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Nach dem Fall Gomas: Wie die Menschen im Kongo überleben

Constantin Leclerc Goma
27. Januar 2025

Im Kongo hat die Miliz M23 die Provinzhauptstadt Goma eingenommen. Doch die Bevölkerung lässt sich nicht kleinkriegen. Ihr Alltag ändert sich in rasantem Tempo.

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DR Kongo, Goma - Mehrere Personen im Lager Mugunga, unbefestigter Boden, Säcke mit Hilfsgütern, Kunststoffeimer, dahinter Baracken und Zelte
Die Bevölkerung im Ostkongo muss mit immer wechselnden Bedingungen zurechtkommenBild: Constantin Leclerc/DW

In der kongolesischen Millionenstadt Goma knallen die Schüsse. Kämpfer der Miliz "Bewegung des 23. März", auf Französisch M23 abgekürzt, patrouillieren. Die M23 hat die Hauptstadt der Provinz Nordkivu in der Nacht zum Montag eingenommen. Sie hat den Flughafen geschlossen und den staatlichen Radiosender besetzt. Er spielt jetzt Musik.

Häftlinge, die auf unbekannte Weise freigekommen sind, versprengte Soldaten und Milizionäre, die an der Seite der Armee gekämpft haben, plündern in einzelnen Vierteln. Manche Militärs haben sich der Blauhelmtruppe der Vereinten Nationen gestellt, wo sie erst einmal sicher sind. Andere sind mit dem Boot über den Kivusee in die Stadt Bukavu geflüchtet. Auch die meisten Söldner aus Rumänien und Bulgarien, die die Armee unterstützt hatten, sind in letzter Sekunde aus Goma abgereist. Die M23 kontrolliert Häuser und Hotels, um herauszufinden, ob sich dort Armeeangehörige versteckt haben.

Das Nachbarland Ruanda unterstützt die M23 mit Waffen und Soldaten. Das hat die Chefin der Blauhelm-Mission im Kongo, Bintou Keita, am Sonntag bei einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats bestätigt.

Vor dem Fall Gomas: Angst vor Massaker

Der Tag davor. "Ich habe Angst vor einem Massaker, wenn sie kommen. Dort, wo die M23 schon ist, haben sie junge Männer umgebracht", erzählt Paul Buyana einen Tag, bevor die Miliz Goma einnimmt. Mindestens ebenso schlimm für den 27 Jahre alten Kongolesen ist, dass er keine Arbeit findet, solange die Geschäftsleute fürchten müssen, dass Kämpfer oder Plünderer in der Stadt um sich schießen.

Das letzte Mal hatte Buyana vor einer Woche einen Job. Er hat für einen Ladenbesitzer Kisten gezählt und in eine Liste eingetragen. An jenem Abend hat er sich satt gegessen. Wenn in seinem Viertel nicht gerade geschossen wird, geht er sofort wieder raus, um einen Job zu ergattern. Es gibt immer irgendetwas zu tragen oder zu mauern. Selbst kurz vor der Invasion des Feindes haben manche Leute ihre Gartentore gestrichen und sie bauen unverdrossen an ihren Häusern weiter. Mut ist im Ostkongo eine Überlebensstrategie.

Die Bomben übertönen

Donnerstag, 23. Januar. Es ist der Tag, an dem die Ortschaft Sake fällt, die letzte Bastion vor Goma. Im westlichen Stadtteil Keshero hört man die Bomben von der Front besonders laut. Trotzdem stehen dort Autos mit blau-gelben Schleifen und mit Blumen vor einem Gelände am Kivusee. Es wird Hochzeit gefeiert. Die Gäste singen die kongolesische Nationalhymne, "Debout Congolais": Steht auf, Kongolesen. Danach spielt der DJ kongolesische Rumba. Er dreht die Musik so laut, dass sie die Bomben übertönt.

Auch die Verkehrspolizisten trauen sich an jenem Tag noch auf die Straße. Sie stehen zu zehnt an den großen Kreuzungen in Goma, halten Autofahrer und die Chauffeure der Motorradtaxis an. Sie erpressen Geld von den Verkehrsteilnehmern. Das ist ihr tägliches Brot, weil der mickrige Lohn nicht reicht.

Gemüse siebenmal teurer

"Wir sind im Krieg und die haben nichts Besseres zu tun", schimpft die Menschenrechtsaktivistin Passy Mubalama. Als ob es der Bevölkerung nicht schon schlecht genug ginge. Goma sitzt im Dunkeln. Bomben haben die Hauptleitungen für Strom getroffen. Nur wer einen Generator hat und sich den teuren Diesel dafür leisten kann, hat noch Licht und kann sein Handy und seinen Laptop laden. Solarlampen kosten jetzt 20 Euro statt fünf Euro.

DR Kongo, Goma: Blick auf das Lager Mugunga mit zahlreichen weißen Zelten dicht nebeneinander unter einigen Bäumen und auf einem Hang
Auch die Flüchtlingscamps sind nur Zwischenstation: Aus Mugunga sind inzwischen viele ins überfüllte Goma geflohen.Bild: Constantin Leclerc/DW

Auch die Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschnellt. Am Tag zuvor hat Mubalama für ein Bund Sombe - ein beliebtes Gemüse - noch 1000 kongolesische Francs bezahlt, umgerechnet 35 Cent. Am Tag, nachdem Sake fällt und Goma von den landwirtschaftlichen Anbaugebieten endgültig abgeschnitten ist, kostet das Gemüse 2,50 Euro.

