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Politik

Mukwege: Sexuelle Gewalt kein Tabu

Susanne Maria Krauß
6. Oktober 2018

Wenn alle Männer so handeln und denken würden wie Denis Mukwege, es wäre eine bessere Welt. Susanne Krauß hat den Friedensnobelpreisträger am Tag nach der Bekanntgabe des Komitees in Bukavu getroffen.

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Kongolesischer Gynäkologe Denis Mukwege (AFP/Getty Images/S. Hamed)
Denis MukwegeBild: Getty Images/AFP/S. Hamed

DW: Dieses Jahr hat sich das Nobelpreis-Komitee dazu entschieden, den Blick auf sexuelle Gewalt zu lenken, die Frauen auf der ganzen Welt erleiden. Was bedeutet die Entscheidung des Komitees für Sie und Ihre Kollegen?

Denis Mukwege: Ich denke, dass dies eine großartige Entscheidung war. Viele Menschen auf der Welt und selbst Menschen in meiner Heimat verstehen nicht, was es heißt, dass Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt wird. Sie verstehen nicht, wie Vergewaltigung zerstören kann. Nicht nur das Opfer, sondern wie Vergewaltigung Familien zerstört, die Gesellschaft und ein ganzes Land. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dieser Tatsache Aufmerksamkeit zu verleihen. Denn wenn eine Gesellschaft oder ein Land auf diese Weise zerstört wird, dann ist das eine Zerstörung für viele Jahrzehnte. Das können wir hier am Krankenhaus (in der Provinzhauptstadt Bukavu, die Red.) beobachten. Wir müssen dieses Problem um der Opfer willen angehen, aber wir müssen auch verhindern, dass so etwas in der Zukunft weiter passiert.

"Warum ist mir das passiert"

Was bedeutet das konkret?

Hier am Krankenhaus kümmern wir uns um Opfer sexueller Gewalt. Wir behandeln sie nicht nur physisch, sondern wir müssen uns auch um ihre Psyche kümmern. Das kann lange Zeit dauern. Es hängt vom Trauma ab, das das Opfer erlebt hat. Und später geht es darum, diese Frauen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Und dies kann man nicht erreichen, wenn man ihnen nicht zugesteht, selbständig zu sein. Das ist es, was wir hier tun. Mit diesen drei Säulen – medizinisch, psycho-sozial und sozial-ökonomisch – stellen wir wieder Gerechtigkeit her. Sie (die Frauen) wollen Gerechtigkeit. Vielleicht geht es ihnen wirtschaftlich gut, aber sie stellen sich die Frage: Warum ist das mir passiert? Warum ist dieser Mann, der mich vergewaltigt hat, noch immer frei? Und vergewaltigt weiter? Heute gibt es Frauen, die sich äußern und Gerechtigkeit verlangen. Doch das braucht viel Zeit.

Sie machen diese Arbeit schon beinahe 20 Jahre. Was hat sich verändert und wie ist die aktuelle Situation von Frauen im Ost-Kongo?

Was sich verändert hat ... und das kann ich heute sehen: Frauen kämpfen heute, um das Schweigen zu brechen. Als das Problem in dieser Region aufkam, war es für Frauen sehr schwierig. Auch wenn alle Beweise vorhanden waren, dass eine Frau vergewaltigt und im Genitalbereich stark verletzt wurde, kamen sie meist mit irgendwelchen anderen Gründen, weil sie sich so für das Geschehene geschämt haben. Heute kann ich sehen, dass Frauen stärker sind. Sie erstatten Anzeige bei der Polizei und kommen zum Krankenhaus und sagen: Schau, was mir passiert ist und ich weiß, wer dafür verantwortlich ist. Ich denke, dass das ein großer Fortschritt im Kampf gegen sexuelle Gewalt ist. Denn solange Menschen sexuelle Gewalt als ein Tabu behandeln, etwas, worüber nicht gesprochen werden kann, schützt dieses Verhalten auch den Täter. Darüber zu reden ist eine Möglichkeit, den Tätern zu zeigen: Wenn du mir dies antust, wird jeder davon wissen und die Scham wird nicht auf meiner Seite sein, sondern auf deiner. Wenn das passiert, verändern sich Dinge. Wie gesagt, das wird Zeit brauchen, aber es wird passieren.

Kongo Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege
Umjubelt nach der Bekanntgabe: Denis Mukwege vor seiner Klinik Bild: DW/E. Muhero

Woher kommt Ihre Motivation? Was gibt Ihnen Kraft für Ihre Arbeit?

Wer den Frauen begegnet, die wir hier behandeln, wird sehen, dass sie Töchter, Ehefrauen, Mütter, Enkelkinder sein könnten. Ich denke, wer sich nicht mit seinem Gegenüber identifizieren kann, wird das Leiden der anderen ignorieren. Ich denke, das ist ein entscheidender Punkt. Für mich ist das sehr wichtig. Wenn ich jemand anderen leiden sehe, verspüre ich Mitleid, Mitgefühl und versetze mich in dessen Situation. Das ist sehr wichtig. Ein zweiter Punkt ist, dass ich die Stärke von Frauen gesehen habe. Ich bin sehr beeindruckt, wie stark Frauen sein können. Auch wenn sie hier unter sehr schwierigen Umständen ankommen, verwundet, psychologisch erniedrigt, stehen sie hinterher auf und kämpfen für ihr Recht. Das hat mich persönlich sehr berührt und ermutigt mich, weiterzumachen.

"Ein Weg, Täter anzuprangern"

Die #MeToo-Bewegung ist weltweit bekannt geworden und bekommt viel Aufmerksamkeit. Wie sehen Sie diese Bewegung und wie wird sie hier im Kongo wahrgenommen?

Wir unterstützen die #MeToo-Bewegung zu hundert Prozent. #MeToo ist eine Möglichkeit, gegen das patriarchalische System zu kämpfen. Es ist ein Weg, Täter anzuprangern. Wenn Frauen die Wahrheit sagen, beginnen Täter zu verstehen, dass sie es sind, die Scham empfinden werden, wenn sie vergewaltigen und Frauen Schmerzen zufügen ... Hier in der Region arbeiten wir stark daran, das Schweigen zu brechen. Und ich denke, #MeToo hat das gleiche Ziel. Wenn das Schweigen gebrochen wird, werden Täter verstehen, dass es kein Tabu mehr ist. Deshalb unterstütze ich diese Bewegung.

Der kongolesische Frauenarzt Dr. Denis Mukwege (63) hat in der Provinzshauptstadt Bukavu das Parzi-Krankenhaus gegründet. Der Mediziner wird für seinen Einsatz für vergewaltigte Frauen mit dem Friedensnobelpreis 2018 ausgezeichnet - gemeinsam mit der jesidischen Aktivistin Nadia Murad.

Das Interview führte Susanne Krauß.