1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Eine russische Bauchtänzerin in Kairo

Emily Gordine | Jennifer Pahlke
28. November 2019

Der Bauchtanz gehört zum Orient wie der Wodka zu Russland - oder vielleicht auch nicht? Ausgerechnet in Ägypten, der Wiege des orientalischen Tanzes, kommen heute viele erfolgreiche Bauchtänzerinnen aus Osteuropa.

https://p.dw.com/p/3TSkO
Screenshot SoMe Bauchtänzerin Ekaterina Andreeva aka Johara
Ekaterina Andreeva, genannt "Johara", hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Bild: Instagram/joharabellydancer
Screenshot SoMe Bauchtänzerin Ekaterina Andreeva aka Johara
Ekaterina Andreeva, genannt "Johara", hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Bild: Instagram/joharabellydancer

 "Johara", auf arabisch das "Juwel", ist eine der beliebtesten Bauchtänzerinnen in Kairo. Sie hat eine Millionen Follower auf Instagram und ihr Auftragsbuch ist gut gefüllt mit Auftritten auf Partys, in Clubs und auf Hochzeiten in schicken Hotels. In einem ihrer neuesten Videos tanzt die 31-Jährige in einem körperbetonten und bunt schillernden Kostüm: ein seidener BH, mit langen Glitzerketten verziert, dazu ein Rock mit Schlitz an der Seite, der ihr langes Bein offenbart. Ihre dunklen Haare reichen bis zur Hüfte, bei schnellen Bewegungen rasselt ihr Schmuck zum Rhythmus orientalischer Musik. Sie ist umringt von einer Menschentraube, alle Augen sind auf sie gerichtet – Ägypter und Ägypterinnen filmen sie mit ihren Smartphones und wippen im Takt. 

"Johara" heißt in Wirklichkeit Ekaterina Andreeva - und stammt aus Russland. Seit ein paar Jahren schon lebt und arbeitet sie in Kairo, der Heimat des Bauchtanzes. Wie kommt es, dass eine Russin in Kairo orientalische Tänze aufführt - und auch noch großen Erfolg damit hat? 

Inspiration aus Brasilien

Mit drei Jahren fängt Ekaterina in Russland mit dem Tanzen an, von Ballett bis Standard und Lateinamerikanisch. Mit 13 "verliert" sie ihren Tanzpartner - typisch in Russland, meint sie. Männliche Tänzer sind Mangelware und werden öfters mal von konkurrierenden Tänzerinnen "ausgespannt". Aber rückblickend betrachtet, ist das wohl eher ein glücklicher Zufall. Denn, so merkt sie später: Man kann durchaus auch erfolgreich solo tanzen, wenn die Tanzart dies erlaubt.

2001 kommt die brasilianische Telenovela "The Clone" (der Klon) ins russische Fernsehen und wird zum großen Hit. Die Bauchtanzkünste der marokkanischen Hauptdarstellerin inspirieren viele in Russland. Ekaterina erinnert sich: Plötzlich gibt es überall Kurse - auch im Fitness-Studio, wo sie den Tanz zum ersten Mal näher kennen lernt. Für sie genau das Richtige, denn dafür braucht sie keinen Tanzpartner. Sie erzählt lachend, wie ihre Mutter damals zu ihr meint, das passe gut, weil sie länger nicht mehr getanzt habe und dadurch etwas "dicker" geworden sei.

Am Anfang tanzt sie nur im Restaurant ihres Vaters. Bis auf die Grundtechniken bringt sie sich das Bauchtanzen selbst bei und perfektioniert es immer weiter. Mit Erfolg: Sie gewinnt mehrere Meistertitel und eröffnet ihr eigenes Bauchtanzstudio in Moskau. Gleichzeitig absolviert sie in der russischen Hauptstadt zwei Universitäts-Abschlüsse in PR-Management und Übersetzung für Russisch-Englisch. Aber sie weiß: "Tanzen ist mein Leben."

Screenshot SoMe Bauchtänzerin Ekaterina Andreeva aka Johara
Ägypten ist die neue Heimat der russischen Bauchtänzerin.Bild: Instagram/joharabellydancer

In ihrem Land sei der Bauchtanz vor allem ein Geschäft, mit dem man Geld verdiene. Der Aspekt der Kunst sei nebensächlich, wenn nicht sogar irrelevant, bemängelt sie schon damals. In Ägypten sei das anders, der Bauchtanz verbinde dort Kunst und Kultur. Deshalb entscheidet sie sich, ihre Heimat zu verlassen und sich in der ägyptischen Hauptstadt eine neue tänzerische Karriere aufzubauen. 

