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Mit Stammzellen gegen den Schlaganfall

23. Dezember 2011

Je später ein Schlaganfall behandelt wird, desto schwerer fallen Lähmungen, Sprach- oder Sehstörungen aus. Ein neues Verfahren soll solche Folgeschäden vermindern und das Zeitfenster für eine Behandlung weiter zu öffnen.

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Zwei Forscherinnen betrachten MRT-Aufnahme (Foto: Fraunhofer IZI)
Ein Schlaganfall ist eine akute Unterversorgung des Gehirns mit BlutBild: Fraunhofer IZI

Zufrieden grasen die Schafe im Außengehege der Leipziger Fakultät für Veterinärmedizin. Es sind ganz normale Schafe, auffällig ist nur ihre Frisur: Auf dem Rücken wurde das Fell der Tiere in Form eines Sattel geschoren. "Wir haben Zellen aus dem Beckenkamm entnommen", erklärt Johannes Boltze, Leiter der Abteilung Neuroreparatur des Leipziger Fraunhofer-Instituts, "und dabei darf es keine Verunreinigungen geben".

Im Knochenmark der Tiere befinden sich Stammzellen, das sind jungfräuliche Zellen, die sich noch in verschiedene Gewebetypen entwickeln können. Sie bilden die Grundlage für die neue Therapie, die derzeit erprobt wird.

Schaf auf der Wiese (Foto: Fraunhofer IZI)
Sieben von insgesamt acht Schafen, die 24 Stunden nach einem Schlaganfall mit eigenen Stammzellen behandelt wurden, verhielten sich bereits 30 Tage später wieder weitgehend normal.Bild: Fraunhofer IZI

Einige der Schafe haben bereits einen künstlich ausgelösten Schlaganfall erlitten, anderen steht das noch bevor. Der Unterschied ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. "Schon wenige Tage nach dem Schlaganfall bemerken sie keinen Unterschied mehr", versichert Johannes Boltze, "das Schaf ist in seinem täglichen Leben nicht beeinträchtigt."

Mit bestimmten Tests jedoch lassen sich die Folgeschäden feststellen. Dazu untersuchen die Ärzte ihre Schafe im Kernspintomografen und im PET. Und sie führen verschiedene Verhaltenstests durch, denn wie beim Menschen auch sind die Bewegungsabläufe der Schafe durch den Schlaganfall beeinträchtigt.

Im Stall ziehen die Forscher zum Beispiel ein Vorderbein der Tiere zur Seite. Ein gesundes Schaf korrigiert diese Fehlstellung sofort, um wieder stabil auf vier Beinen zu stehen. Tiere, die einen Schlaganfall erlitten haben, reagieren jedoch verzögert, manche gar nicht.

Die Tücken der Forschung

Kurz nach dem Hirninfarkt spritzen die Forscher den Tieren eine Mischung aus Immun- und Stammzellen in die Vene. Die ersten Versuche haben sie mit Ratten durchgeführt und waren über die positiven Ergebnisse selbst erstaunt. Ratten, die keine Injektion bekommen hatten, schafften es nach dem Schlaganfall kaum, über einen schmalen Balken zu balancieren, behandelte Tiere dagegen liefen unbekümmert hin und her. Allerdings seien die Resultate bei der Ratte schon allein wegen des viel kleineren Gehirns nur sehr schwer auf den Menschen zu übertragen.

Das Schaf eignet sich da wesentlich besser, allerdings wurden die anfangs ebenfalls recht positiven Befunde deutlich seltener, seit die Forscher ihre Studien "verblinden" - das heißt, der Versuchsleiter weiß seitdem nicht mehr, ob das Schaf, das er gerade testet, mit einer Stammzellinjektion behandelt wurde oder nicht.

Nervenzellen (Foto: cc-by-nc-nd/Rebecca Lee)
Bei einem Schlaganfall verhindert ein verschlossenes Blutgefäß im Gehirn, dass die Zellen mit Sauerstoff versorgt werden. Je länger der Zustand anhält, desto mehr Nervenzellen sterben ab. Pro Sekunde mehr als 30.000. Wer einen Schlaganfall überlebt, wird oft ein Pflegefall. Viele Betroffene haben noch Monate oder Jahre nach ihrer Erkrankung mit Lähmungen oder Sprachstörungen zu kämpfen.Bild: cc-by-nc-nd/Rebecca Lee

Keiner hat bewusst Ergebnisse verfälscht, aber die Erwartungshaltung wirkt sich aus", so Boltze. Jetzt seien die positiven Ergebnisse zwar seltener geworden, allerdings hoffen die Forscher, dass die verbleibenden Resultate umso aussagekräftiger sind - und sich besonders gut auf den Menschen übertragen lassen.

