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PolitikJordanien

Misstrauisch beäugt: NATO plant Verbindungsbüro in Jordanien

Cathrin Schaer
20. Juli 2024

Die NATO will in Kürze in Jordanien ihr erstes Verbindungsbüro für den Nahen Osten eröffnen. Nicht wenige Menschen in dem Land und in arabischen Nachbarstaaten sehen dies kritisch - auch im Hinblick auf den Gaza-Krieg.

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NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßt den jordanischen König Abdullah II. im Nato-Hauptquartier in Brüssel, November 2023
Handschlag in Brüssel: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (r.) begrüßt den jordanischen König Abdullah II. im Nato-Hauptquartier in Brüssel, November 2023 Bild: NATO

Kaum war die Ankündigung bekannt, gibt es auf arabischen Social-Media-Plattformen ablehnende bis zornige Kommentare. Sie richten sich gegen die kürzlich bekannt gegebene Erklärung der NATO, sie werde ein Verbindungsbüro in Jordanien einrichten - das erste in Nahost überhaupt.

"Die Eröffnung eines NATO-Verbindungsbüros in Amman ist eine natürliche Weiterentwicklung der langjährigen Beziehungen zwischen der NATO und Jordanien", heißt es in einer Pressemitteilungdes westlichen Verteidigungsbündnisses. Das Statement würdigt Jordanien als "Leuchtturm der Stabilität, sowohl im regionalen als auch im globalen Kontext".

Andere sehen die Dinge längst nicht so positiv. "Verrat liegt ihnen im Blut", schreibt ein in Algerien ansässiger Social-Media-Nutzer auf Facebook unter einem Nachrichtenartikel über das neue NATO-Büro. "Wie kann man erklären, dass man die Hand derer schüttelt, die Deine Brüder überall töten?" "Jordanien wurde verkauft, ohne dass ein einziger Schuss fiel", fügt ein anderer Nutzer, ebenfalls aus Algerien, hinzu. "Wo sind die freien Menschen in Jordanien? Sind sie damit einverstanden?!", schimpft ein Kommentator aus Tunesien.

Die Idee des NATO-Büros provoziert auch eine Reihe von Verschwörungstheorien. Einige spekulieren, die Nordatlantikpakt-Organisation wolle auf Seiten Israels aktiv in den Krieg im Gazastreifen oder den Konflikt mit der libanesischen Hisbollah eingreifen.

Proteste in Jordaniens Hauptstadt Amman gegen den Krieg im Gazastreifen, Januar 2024
Proteste in Jordaniens Hauptstadt Amman gegen den Krieg im Gazastreifen, Januar 2024Bild: Laith Al-jnaidi/Anadolu/picture alliance

Solidarität mit Palästinensern

Jordanien wurde in den vergangenen Monaten nicht zum ersten Mal Zielscheibe derartiger Kritik. Als der Iran im April Israel mit Drohnen und Raketen attackierte, spielte das Königreich bei der Abwehr des Angriffs eine wichtige Rolle. Jordanien erklärte zwar, es schütze nur den eigenen Luftraum. Das betrachteten viele Jordanier und Jordanierinnen jedoch als problematisch. Rund ein Fünftel der Bevölkerung - unter ihnen auch die Königin - ist palästinensischer Abstammung. Der Wunsch der Palästinenser nach einem eigenen Staat wird von vielen Menschen in Jordanien geteilt.

Dabei unterhält Jordanien enge, auf Sicherheit ausgelegte Beziehungen zum benachbarten Israel. Auch mit der NATO und den USA arbeitet das Land seit Jahrzehnten militärisch zusammen. Eine Anfrage der DW nach dem Datum für die Neueröffnung ließ die NATO bisher unbeantwortet. Es dürfte jedoch in nicht allzu weiter Ferne liegen: In einer kürzlich veröffentlichten Stellenausschreibung der NATO, in der ein Leiter für das Büro gesucht wird, wird als Bewerbungsfrist der 25. August genannt.

