Mudschaheddin-Kämpfer in Bosnien und Herzegowina
20. September 2004Bonn, 20.9.2004, DW-Radio / Bosnisch, Sabrina Hodzic
Zum ersten Mal hat die Staatsanwaltschaft an einem Gericht in Bosnien und Herzegowina einen Prozess gegen einen mutmaßlichen islamischen Extremisten angestrengt. Abdulahim Maktouf, ein Iraker, der im Bosnienkrieg in einer Mudschaheddien-Einheit an der Seite der Armee von Bosnien und Herzegowina gekämpft hat, muss sich jetzt wegen der Verschleppung und Misshandlung von fünf Zivilisten 1993 in Travnik verantworten. Einer der Verschleppten, ein serbischer Zivilist, wurde von seinen Peinigern geköpft. Wie sind die Mudschaheddin im Bosnienkrieg nach Travnik gelangt? Warum konnten sie in Bosnien bleiben und wie reagierte die bosnische Öffentlichkeit seinerzeit darauf? Ein Beitrag von Sabrina Hodzic.
Von 1992 bis 1995 kamen Hunderte Freiwillige aus islamischen Ländern nach Bosnien und Herzegowina, um die Armee der Zentralregierung im Kampf gegen bosnische Serben und Kroaten zu unterstützen. Unter ihnen war auch Abdulahim Maktouf, der offiziell als Vertreter einer Hilfsorganisation einreiste. So getarnt gelang es ihm, in Bosnien Fuß zu fassen. Die Staatsanwaltschaft bezeichnet ihn nun als einen international bekannten Kriminellen, der Kontakte zu den Taliban in Afghanistan gepflegt haben soll. Nach dem Kriege erhielt er, aufgrund seines Dienstes in der Armee, den bosnischen Pass, ließ sich in Travnik nieder und gründete dort einen Elektrofachhandel. Wegen Steuerhinterziehung begannen Ende der 90er Jahre Ermittlungen gegen ihn, woraufhin er nach Kanada floh. Im Juni diesen Jahres lieferte Kanada ihn an die Behörden in Sarajevo aus, wo die Anklage mittlerweile auch auf seine Kriegsvergangenheit ausgeweitet wurde.
Muraif Husic, Pressesprecher des kantonalen Innenministeriums in Travnik sagt, dass er damit keinen Einzelfall war:
"Wie viele Mudschaheddin es genau waren, ist schwer zu sagen, wir wissen aber, dass die Armee der Republik von Bosnien und Herzegowina eine Mudschaheddin-Einheit hatte, deren Angehörige vor allem ausländische Staatsbürger aus Asien und Afrika waren, die über Kroatien nach Bosnien und Herzegowina hereingekommen sind."
Ermittlungen werden heute aber nicht gegen alle geführt, die damals in diesen Einheiten gekämpft haben. Eine neu eingerichtete Abteilung der Staatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität hat sich jedoch das Ziel gesetzt, die Vergangenheit islamischer Kämpfer in Bosnien und Herzegowina zu durchleuchten:
"Es gibt natürlich keinen Straftatbestand, Mudschaheddin zu sein. Aber die Ermittlungsbehörden werden alle Fälle verfolgen, in denen bekannt ist, dass Straftaten verübt wurden. Das beinhaltet auch die Periode des Krieges."
Antonia Rados ist eine deutsche Journalistin, die während des Bosnienkrieges in Travnik über die Aktivitäten der Mudschaheddin recherchiert hat. Heute berichtet sie für einen deutschen Fernsehsender aus dem Irak. Sie erinnert sich im Gespräch mit der Deutschen Welle an ihre Recherchen in Bosnien:
"Es war eine sehr schwierige Recherche, weil es eine sehr konspirative und von der Anzahl sehr, sehr kleine Einheit war. Sie nannte sich die 'Muslimische Brigade' und war in Travnik und Zenica stationiert. Dort waren muslimische Kämpfer aus Tunesien und Marokko in eine bosnische Einheit integriert. Wir hörten von der Bevölkerung immer wieder, dass diese Kämpfer in der ersten Linie eingesetzt wurden, dass sie Freiwillige waren, die zum Teil vorher im Afghanistan-Krieg von 1979 bis 1989 gegen die Sowjets gekämpft hatten, und dass diese Einheiten gut im Guerillakampf geschult und effizient waren. Viele von ihnen sind auch umgekommen."
In direkten Kontakt mit ihnen zu treten fiel Rados jedoch schwer:
"Wir hatten in Bosnien 1993 tatsächlich eine Gruppe getroffen. Es war eine sehr geheime Operation, die scheinbar von Saudi-Arabien finanziert wurde. Diese jugendlichen Freiwilligen waren im Guerillakampf trainiert und sehr engagiert im Kampf gegen die serbische und kroatische Armee. Aber sie waren auch sehr unpopulär und es war sehr schwierig, an sie heranzukommen. Wir haben auch nie den Kern der Geschichte erfahren, außer, dass es auch Massaker an Zivilisten gab."
Obwohl die Zentralregierung in Sarajevo von der Anwesenheit der Mudschaheddin wusste und die Armee von Bosnien und Herzegowina formal Befehlsgewalt über die "Muslimische Brigade" hatte, zweifelt Rados daran, dass die Armee wirklich Kontrolle über die Kämpfer ausüben konnte. Die Ziele dieser zugereisten Kämpfer standen damals auch der Absicht der Izetbegovic-Regierung entgegen, den multikulturellen Charakter von Bosnien und Herzegowina zu unterstreichen und damit die eigene Legitimation vor der Weltöffentlichkeit zu stärken. Beliebt waren die Mudschaheddin unter der Bevölkerung kaum, dennoch waren sie als Kämpfer willkommen:
"Das waren sehr, sehr kleine Einheiten, effizient, indem sie unter der Bevölkerung Terror verbreitet haben, und sie hatten sich mehr vorgenommen als sie dann machen konnten. Ich hatte den Eindruck, dass damals die bosnische Regierung sich sehr klar darüber war, dass man mit diesen Kämpfern nicht sehr viel machen konnte, und man hat auch versucht sie so gut zu verstecken wie möglich. Aber es waren so etwas wie 'frei fliegende Neutronen'. Das heißt, sie waren eigentlich nicht wirklich kontrolliert. Wir hatten einen dieser selbsternannten Mudschaheddin auch interviewt, und er hörte nur auf den lokalen Imam. Niemand anderes konnte ihm was erzählen. Es war mehr eine politische und militärische Peinlichkeit für die Bosnier, die dort waren. Auf der anderen Seite hatten diese Kämpfer und Einheiten eine Symbolkraft. Sie haben versucht, den Bosnienkrieg zu internationalisieren und aus diesem begrenzten Konflikt einen internationalen Konflikt zwischen der islamischen und der christlichen Welt zu machen. Das ist ihnen aber nicht gelungen." (fp)