Können Stammzellen die Folgeschäden mindern?

Derzeit injizieren die Ärzte Stammzellen, die aus demselben Tier gewonnen wurden. Im nächsten Schritt sollen menschliche Zellen übertragen werden. Im Labor des Fraunhofer Instituts arbeitet Alexandra Stolzing gerade daran, Stammzellen aus menschlicher Haut zu gewinnen. Das Schwierige daran: Hautzellen sind nicht mehr jungfräulich, sie müssen sozusagen ihre Herkunft vergessen und wieder bei Null starten. Erst dann können sie sich in andere Zelltypen entwickeln, zum Beispiel in eine Nervenzelle.

Diese Umprogrammierung ist ein komplizierter Prozess, der von zahlreichen Faktoren abhängig ist, zum Beispiel von Alter und Zustand der Zelle sowie vom Medium, in dem der Prozess stattfinden soll. Die Forscher sind gerade erst dabei, die Details zu verstehen. Ein spannender Prozess, der nicht nur für die Schlaganfallforschung Bedeutung hat: "Ich komme aus der Altersforschung", sagt Alexandra Stolzing, "und für mich ist es faszinierend, dass eine Zelle wieder in einen Zustand zurückgebracht wird, der als jung zu bezeichnen ist". Der Traum von ewiger Jugend scheint ein Stück näher zu rücken.

Stammzellen (Foto: Public library of science / Wikipedia)
Versuche an Ratten und Schafen zeigen, dass die neurologischen Ausfallerscheinungen bei mittelschweren Schlaganfällen bereits wenige Tage nach einer Stammzell-Transplantation wieder verschwinden.Bild: Public Library of Science/Wikipedia

Der Weg zum Medikament ist noch lang

Was allerdings die Stammzellen im Körper genau bewirken, wissen die Forscher derzeit nicht. Klar ist jedoch, dass die Zellen nicht unmittelbar ins Gehirn wandern, dort neue Nervenzellen bilden und das geschädigte Gewebe ersetzen. Ein solcher Prozess würde mindestens vier Wochen dauern, die positive Wirkung der Stammzell-Injektion zeigt sich bei den Schafen jedoch schon nach knapp einer Woche, erklärt Johannes Boltze. "Wir vermuten, dass die Zellen bestimmte Sekundärschäden verhindern, Entzündungen beeinflussen und den Zelltod minimieren."

Ein Wundermittel sei die neue Therapie aber auf keinen Fall: "Eventuell wird das Ergebnis in der Summe etwas besser sein als ohne die Stammzellen." In jedem Fall wäre eine Stammzelltherapie nur ein Baustein bei der Behandlung des Schlaganfalls. Entscheidend bleibt weiterhin, dass der Patient möglichst schnell eine geeignete Klinik erreicht, damit das Gerinnsel im Hirn aufgelöst werden kann. Immer wieder bekommt Johannes Boltze Anfragen von Patienten, die er immer wieder enttäuschen muss: "Es ist derzeit nicht möglich, bereits vorhandene Schlaganfälle zu behandeln. Auch aus ethischen Gründen wäre das nicht zu vertreten."

Tatsächlich kann die Stammzelltherapie nur in einem sehr engen Zeitfenster von drei Tagen nach dem Schlaganfall durchgeführt werden. Noch allerdings gibt es keine Methode, die beim Menschen funktioniert.

In den USA laufen derzeit die ersten klinischen Studien, in Deutschland sollen sie im kommenden Jahr beginnen. Doch selbst wenn alle Versuche erfolgreich verlaufen, wird es noch mindestens zehn Jahre dauern, bis eine Stammzell-Therapie zur Verfügung steht. Ohnehin gilt beim Schlaganfall: Vorbeugen ist besser als jede Therapie, davon ist Johannes Boltze überzeugt: "Das Beste sind nicht neue Medikamente, das Beste ist eine gesunde Lebensweise, nicht rauchen, wenig Alkohol und viel Bewegung. Das hilft ihnen mehr als jede Stammzelle."

Autorin: Claudia Ruby
Redaktion: Judith Hartl