Mit Trumps Segen: Annektiert Israel 2025 das Westjordanland?
15. November 2024Unsicherheit, Besorgnis, Zynismus - so beschreibt Simon Engelkes die derzeitige Stimmung in Ramallah. Er leitet dort das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung, die der konservativen deutschen Partei CDU nahesteht. "Viele Menschen hier befürchten unter anderem einen Ausbau von israelischen Siedlungen und Außenposten und eine mögliche Annexion von Teilen der West Bank", sagt Engelkes zur DW.
Israel baut völkerrechtswidrige Siedlungen im besetzten Westjordanland seit Jahrzehnten aus, auch etliche so genannte "Außenposten" - selbst nach israelischem Recht illegal. Der Siedlungsbau wurde vor Mitte 2023 aus dem Zuständigkeitsbereich des Militärs herausgelöst und an einen zivilen Minister übertragen - und zwar nicht an irgendwen, sondern den rechtsextremen Finanzminister und Siedler Bezalel Smotrich. Die Menschenrechtsorganisation Peace Now warf Israels Regierung damals eine "de jure"-Annexion des Westjordanlandes vor.
Den aktuellen Grund zur Sorge liefern der anstehende Machtwechsel in den USA - und die Vorfreude der rechts-religiösen israelischen Regierung darauf. Am Montag sagte ebenjener Finanzminister Smotrich in der Jerusalemer Knesset: "Das Jahr 2025 wird mit Gottes Hilfe das Jahr der Souveränität in Judäa und Samaria sein." Gemeint ist das Westjordanland - völkerrechtlich betrachtet besetztes palästinensisches Gebiet. Die israelische Regierung hingegen verwendet die biblischen Namen für die Region und untermauert damit ihre Vorstellung, dies alles stehe Israel zu.
Trumps Botschafter für Jerusalem: Weltbild ohne Palästinenser
Donald Trumps bisher bekannte Personalentscheidungen lassen den Rückschluss zu, dass die nächste US-Administration ein solches Vorgehen nicht kritisieren, sondern vielmehr begrüßen würde: Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Trumps Wunschkandidat für den Botschafterposten in Jerusalem ein, der frühere Gouverneur von Arkansas Mike Huckabee. "Er liebt Israel und die Israelis, und die Israelis lieben ihn", schrieb Trump in einem Statement.
Für die Palästinenser hat Huckabee erklärtermaßen weniger übrig: In US-Medien kursiert ein Video von 2008, in dem Huckabee mit den Worten zu hören ist: "So etwas wie einen Palästinenser gibt es nicht." Es gebe Araber und Perser - aber Palästinenser seien "ein politisches Werkzeug, um Israel Gebiete abzutrotzen". Der evangelikale Christ Huckabee spricht selbst durchgängig von Judäa und Samaria statt vom Westjordanland. Die - völkerrechtlich illegalen - israelischen Siedlungen dort nennt er "Gemeinden", die Besatzung - laut jüngstem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs ebenfalls illegal - gebe es gar nicht.
Israel setzt auf die Unterstützung des "am stärksten proisraelischen US-Präsidenten"
Israels Regierung verspürt durch die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus massiven Rückenwind für ihre weiteren Vorhaben. Auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wechselt seinen Chefdiplomaten in Washington aus: Neuer Botschafter wird Yechiel Leiter, der selbst in einer Siedlung im besetzten Westjordanland lebt - und von einem Siedler-Verband als "zentraler Partner in der englischsprachigen Fürsprache für Judäa und Samaria" gepriesen wird. Leiter treibt seit Jahren die Annexion voran und war zeitweise Mitglied der "Jewish Defense League", die die Vertreibung der Palästinenser von "jüdischem Erbland" fordert und vom FBI als gewaltbereite extremistische jüdische Organisation eingestuft wurde.
Trump, der sich im Wahlkampf als der "am stärksten proisraelische Präsident der US-Geschichte" inszeniert hatte, hat bereits in seiner ersten Amtszeit langjährige Positionen seines Landes verändert: Er verlegte die US-Botschaft nach Jerusalem, ließ den 1967 eroberten Ostteil der Stadt sowie die 1981 ebenfalls völkerrechtswidrig annektierten Golanhöhen als israelisches Staatsgebiet anerkennen. Unter Trump kamen die "Abraham Accords" zustande, durch die Israel seine diplomatischen Beziehungen zu weiteren Staaten der Region normalisiert hat. Als letztes wichtiges Puzzlestück dürfte Trump nun auch einen Vertrag zwischen Israel und Saudi-Arabien vermitteln wollen. Trump steht Netanjahu ideologisch nahe - einzig die israelischen Offensiven im Gazastreifen und im Libanon würde Trump wohl gerne schneller beendet sehen.