"Russifizierung" unerwünscht

Eine bauchtanzende Russin in Kairo - klingt außergewöhnlich, ist aber heutzutage alles andere als ein Einzelfall. Kairo ist traditionell bekannt als "Mekka" des orientalischen Tanzes - viele große Bauchtänzerinnen aus dem Orient haben hier gelernt und getanzt. Sogar Henry Kissinger, so wird erzählt, habe ihnen nicht widerstehen können. Nagwa Fouad soll seine Lieblingstänzerin gewesen sein.

Ägypten Nagwa Fouad 1962
Nagwa Fouad (hier eine Aufnahme von 1962) ist eine Bauchtanz-Legende im Nahen Osten - sogar Henry Kissinger soll zu ihren Fans gehört haben. Bild: picture-alliance/United Archives

Legendäre ägyptische Bauchtänzerinnen wie Dina Talaat Sayed und Fifi Abdou werden bis heute von den Menschen geliebt und bewundert. Dennoch sind mittlerweile eher ausländische und vor allem russische Tänzerinnen gefragt. Warum?

"Die alte Generation der ägyptischen Bauchtänzerinnen wird, nun ja, alt", sagt Hany Rasem, der als Hochzeitsplaner in Kairo sein Geld verdient und regelmäßig Bauchtänzerinnen wie Ekaterina bucht. "Es kommt einfach keine neue Generation aus Ägypten nach, die genauso gut ist." Ausländische Tänzerinnen wie Ekaterina füllen diese Lücke - und zwar erfolgreich. So tritt sie an manchen Tagen auf fünf verschiedenen Hochzeiten auf. Oft merkten ihre Zuschauer nicht einmal, dass sie Russin ist, erzählt sie. "Weil das nicht unsere Kultur ist, sind wir vorsichtig", sagt Ekaterina über sich und ihre Kolleginnen. Ihr ist es wichtig, dass der Tanz im Original erhalten bleibt und nicht in irgendeiner Form verändert oder gar "russifiziert" wird.

Tradition mit Doppelmoral 

Der Erfolg von ausländischen Tänzerinnen wie Ekaterina und der Mangel an ägyptischen Newcomern hat jedoch noch einen weiteren Grund. Wie viele arabische Gesellschaften, ist auch die ägyptische in den vergangenen Jahrzehnten spürbar konservativer geworden. Auf den Straßen Kairos sieht man heute mehr verschleierte Frauen als noch vor Jahrzehnten. Bauchtänzerinnen dürfen zwar auf keiner guten Hochzeit fehlen, aber im normalen Privat- und Familienleben möchten viele Ägypter eher nicht mit einem solchen Beruf assoziiert werden - der Ausdruck "Sohn einer Bauchtänzerin" gilt sogar als Schimpfwort. Es ist eine Art Hassliebe oder auch eine Tradition nicht frei von Doppelmoral. Ekaterina sagt, ihre russische Herkunft schütze sie jedoch vor dem negativen Stigma: "Ich werde als Ausländerin mehr respektiert, weil sie mich hier eher als Künstlerin sehen."

Der Umgang mit Behörden und behördlichen Auflagen ist allerdings nicht immer einfach. Für jede Hochzeit braucht die Russin nämlich eine Arbeitsgenehmigung, die sehr teuer ist – 22.000 Ägyptische Pfund kostet sie, umgerechnet ca. 1230 Euro. Viele reiche Ägypter sind bereit das zu zahlen, zusätzlich zu ihrer Gage – so gefragt ist sie mittlerweile als Künstlerin.

Ihre Berühmtheit verdankt sie allerdings auch einem kurzen Aufenthalt im ägyptischen Gefängnis letztes Jahr. Die Behörden werfen ihr damals vor, mit ihrer Kleidung gesetzliche Richtlinien für Bauchtanzkostüme gebrochen zu haben - sie finden es zu aufreizend. Die ägyptischen Medien berichten umfangreich darüber - und das Video mit dem umstrittenen Outfit geht viral und erreicht in kürzester Zeit vier Millionen Zuschauer. Nach drei Tagen ist Ekaterina wieder frei - und in Ägypten noch bekannter als zuvor. Die Anklage wird schließlich fallen gelassen. Das Outfit trägt sie kurze Zeit später wieder und bis heute, erfolgreich und ohne Probleme. 

 

Jennifer Pahlke, Autorin
Jennifer Pahlke Korrespondentin