Mit Nachwuchskräften Spitze
Die 267 Frauen und 138 Männer aus dem Reich der Mitte sammelten in Athen Medaillen am Fließband und sorgten auch in Sportarten für Furore, in denen kein Mensch mit ihnen gerechnet hatte: Beim Tennis holten sie Gold im Frauen-Doppel, im Frauen-Hockey standen sie im Halbfinale, im Männer-Basketball besiegten sie Weltmeister Serbien-Montenegro. "Das Gold im Damentennis war auch für uns wirklich eine große Überraschung", gesteht selbst Gao Dianmin, Sportchef der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Das Doppel Li Ting/Tian Tian Sun hatte immerhin die US-Girls Venus Williams und Chanda Rubin ausgeschaltet.
Teamsprecherin He Huixian begründet das glanzvolle Abschneiden Chinas in der Medaillenwertung vor allem mit dem Durchbruch beim Schwimmen. "Über viele Jahre waren wir dort sieglos. In Athen zahlt sich die Investition der letzten Jahre aus." Der Erfolg sei allerdings präzise geplant worden, nachdem sich das chinesische Sportministerium vor vier Jahren über die schlechten Ergebnisse in den medaillenträchtigen Sportarten beschwert hat.
Russland nimmt Abschied mit Wehmut
In Athen hatte China erstmals Sportler in allen Disziplinen am Start. "Derzeit können wir Russland auf keinen Fall schlagen, unser Ziel ist Platz drei wie in Sydney", übte sich Yu Zaiquing, Mitglied der IOC-Exekutive, noch eine Woche nach Beginn der olypmpischen Wettkämpfe in asiatischer Bescheidenheit. Am Ende tauschten China und Russland die Plätze im Medaillenspiegel.
Russlands Medaillenbilanz von Athen war zwar am Ende nicht ganz so schlecht wie zwischenzeitlich befürchtet, aber das Land ist nicht mehr die herausragende Sportmacht, die es einmal war. Die Sportfans der ehemaligen Sowjetunion trösten sich mit bitterem Humor über das schwache Auftreten ihrer Mannschaft hinweg. "Unsere Sportler entreißen der Konkurrenz das Wertvollste - die Bronzemedaillen. Die anderen müssen sich mit Gold und Silber zufrieden geben", witzelt ein Russe im Internet. Tiefpunkt war die Aberkennung der Kugelstoß-Goldmedaille von Irina Korschanenko wegen Dopings.
Erstmals machten auch weder die russischen Funktionäre noch die Medien eine westliche Verschwörung verantwortlich für den Skandal - wie noch bei der Disqualifikation der Skilangläuferinnen Larissa Lasutina und Olga Danilowa bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City. Aber Russland tut sich schwer damit, nicht mehr wie einst die Sowjetunion die Nummer 1 im Weltsport neben den USA zu sein. Die letzten noch zu Sowjet-Zeiten trainierten Athleten beendeten ihre Karriere, ähnlich wie Deutschland inzwischen kaum noch von der DDR-Sportförderung zehren kann.
Es geht dennoch nicht alles glatt für China
Während die einen ihre Wunden lecken, ziehen die anderen auf und davon: Abgesehen vom Rudern haben die Chinesen in Athen in sämtlichen Sportarten gepunktet, in denen sie am Start waren - am stärksten im Gewichtheben (5x Gold), Schießen (4), Wasserspringen (3), Badminton (3) und Tischtennis (3). Aber längst nicht alle Wünsche wurden erfüllt - zum Beispiel im Turnen, wo es fast ein Desaster gab. Die als Topfavorit und Weltmeister angereiste Männerriege kam in Athen gar nicht erst auf das Treppchen.
Im Schwimmen und in der Leichtathletik - zwei olympischen Kernsportarten, in denen 78 Mal Gold zu vergeben ist - gab es in der Vergangenheit herbe Rückschläge: Kurz vor den Spielen 2000 zog China 27 gemeldete Athleten wegen Dopingsverdachts zurück. Diese sind in Athen alle nicht mehr dabei, hier ist bereits die nächste Generation am Start. "Von den 52 Aktiven sind 30 junge Sportler, die wahrscheinlich erst in Peking 2008 ihre volle Leistung zeigen können", so Huixian. Auch in den Mannschaftssportarten hat man auf den Nachwuchs gesetzt.
Partylaune im "Reich der Mitte"
Daheim wird jeder Erfolg kräftig gefeiert. In Zhanjiang (Provinz Guangdong), dem Heimatort der Turmspringerin und Goldmedaillen-Gewinnerin Lao Lishi, zogen die Menschen mit Spruchbändern durch die Straßen. Und die Springerin Guo Jingjing kann sich nach ihrem Spitzenplatz in Athen auf ein neues Zuhause freuen: Eine Baufirma in der Provinzhauptstadt Shijiazhuang schenkte der Synchronspringerin aus der Provinz Hebei nahe Peking für den Olympiasieg eine Villa im Wert von einer Million Yuan (100.000 Euro).
Solche Geschenke großer Unternehmen, die dafür Werbeauftritte erwarten, oder Direktwerbung für Produkte sind für die Sportstars inzwischen wichtiger als die Prämien der Sportbehörden. Während für Gold 200.000 Yuan (20.000 Euro), für Silber 120.000 Yuan (12.000 Euro) und für Bronze 80.000 Yuan (8000 Euro) gezahlt werden, können Geschenke oder Werbeeinnahmen mehrere Millionen Yuan erreichen. (arn)