Pläne gibt es schon länger

Trotz der Nähe zum Gazastreifen habe das neue NATO-Verbindungsbüro in Jordanien nichts mit dem dortigen Konflikt zu tun, glauben Experten. "Ungeachtet der enormen Zunahme der Feindseligkeiten in der Region - allen voran der Krieg zwischen Israel und der Hamas - dürfte die Entscheidung der NATO von langer Hand geplant worden und nicht als Reaktion auf die aktuellen Konflikte entstanden sein", sagt etwa Jonathan Panikoff vom Nahost-Programm des Atlantic Council der DW.

Ein NATO-Büro in Amman wurde bereits im Juli 2023 diskutiert, also weit vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und des darauf folgenden Krieges. Der Konflikt im Gazastreifen könnte die Planungen für das Büro allerdings beschleunigt haben, meint Isabelle Werenfels von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Ich glaube aber nicht, dass die NATO Interesse hat, sich dem Nahostkonflikt zu nähern." 

Zudem ist das neue Verbindungsbüro nicht der erste Vorstoß der NATO in den Nahen Osten. Die Organisation unterhält bereits eine Vielzahl von Partnerschaften in der Region (siehe Grafik oben).

 NATO-Experten bilden jordanische Bombenentschärfer aus, Amman 2018
NATO-Experten bilden jordanische Bombenentschärfer aus, Amman 2018Bild: NATO

Auch Russlands Einfluss im Blick 

Insgesamt dürfte das Büro der NATO als bedeutender Meilenstein gelten, sagt H. A. Hellyer vom Think Tank Carnegie Endowment for International Peace. "Die NATO will betonen, dass sie sich für ein Engagement mit ihren Partnern in Nahost engagiert ", so Hellyer. "Angesichts des Umstandes, dass sich auch Russland in der Region engagiert, ist dies für die NATO sinnvoll."

Ein Verbindungsbüro bedeute für Jordanien eine direktere Zusammenarbeit bei einer Reihe gemeinsamer Interessen - zum Beispiel Krisenmanagement, Cybersicherheit, Klimawandel", meint Hellyer.

Bereits die 2004 gegründete "Istanbul Cooperation Initiative" der NATO mit Sitz in Kuwait habe mehrere Länder der Region zusammengeführt, sagt Werenfels, die seinerzeit einer unabhängigen Expertengruppe angehörte, die die NATO bezüglich der Initiative beriet. Die Frage sei nun, welche Dynamik das neue Verbindungsbüro entwickeln werde. Sicher sei aber, dass selbst nahöstliche Staaten, die nicht als "NATO-nah" gelten wollen, an einigen Angeboten des Bündnisses interessiert seien. 

"Die Bevölkerungen in der Region mögen die NATO im Allgemeinen nicht, weil sie sie mit Interventionen in der Vergangenheit in Verbindung bringen", so Werenfels. "Gleichzeitig dürften die dortigen Eliten aber Interesse daran haben, ihre Streitkräfte weiter zu professionalisieren."

Kein Land des Nahen Ostens wünsche ein direktes militärisches Eingreifen der NATO in regionale Konflikte, heißt es in einem Expertenbericht der SWP vom Mai dieses Jahres, an dem Werenfels mitgearbeitet hat. Allerdings könne die NATO ihre Partnerschaften in der Region ausbauen, etwa indem sie die Sicherheit auf See stärke, bei der Rüstungskontrolle behilflich sei und die Partnerländer bei der Vorbereitung auf den Klimawandel und andere Krisen unterstütze.

Trotz der in Jordanien und der Region weit verbreiteten Kritik am geplanten NATO-Verbindungsbüro dürfte dessen Eröffnung kaum zu einer Destabilisierung des Landes führen, prophezeit Nahost-Experte Panikoff. Jordanien stehe seit Jahren bei einer Vielzahl von sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und politischen Themen unter Druck. Eine voraussichtlich eher geringfügig verstärkte Kooperation mit der NATO dürfte demgegenüber eher weniger ins Gewicht fallen.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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