Bei diesen Preisen könnten sich die Menschen nicht leisten, einen Vorrat anzulegen, schimpft Mubalama. Dabei wäre das dringend nötig im Krieg. Man weiß nie, wie lange die Schießereien andauern. Niemand kann dann zum Markt gehen, um einzukaufen.

Nachbarschaftshilfe fürs Militär

Zola Lutundula wohnt neben einem Militärcamp in Goma. Seine Kinder spielen mit den Kindern der Soldaten. Der Lehrer hat Freunde unter den Militärs. In den letzten Tagen haben sie ihr Hab und Gut zu Lutundula gebracht - aus Angst, dass die M23 das Lager durchkämmt. "Mein Wohnzimmer ist ein Lager für Tische, Stühle und Kochtöpfe, ich weiß nicht mehr, wo ich sitzen soll", sagt er. Dabei ist seine Hütte ohnehin schon überfüllt. Er hat Verwandte aufgenommen. Sie mussten vor dem Krieg flüchten. Statt neun Personen wohnen jetzt 14 in seinem Haushalt. Lutundula muss sie alle ernähren, und das bei den teuren Preisen für Lebensmittel.

DR Kongo, Goma: eine Person an einem Tisch sitzend - Lehrer Zola Lutundula
Lehrer Zola Lutundula beherbergt inzwischen fünf weitere Menschen - in Goma ist das zurzeit eher Regel als AusnahmeBild: Constantin Leclerc/DW

So geht es vielen Familien in Goma. Der Krieg hat seit Anfang Januar laut UN-Angaben 400.000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Insgesamt lebt inzwischen fast die Hälfte der Bevölkerung von Nordkivu bei Gastfamilien oder in Lagern in und um Goma.

Eine von ihnen ist Pacifique Maombi. Wir treffen sie kurz vor dem Fall Gomas im Flüchtlingslager von Mugunga, zehn Kilometer von Goma entfernt. Sie ist mit ihren vier Kindern und ihrem Mann vor den Bomben im Ort Sake weggerannt. Sie hat fast alles verloren, ihr Zuhause und ihren Job als Krankenschwester in einem Gesundheitszentrum. Aber sie hat etwas, was ihr Hoffnung gibt: eine Sparkooperative. Maombi leitet die Gruppe mit 30 Frauen im Flüchtlingslager zehn Kilometer von Goma entfernt. Die Frauen bezahlen jede Woche ein wenig Geld in eine Kasse, daraus werden Kredite vergeben, mit denen sie kleine Geschäfte aufbauen können.

Stärke bewiesen

Maombi hat sich 30 Euro geliehen, damit Mehl, Hefe und Öl gekauft. Seither backt sie Ndazi und verkauft die frittierten Teigkugeln an die Menschen im Lager. Für viele ist das die einzige Mahlzeit am Tag. "Ich musste den Kredit innerhalb von drei Monaten zurückzahlen", sagt Maombi. Es ist ihr manchmal schwergefallen, das Geld beiseitezulegen, das sie zurückzahlen musste. Wer schaut schon gerne zu, wenn die Kinder hungrig schlafen gehen müssen, obwohl man noch einen Euro in der Tasche hat. Aber sie musste sparen, damit die Kooperative nicht zusammenbricht. Sie hat Stärke bewiesen, wie viele Kongolesen.

DR Kongo, Goma: eine Frau (Pacifique Maombi, mittig) in einem Raum an einem Tisch mit blauer Truhe auf dem Tisch vor Geldstapeln, daneben und dahinter weitere Personen
Die Sparkooperative hat es Pacifique Maombi (Mitte) ermöglicht, ihre Existenz zu sichernBild: Constantin Leclerc/DW

Inzwischen hat sich die Lage auch für Maombi erneut geändert. Sie ist mit ihrer Familie weitergeflohen, ist jetzt auf dem Gelände einer Kirchengemeinde in Goma untergekommen. Ob sie weiter Ndazi verkaufen kann, ist völlig unklar. Das Leid der Bevölkerung ist das eine, der Stolz das andere. Für den Lehrer Lutundula ist das Schlimmste "diese Demütigung, dass unsere Armee es nicht geschafft hat, die Stadt zu verteidigen. Das ist schlecht für uns alle, für das ganze Volk".

"Noch schnell abkassiert"

Mag die bisherige Militärregierung in Nordkivu darin versagt haben, das Territorium zu verteidigen, so war sie doch erfinderisch, wenn es darum ging, Geld zu verdienen. Seit dem vergangenen Oktober musste jeder Autofahrer eine jährliche Steuer von zehn Euro, jeder Motorradfahrer eine Steuer von drei Euro bezahlen. Mit dem Geld würden die Brücken und Unterführungen unterhalten, erklärte die Regierung. Allerdings gibt es in Goma weder Brücken noch Unterführungen.

Geschäftsleute erzählen, dass ständig Steuerbeamte kämen und mehr Geld einforderten. "Es ist, als ob das Regime noch möglichst schnell möglichst viel abkassieren will, weil sie fürchten, die M23 wird sie bald an der Macht ablösen", schimpft kurz vor dem Fall von Goma ein Unternehmer, der anonym bleiben will. Genau so ist es jetzt wohl gekommen.