Erste Schritte zur Annexion - und scharfe Kritik
Wie eine mögliche Annexion des Westjordanlandes konkret aussehen könnte, ist noch unklar. Möglich wäre, die 2020 ausgesetzten Pläne wiederzubeleben, wonach das gesamte Jordantal zu israelischem Staatsgebiet erklärt werden sollte. Mit dem weitreichenden Vorschlag hatte Netanjahu um rechte Wählerstimmen geworben - zeitweise auch unter Zustimmung Trumps -, die Pläne aber im Zuge der Verhandlungen um die Abraham Accords schließlich fallen lassen.
Finanzminister Smotrich soll bereits die Siedlungsabteilung im Verteidigungsministerium und die Zivilverwaltung angewiesen haben, Vorbereitungen für eine Annexion im kommenden Jahr zu treffen.
Der deutsche Botschafter in Tel Aviv, Steffen Seibert, warnte umgehend, die Ankündigung bedrohe die Stabilität der Region: "Jede Vorbereitung zur Umsetzung dieses Ziels verstößt eindeutig gegen das Völkerrecht." Die Bundesregierung wie auch die USA treten offiziell weiterhin für eine Zwei-Staaten-Lösung ein - auch wenn diese angesichts des jahrzehntelangen israelischen Siedlungsbaus im Westjordanland immer unrealistischer wird. Netanjahu stellt sich seit langem gegen jegliche Anerkennung eines Palästinenserstaats - seit dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 mit zunehmender Schärfe.
Keine klare Perspektive für die Palästinenser
Der Fokus liegt vermutlich auf den sogenannten C-Gebieten, die rund 60 Prozent des Westjordanlands ausmachen: Im Rahmen des Oslo-Prozesses hatten Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde in den 1990ern das Westjordanland in die Kategorien A, B und C aufgeteilt - von palästinensischer Selbstverwaltung bis hin zu sicherheits- und ziviler Kontrolle durch Israel. Die C-Gebiete umfassen auch viele wichtige Verbindungsstraßen, so dass Palästinenser auf Fahrten innerhalb des Westjordanlands häufig mit der israelischen Besatzung konfrontiert werden.
In C-Gebieten leben schon heute mehr Siedler als Palästinenser, erläutert KAS-Büroleiter Engelkes und skizziert die Folgen einer möglichen Annexion: "Die palästinensischen Städte und Dörfer würden in isolierten Enklaven verbleiben, quasi als Inseln der Selbstverwaltung, die von den annektierten israelischen Gebieten umgeben wären. Das würde den aktuellen Status Quo im Westjordanland zementieren, noch stärkere Bewegungseinschränkungen für Palästinenser bedeuten und die Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung und auf einen zukünftigen palästinensischen Staat am Ende praktisch unmöglich machen."
Völlig unklar ist, was eine Annexion weiterer Gebiete für die Palästinenser bedeuten würde, die dort leben: Israels rechts-religiöse Regierung würde ihnen wohl sicher keine vollwertige Staatsbürgerschaft zugestehen. Bereits jetzt werfen Menschenrechtsorganisationen Israel vor, im Westjordanland ein Apartheid-Regime ungleicher Rechte zu betreiben - der juristische Begriff leitet sich vom früheren rassistischen Apartheid-System in Südafrika ab. Eine völkerrechtswidrige Annexion ohne Staatsbürgerschaft würde diese Ungleichheit auf die Spitze treiben.
Trumps Botschafter-Kandidat Huckabee sprach sich in der Vergangenheit bereits mehrfach dafür aus, die derzeitigen Palästinensergebiete Israel komplett zuzuschlagen und einen Palästinenserstaat auf dem Gebiet eines muslimischen Nachbarlandes aufzubauen.
Für Trump steht einiges auf dem Spiel
Ob Donald Trump bei solchen Plänen mitgehen würde, ist keineswegs ausgemacht. Nach Finanzminister Smotrichs Vorpreschen in der Knesset sagte der frühere Trump-Berater Jason Greenblatt, die israelischen Minister sollten sich Trumps Zustimmung nicht zu sicher sein.
"Trump würde erst Beratungen einberufen und die Folgen für die von ihm herbeigesehnte Ausweitung der Abraham Accords abschätzen wollen", glaubt Thomas Warrick vom Washingtoner "Atlantic Council". "Für die israelischen Minister könnte es unklug sein, Donald Trump einzuspannen, während er das Tempo verringern will", sagt Warrick gegenüber der DW. Denn eine größere Annexion könnte die arabischen Regionalmächte erzürnen, und wenn das eine Erweiterung der Abraham Accords durchkreuzen würde, wäre das ein schwerer Rückschlag für Trump.
Auch Neil Quilliam vom Londoner Chatham House nennt - neben einem Ende des Krieges gegen die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah - die Abraham Accords als ein zentrales politisches Ziel für Trumps zweite Amtszeit. "Er will die Zahl der Länder erhöhen, die ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben - und auf Saudi-Arabien liegt sein Hauptaugenmerk. Riad wird zögern, solange Trump sich nicht zum Langzeitziel eines palästinensischen Staates bekennt."
Mitarbeit: Jennifer Holleis