiert. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) hatten dieses Konzept beworben. Wie wichtig ihnen die Abstimmung war, zeigte ein Blick auf die gut besetzte Regierungsbank.

Auch drei weitere Anträge, die aus den Fraktionen der Union, der AfD und der FDP kamen, fanden keine Zustimmung. Damit ändert sich an der derzeitigen, weithin ungeregelten, Lage in Deutschland beim Kampf gegen die Pandemie vorerst gar nichts. Bemerkenswert: Für den Unions-Antrag auf ein Impfregister, auf den Fraktionschef Friedrich Merz sein Lager entschieden eingeschworen hatte, stimmten auch mindestens 25 der 197 Abgeordneten von CDU/CSU nicht.

"Tam-Tam"

Den Entscheidungen voraus ging eine knapp halbstündige Debatte der Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen um den konkreten Ablauf der Abstimmungen, konkret um die Reihenfolge, in der das Parlament entscheiden sollte. Sie wurde zu einem Schlagabtausch mit einer Schärfe und auch mit persönlichen Anwürfen, wie sie der Bundestag seit einer Reihe von Jahren nicht erlebt hatte.

Da warf Thorsten Frei (CDU) der Ampel-Mehrheit "rechtsmissbräuchliches Verhalten" vor. Katja Mast (SPD) konterte mit dem Vorwurf der "Verächtlichmachung der Demokratie", nannte die Union "Tam-Tam-Partei", sprach von "Manipulation" und "Machtkalkül".

Johannes Vogel von der FDP unterstellte der Union "Theater" und "schäbiges" Verhalten: Sie "pöbeln im Klassenzimmer rum", sagte er den Vertretern von CDU/CSU. Jan Korte von der Linken bezeichnete es dagegen als "lächerlich", dass die Ampel-Redner "den Oppositionsparteien vorwerfen, Oppositionsarbeit zu machen".

Baerbock fliegt vergeblich

In der dann folgenden Abstimmung über die Reihenfolge der Abstimmungen scheiterte das Vorhaben der Ampel, über ihren eine Impfpflicht befürwortenden Antrag zuletzt abstimmen zu lassen. Da machte schon längst die Nachricht die Runde, Kanzler Scholz habe Außenministerin Annalena Baerbock vom Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel zurück nach Berlin beordert, um seinem Lager die Mehrheit zu sichern. Noch bevor die Grüne eintraf, mussten Scholz und seine Mitstreiter die erste Niederlage hinnehmen - mit 339 gegen 345 Stimmen wurde beschlossen, zuerst über den Gesetzentwurf der Impfpflicht-Befürworter abzustimmen.

Die zweite, dann deutlichere Niederlage folgte wenig später. Der Vorschlag von Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP, der eine Impfpflicht für Menschen zunächst ab 60 Jahren vorsah, bekam bei 378 Nein-Stimmen lediglich 296 Ja-Stimmen. Dieses Resultat lag kaum über der Zahl der Unterstützer im Vorfeld. Das waren rund 280.

Deutschland | Debatte über Impfpflicht im Bundestag | Abstimmung
Kanzler Scholz gibt seine Stimme im Bundestag abBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Die Schärfe der einzelnen Redebeiträge hatte sich im Laufe der Debatte aufgebaut. Als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Morgen die Bundestagssitzung eröffnete, sah ihr Zeitplan 68 Minuten für die Aussprache vor. Daraus wurden fast drei Stunden. 23 Rednerinnen und Redner bewarben nicht nur ihr jeweils favorisiertes Konzept und betonten überwiegend, dass es irgendeine Regelung geben solle; die Mehrzahl teilte zugleich gegen das andere Lager aus – je länger, je mehr.

Scholz ohne Mehrheit

Das überraschte, weil es bei diesem Thema, wie im Vorfeld oft betont wurde, wegen der ethischen Aspekte der Entscheidung nicht um Fraktionsgrenzen gehen sollte. Aber im Verlauf der Debatte zeichnete sich immer stärker ein Gegenüber von Unionsfraktion und Ampel - oder zumindest einem großen Teil der Ampel - ab. Bei vielen Zwischenfragen und spontanen Wortmeldungen war zu spüren, dass es auch um die Frage ging, ob Bundeskanzler Scholz für das von ihm favorisierte Konzept eine Mehrheit erreichen würde. Und Scholz, der nun in der Debatte nicht das Wort ergriff, hatte seit Monaten mehrfach signalisiert, dass er im Bundestag die gesetzliche Regelung einer Impfpflicht erreichen wolle.

Das schaffte Scholz nun nicht. Dabei zeigte sich die Mehrheit der Redner von der Notwendigkeit weiterer Schritte überzeugt. Lediglich von der AfD, der Linken und mehreren FDP-Vertretern kam die Absage an jede verbindliche Vorgabe. Es gehe um "Vorsorge für den nächsten Winter", sagte die Vizevorsitzende der SPD-Fraktion Dagmar Schmidt.

Deutschland | Debatte über Impfpflicht im Bundestag
Hitzige Debatte im Bundestag: Gesundheitsminister Karl Lauterbach warb für die ImpfpflichtBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Karl Lauterbach, der als einfacher Abgeordneter das Wort ergriff, warnte davor, sich an 200 oder 300 Tote pro Tag im Zusammenhang mit der Pandemie zu gewöhnen. Sepp Müller von der CDU bezeichnete dagegen den Unionsvorschlag eines Impfregisters als "vernünftig und angemessen".

Reden nach dem Rauch

Und Müller kündigte schon in dieser Aussprache an: "Wenn der Rauch verschwunden ist, stehen wir ab morgen für Gespräche bereit." Zur Erinnerung: 2,7 Millionen Menschen in Deutschland, die älter als 60 Jahre sind, haben bislang keine einzige Impfung gegen das Coronavirus. Und zuletzt vermeldeten die Behörden Woche für Woche um die 1500 Todesopfer im Zusammenhang mit dem Virus.

Um "unnötige Opfer im Herbst zu vermeiden, sollte der Versuch nicht aufgegeben werden, bis dahin trotzdem eine Impfpflicht zu erreichen", betonte Lauterbach nach der Abstimmung. Kanzler Scholz sieht dies offenbar anders. Er finde die Entscheidung des Bundestags "sehr eindeutig", sagte er. "Und es wäre nicht sehr demokratisch, so zu tun, es wäre die ein Unfall oder sowas."