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Politik

Visa gegen den Arbeitskräftemangel

Ben Knight kk
19. August 2018

Mehr Fachkräfte nach Deutschland holen - das ist das Ziel des neuen Zuwanderungsgesetzes, das die Bundesregierung derzeit vorbereitet. Worin unterscheiden sich die Pläne von den Regelungen anderer Länder?

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Flüchtlinge Arbeitsagentur
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Eines ist den Autoren des neuen Eckpunktepapiers für ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz klar: Die niedrige Arbeitslosigkeit und alternde Bevölkerung in Deutschland machen es Unternehmen schwer, offene Stellen mit qualifizierten Mitarbeitern zu besetzen. Auch räumen die Autoren ein, dass die Anstellung von EU-Bürgern nicht ausreichen wird, den bevorstehenden Mangel an Arbeitskräften auszugleichen. Deutschland müsse darum erheblich erfolgreicher darin werden, qualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten zu gewinnen, heißt es in dem Papier - gemeint sind damit Länder außerhalb der EU. Auf Drängen von Innenminister Horst Seehofer (CSU) soll dabei eine "Einwanderung in die Sozialsysteme" vermieden werden.

Sein Innenministerium hat das Papier formuliert und bereits an das Arbeits- und das Wirtschaftsministerium weitergereicht. Ende August soll es dann dem Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel vorgelegt werden.

Deutschland verzichtet auf Punktesystem

Im Unterschied zu Ländern wie Großbritannien, Kanada und Australien will die deutsche Regierung kein Punktesystem einführen. Ein solches unterzieht einreisewillige Migranten einer mehrstufigen Überprüfung, in der vor allem Bildung, Wohlstand, Sprachkenntnisse und Chancen auf dem Arbeitsmarkt bewertet werden. Je nach Voraussetzungen erhalten die Teilnehmer dann eine entsprechende Punktezahl. Ist sie hoch genug, erhalten sie ein Visum. Liegt sie unter der Mindestzahl, werden sie abgewiesen.

Ein solches Punktesystem wurde bereits 2016 von der SPD vorgeschlagen. Damals fand es auch den Beifall der anderen Mitte-Links-Parteien in Deutschland. Doch in dem neuen Papier fehlt es. Zwar wird empfohlen, Menschen auf Grundlage der genannten Kriterien auszuwählen. Doch auf Punkte wollen die Autoren des neuen Systems verzichten.

Industriearbeiterin mit Schaltleiste Symbolbild
Qualifiziert: IndustriearbeiterBild: Imago/Blickwinkel

Wie unter diesen Umständen eine Bewertung zustande kommen soll, ist unklar. Auch Experten wie Thomas Liebig, Migrationsforscher bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), rätseln: "Ich weiß nicht, wie man ohne ein Punktesystem derart unterschiedliche Kriterien zusammenführen will. Dafür braucht es ein Punktesystem."

Einfache Regelung für qualifizierte Bewerber

Für Menschen mit hohem Bildungsniveau hat Deutschland derzeit eines der einfachsten Einwanderungsgesetze weltweit. "Unter den jetzigen Bedingungen ist es einfacher, nach Deutschland zu gehen, als beispielsweise nach Kanada", sagte Liebig. "Das deutsche System konzentriert sich derzeit sehr auf formale Qualifikationen. Wenn Sie diese und einen entsprechenden Job haben, dann können Sie kommen. Sie müssen nicht einmal Deutsch sprechen." Besonders einfach ist es für Hochqualifizierte in bestimmten Mangelberufen, an ein Visum zu kommen.

Was allerdings in Deutschland ebenfalls fehlt, sind Menschen mit so genannten "mittleren Qualifikationen" wie Krankenschwestern, Pflegekräfte, Kindergartenhelfer und Facharbeiter wie Elektriker oder Schreiner. All diese Berufe erfordern eine formale Qualifikation. Diese Jobs decken Liebig zufolge rund 60 Prozent des deutschen Arbeitsmarktes ab. Bislang haperte es oft mit der Anerkennung solcher Qualifikationen. Dieses Hindernis auszuräumen, sieht das Papier als "Schlüssel für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration".

Unklar lässt das Eckpunktepapier, welche weiteren Anforderungen Einwanderungswillige mit "mittleren Qualifikationen" künftig benötigen: Welches Sprachniveau sollen sie nachweisen? Müssen sie bereits ein konkretes Jobangebot eines deutschen Unternehmens in der Tasche haben?

Symbolbild | Krankenhaus Pflege Station
Gesucht auf dem deutschen Arbeitsmarkt: KrankenschwesternBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Vorbild Dänemark

Zur Zeit scheint es, als erwäge die deutsche Regierung, ein Visum für Arbeitssuchende mit mittlerem Qualifikationsniveau auszustellen. Ein solches hat sich in Dänemark als sehr erfolgreich erwiesen. In Deutschland hat man damit allerdings noch keine Erfahrungen.

"Im Moment scheint es, als führe man ein Zwei-Stufen-System", sagt Liebig. "Es kommen Leute, die einen Job suchen. Finden sie einen, gibt man ihnen ein Visum." Vieles werde davon abhängen, ob deutsche Arbeitgeber bereit sind, sich auf das Risiko einzulassen, Zuwanderer mit mittlerem Qualifikationsniveau einzustellen. "Das ist eine große Frage", sagt Liebig. Viele deutsche Unternehmen würden nur ungern Menschen aus dem Ausland beschäftigen. "Wir haben deutsche Arbeitgeber gefragt, ob sie Interesse daran haben, auch den ausländischen Arbeitsmarkt in den Blick zu nehmen. Die überwiegende Antwort: auf keinen Fall."

Für eine Vereinfachung der Bürokratie

Um für Menschen mit besonderen Qualifikationen attraktiver zu werden, hat Frankreich vor kurzem sein Einwanderungsgesetz präzisiert. Wie in Deutschland soll es auch die Bürokratie vereinfachen. Im Fall von Frankreich trifft dies insbesondere auf Führungskräfte für multinationale Unternehmen zu, die monatlich mehr als 5000 Euro verdienen - in der Regel sind dies Wissenschaftler, Menschen in der Unterhaltungsindustrie, Saisonarbeiter und reglementierte Berufe.

Schweden hingegen pflegt eine viel liberalere Politik. "Dort können Sie grundsätzlich für jeden Job kommen", sagt Liebig. "Frankreich hingegen ist ziemlich verschlossen. Deutschland dürfte wohl irgendwo dazwischen liegen."

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